Berlin. Am ersten Geisterspieltag der Geschichte sorgt Hertha BSC für einen erneuten Fauxpas. Und die Fans hinterließen eine Botschaft.
Abgeklärt wahrte Erling Haaland die neue Distanz im deutschen Fußball. Das Bundesliga-Premierentor nach mehr als zweimonatiger Zwangspause in der Corona-Krise bejubelte der Stürmer von Borussia Dortmund wie vorgeschrieben: Bloß keine Umarmung, kein überschwänglicher Körperkontakt – stattdessen wog Haaland seinen Oberkörper in deutlicher Entfernung zu seinen Teamkollegen hin und her.
Der höchst umstrittene Neustart für die Deutsche Fußball-Liga (DFL) glückte am Sonnabend zumindest in den ersten Geisterpartien der beiden Bundesligen ohne befürchtete größere Zwischenfälle. Nur die Profis von Hertha BSC sorgten erneut für Aufsehen. Angesichts desinfizierter Bälle und laut zu hörender Zwischenrufe wie auf Amateurplätzen ist eine Normalität noch weit entfernt.
Nicht nur bei Haalands zehntem Saisontreffer, auch bei den weiteren Dortmunder Toren im Revierderby gegen den FC Schalke 04 plärrte laut „Olé, jetzt kommt der BVB“ aus den Lautsprechern. Dass Stadionsprecher Norbert Dickel die Treffer im Duell mit dem Erzrivalen vor leeren Rängen aber eher kühl und sachlich mit gedämpfter Stimme statt emotional verkündete, zeigte die Besonderheit der ersten Spiele seit Mitte März. Am Ende ging das Dortmunder Team dennoch vor die verwaiste Südtribüne. „Das war spontan“, sagte Julian Brandt zu der Aktion.
Hertha-Profis jubeln nicht Corona-konform
Skeptisch blickte Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke schon kurz vor dem Anpfiff über die leeren Tribünen des Signal-Iduna-Parks. „Schon gewöhnungsbedürftig“, sagte der BVB-Macher, die schwarze Maske für das Sky-Interview unter das Kinn gezogen. „Es hat schon etwas Surreales, wenn du in den letzten zwei Stunden vor Anpfiff aus aller Welt SMS bekommst, dass die Leute heute vorm Fernseher sitzen, und dann fährst du durch deine Stadt, und es ist überhaupt nichts los.“
Auf fast allen Plätzen hielten sich die Spieler an die Maßgabe aus dem 36-seitigen „Covid-19-Organisations-Rundschreiben Sonderspielbetrieb“, die da lautet: „Gemeinsames Jubeln, Abklatschen und Umarmungen sind zu unterlassen“. Pikanterweise schien dieses Memo vor allem von den Spielern von Hertha BSC nicht gänzlich verinnerlicht worden zu sein: Mehrfach kamen sich die Berliner bei der Feier des 3:0 bei 1899 Hoffenheim recht nahe, Matheus Cunha klopfte Vedad Ibisevic auf den Kopf und nahm den Kapitän von hinten in den Arm.
Ihr inzwischen suspendierter Teamkollege Salomon Kalou hatte mit seinem Kabinenvideo inklusive zahlreicher Handshakes den Kritikern des DFL-Konzepts reichlich Argumente geliefert. Der neue Hertha-Trainer Bruno Labbadia nahm seine Spieler in Schutz. „Ich sehe das meinem Team auf jeden Fall nach. Ich hoffe einfach, dass die Menschen draußen Verständnis haben“, sagte Labbadia in der Pressekonferenz. Eine Bestrafung muss die Hertha nicht befürchten. Ein DFL-Sprecher sagte, Sanktionen dafür erübrigen sich, da es sich lediglich um „einen Hinweis zur Orientierung“ in Ergänzung zum Hygienekonzept handle.
Heidenheims Trainer Schmidt fährt Spieler
Ansonsten hieß das Gebot am 26. Spieltag Abstand: Die RB-Macher Oliver Mintzlaff und Ralf Rangnick ließen auf der Tribüne der Leipziger Arena mehrere Sitze zwischen sich frei und trugen Mund- und Nasenschutz. Beim Revierderby nahmen die Schalker Ersatzspieler auf schwarzen Sesseln ebenfalls weit getrennt voneinander Platz. Mehrere Teams wie die Königsblauen und der SC Paderborn nutzten die neu geschaffene Regel-Gelegenheit zu fünf Auswechslungen.
Auch in der 2. Liga gab es bislang ungekannte Szenen: In Bochum zog VfL-Coach Thomas Reis den Mund- und Nasenschutz beim Halbzeitpfiff der Partie gegen den 1. FC Heidenheim hoch und besprach sich mit seinen Assistenten. Gäste-Coach Frank Schmidt brachte vor der Partie gleich selbst einige Spieler ins Stadion, in Kleinbussen mit maximal vier Profis ging es zur Castroper Straße. „Da wir alle den Führerschein haben, haben wir gesagt, wir machen das selbst“, sagte Schmidt.
Fan-Protest per Banner
„Es ist ein bisschen komisch“, sagte Christian Streich, Trainer des Bundesligisten SC Freiburg, eine Stunde vor Anpfiff der Partie bei RB Leipzig. „Für mich ist es eines der erfreulichsten Spiele, die ich bis jetzt hatte in der Bundesliga, auch unter eigenartigen Umständen.“ Zumindest äußerlich spiegelte sich diese Vorfreude nicht beim 54-Jährigen. Mit verschränkten Armen stand Streich wie vorgeschrieben auf Abstand zu Sky-Moderatorin Esther Sedlaczek, das Logo der Breisgauer auf der feuerroten Maske vor seinem Gesicht stand verkehrtherum.
Ein Sinnbild für den Neuanfang? Zumindest stand die Bundesliga unter so genauer Beobachtung wie noch nie in ihrer Geschichte. In mehreren Umfragen sprach sich mehr als die Hälfte der Menschen gegen eine Fortsetzung der Saison aus, zuletzt waren 62 Prozent im „ZDF-Politbarometer“ für einen vorzeitigen Abbruch. Fauxpas wie das Kalou-Video und der arglose Bericht von Augsburgs neuem Trainer Heiko Herrlich über seinen Ausflug zum Kauf von Zahnpasta und Hautcreme während der Team-Quarantäne dürften zumindest den Kredit nicht erhöht haben.
Beim FC Augsburg hielt sich Herrlich aufgrund seiner selbst auferlegten Auszeit von einem Spiel nach Clubangaben in einer Loge auf. Die Fans mussten wie in allen Stadien fernbleiben – eine Botschaft war schwarz auf weiß per Banner dennoch zu lesen: „Der Fußball wird leben – euer Business ist krank!“
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum, und halten Sie mindestens 1,50 Meter Abstand zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an Ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden