Hamburg. KV-Chef Plassmann: Neuer Service ab 2020. Heftiger Angriff von Hamburgs Ärzten auf Minister Spahn. Was Ex-Oberarzt Tschentscher sagt.

Hamburgs Ärzte wollen in Zukunft ihre Kalender ins Internet stellen, damit sich Patienten auf einer neuen Onlineplattform selbst Termine bei ihrem Wunscharzt aussuchen können. Das kündigte der Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Walter Plassmann, bei der 100-Jahrfeier der KV am Sonnabend an. Plassmann übte gleichzeitig heftige Kritik an der Politik und nahm Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ins Visier. Spahn habe in 17 Amtsmonaten 17 Gesetze vorgelegt. Die Politik knebele die niedergelassenen Ärzte immer mehr. Das gehe so weit, dass die Planung neuer Praxen und der sogenannte Sicherstellungsauftrag „verstaatlicht“ zu werden drohten.

Die neue Terminplattform für Hamburger Patienten hatte Plassmann bereits im Abendblatt angekündigt. Anfang des nächsten Jahres soll sie ans Netz gehen und danach weiter ausgebaut werden. Über dieses Internetangebot würden Patienten auch zu Terminen für Krankenhäuser geleitet. Gleichfalls könnten Termine bei niedergelassenen Psychotherapeuten gemacht oder vermittelt werden. Das gilt derzeit als besonders schwierig, gerade für Patienten, die zum Beispiel mit Depressionen oder Burnout dringender Behandlung bedürfen.

Werden bezahlpflichtige Angebote überflüssig?

Der Vorsitzende der Vertreterversammlung, Dr. Dirk Heinrich, sagte, die neue Plattform hätten Hamburger Ärzte schon gefordert, als es die rechtliche Möglichkeiten noch gar nicht gab. HNO-Arzt Heinrich sagte, die Praxen müssten vom Terminmanagement entlastet werden und sich wieder mehr der Medizin zuwenden. Die kostenlose KV-Plattform werde schnell eine Nutzungsrate von 70 bis 80 Prozent bei Patienten haben. Damit werde man die bestehenden und zumeist bezahlpflichtigen Angebote überflüssig machen.

Heinrich sagte auch: „Wir müssen daraus keinen Profit ziehen und wir sind keine Datenkraken. Das unterscheidet uns von den kommerziellen Angeboten, deren Namen ich gar nicht in den Mund nehmen möchte.“ Das sind Plattformen wie Zava, früher DrEd, sowie Medizinangebote, die die Konzerne Amazon und Google haben oder entwickeln.

Ex-Oberarzt Tschentscher reagiert erfreut

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zeigte sich sehr angetan von diesen Plänen. Tschentscher sagte dem Abendblatt, auch er habe als Mediziner mit einer Praxis geliebäugelt. Sein Weg als Oberarzt im UKE habe sich allerdings anders entwickelt. Er selbst würde auch online Termine buchen, aber vor allem: „Ärzte müssen mehr Zeit für ihre eigentliche Arbeit bekommen. Ich kann mich noch an meine Anfangsjahre im UKE erinnern, als wir, bevor wir die Patienten behandelt haben, erst einmal lange über das richtige Röntgenformular debattiert haben.“

Auch Oberärzten wie einst Peter Tschentscher soll demnächst der Schritt aus dem Krankenhaus in die Selbstständigkeit erleichtert werden. KV-Chef Plassmann kündigte an, auch über die neue Onlineplattform einen Service zu bieten, der die Übernahme einer Praxis begleitet. Plassmann sagte, bei Gehalt oder Honorar gebe es heute kaum noch Unterschiede zwischen Krankenhausärzten und Niedergelassenen. Und bei der Arbeitszeit gebe es für viele vor allem jüngere Ärzte kaum noch einen Anreiz, eine Praxis aufzumachen und die Selbstständigkeit zu riskieren. Plassmann sagte, wenn ein Arzt seine Praxis aufgebe, könne auch die KV als Betreiberin einspringen, bis es einen geeigneten Nachfolger gebe.

Rund 5000 Ärzte praktizieren in Hamburg

In Hamburg arbeiten heute rund 5000 Ärztinnen und Ärzte in 3300 Praxen, die zur KV gehören. Zu ihnen zählen auch die niedergelassenen Psychotherapeuten. Die Ärzte und die 400 Mitarbeiter der KV setzen jedes Jahr rund 1,3 Milliarden Euro um.

Hier lesen Sie ein Feature über die Geschichte der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg.