Hamburg. Die umstrittene Vorstandschefin Sandra Gulla verliert den Machtkampf. Neue Führungsriege will verlorenes Vertrauen wieder aufbauen.
Nach einer Zeit des Aufruhrs mit Klagen des Betriebsrats über „Ausbeutung, Bedrohung und Mobbing“ und dem Abgang vieler Unterstützer steht der Hamburger Tierschutzverein (HTV) vor einem Neuanfang. Die Anfang April regulär durchgeführte Neuwahl der Führungsriege hat ergeben, dass fast der gesamte Vorstand um die umstrittene Chefin Sandra Gulla abtreten muss.
Die erste Vorsitzende habe sich wie eine Despotin aufgeführt, hatte eine Oppositionsgruppe aus dem Kreis der Mitglieder erklärt, die im Zuge ihrer Revolte einen Gegenkandidaten für jedes Amt aufstellte – und nun triumphiert.
„Das ist ein riesiger Erfolg“, sagt die designierte erste Vorsitzende Janet Bernhardt. „Wir hoffen jetzt, dass es so schnell wie möglich zum Amtswechsel kommt.“ Bernhardt und ihre fünf gewählten Mitstreiter – der designierte zweite Vorsitzende Jens Schmidt und vier Beisitzer – haben die schriftliche Erklärung, dass sie die Wahl annehmen, bereits am Sonntag beim HTV abgegeben.
Tierschutzverein: Mitglieder schriftlich informiert
Jens Schmidt, der seit Jahren ehrenamtlich für den HTV arbeitet, sagt: „Unser Ziel muss sein, dass Vorstand, Mitglieder und Ehrenamtliche sich wieder auf Augenhöhe begegnen. Es ist ein großes Stück Arbeit, dieses Vertrauensverhältnis wieder aufzubauen.“
Die mehr als 5000 HTV-Mitglieder hätten am 18. April bei einer Versammlung über das Wahlergebnis informiert werden sollen, was aber wegen der Coronakrise nicht möglich war. Stattdessen wurden sie schriftlich informiert.
Vorstandswechsel wird nun schnell vollzogen
Als siebtes Vorstandsmitglied wurde der bisherige Schatzmeister Manfred Graff im Amt bestätigt. Ob er die Wahl annehme, müsse er aber noch entscheiden, sagt Graff, der bereits seit zwölf Jahren Mitglied im Vorstand ist. Dabei spielten ausschließlich persönliche Gründe eine Rolle.
„Wenn ich weiterhin dabei bin, werde ich konstruktiv im neuen Vorstand mitarbeiten“, sagt Graff. „Ich bin allein dem Verein und den Tieren verpflichtet.“ Laut Graff solle die Übergabe an den neuen Vorstand in den nächsten Tagen vollzogen werden.
„Es muss sehr viel verändert werden“, sagt Janet Bernhardt, die „aufgrund der Missstände, die der alte Vorstand verursacht“ habe, im vergangenen Jahr nach 18 Jahren als Tierpflegerin kündigte und heute im Rettungsdienst des Deutschen Roten Kreuzes arbeitet. Zum einen müssten die Gebäude, die sich zum Teil in einem extrem schlechten Zustand befänden, instand gesetzt werden, sagt Bernhardt.
Tierschutzverein: Mitglieder gegen auf dem Zahnfleisch
Zum anderen gebe es einen massiven Personalmangel. „In den vergangenen vier Jahren haben mehr als 50 Mitarbeiter aufgrund des schlechten Klimas gekündigt oder wurden, nachdem sie Kritik am Vorstand geäußert haben, entlassen. Die verbliebenen Mitarbeiter gehen auf dem Zahnfleisch“, sagt Bernhardt. „Vor allem ausgebildete Tierpfleger und Tierärzte fehlen.“ In den vergangenen Tagen habe sie aber schon zahlreiche Anrufe von ehemaligen Mitarbeitern erhalten, die nun zurückkehren wollten.
„Die vergangenen Monate waren hart“, sagt Bernhardt. „Es hat eine regelrechte Hetzkampagne gegen mich und die anderen Kandidaten gegeben.“ Auf einer Facebook-Seite seien falsche Behauptungen verbreitet und Fotos von ihrem Wohnhaus veröffentlicht worden, sagt Bernhardt, die nach eigenen Angaben Strafanzeige wegen Verleumdung erstattet hat. Da die Seite kein Impressum gehabt habe, habe die Anzeige aber nicht weiter verfolgt werden können.
Tierschutzverein wünscht sich Ruhe
In den neuen Beirat des Vereins gewählt worden ist Nick Martens. Der selbstständige Hundetrainer hatte bis 2018 als Tierpfleger in dem vom HTV betriebenen Tierheim an der Süderstraße gearbeitet. Er betont, der Verein müsse nicht nur für die bestmögliche Unterbringung, Versorgung und Vermittlung der anvertrauten Tiere sorgen, sondern auch über tierschutzrelevante Themen informieren. „Ich möchte dazu beitragen, dass der HTV in der Öffentlichkeit wieder positiv wahrgenommen wird“, sagt Martens.
Dass beim HTV jetzt „Ruhe einkehrt“ wünscht sich die freie Journalistin Jule Thumser, die als Vereinsmitglied die Oppositionsgruppe von Anfang an unterstützt hatte. „Ich hoffe, dass der HTV sich jetzt auf seine Kernkompetenz konzentriert und dass das Geld für die Arbeit mit den Tieren und nicht für Prozesse gegen die Stadt verwendet wird“, sagt Thumser.
Ex-Vorstand sucht „neuen Wirkungskreis“
Wie berichtet, war es zu einem Rechtsstreit zwischen dem HTV und der Stadt gekommen. Seit Monaten ermittelt das Bezirksamt Mitte gegen den Verein, der gegen zahlreiche Vorschriften und Gesetze verstoßen haben soll. Der Vereinsvorstand um Sandra Gulla dementierte das zwar und sprach von Schikane der Behörde – scheiterte allerdings vor dem Verwaltungsgericht.
In dessen Urteil heißt es, das vom HTV betriebene Tierheim bedürfe einer „besonderen behördlichen Überwachung“. Dies gelte erst recht in Fällen, in denen die aufsichtspflichtige Behörde konkrete Hinweise auf Missstände erhalte. „So verhält es sich hier“, erklärte das Gericht.
Die von dem Verein angeforderten Unterlagen sind nach Auskunft des Bezirks Mitte immer noch nicht eingetroffen. Davon unabhängig sehe der Bezirk „weiter dringenden Handlungsbedarf in organisatorischen und hygienischen Anforderungen, um dem Tierwohl gerecht zu werden“, sagt Sprecherin Sorina Weiland. „Wir hoffen auf die Einsicht der Tierheimleitung.“
War Sandra Gulla ein Machtmensch?
Sandra Gulla war insbesondere vorgeworfen worden, sie habe alle Macht an sich gerissen und nach „Gutsherrenmanier“ agiert. Für eine Stellungnahme war sie am Montag nicht zu erreichen. Gulla wandte sich allerdings am Montag gemeinsam mit der ebenfalls nicht wiedergewählten zweiten Vorsitzenden Katharine Krause in einem Abschiedsbrief an die Vereinsmitglieder, der zeitweise auf der Internetseite des HTV zu lesen war. Sie hätten „gemeinsam sehr viel für die Tiere bewirkt“, erklären Gulla und Krause. Dies habe aber auch immer wieder bedeutet, „gegen Widerstände, Bequemlichkeit und Desinteresse anzugehen“.
In den vergangenen vier Jahren hätten sie den Verein mit dem Schatzmeister auf eine „solide finanzielle Basis gestellt“ und Überschüsse erwirtschaftet. „Wir hätten diese gute Basis gerne genutzt, um in verschiedene geplante Tierschutzprojekte zu investieren, besonders nachdem wir uns seit Anfang des letzten Jahres leider zu wenig mit den Tieren und zu viel mit dem ungerechten Wahlkampf und der Auseinandersetzung mit überzogenen menschlichen Bedürfnissen beschäftigen mussten“, erklären Gulla und Krause. Sie hofften, dass die von ihnen gesammelten Spenden „ganz überwiegend unmittelbar“ für die Tiere eingesetzt würden.
Dann richten die beiden Geschassten den Blick in ihre Zukunft. „Die Mehrheit der Vereinsmitglieder hat sich entschieden, dass wir uns mit unserer progressiven Tierschutzeinstellung einen neuen Wirkungskreis suchen sollen, und genau das tun wir jetzt.“ Wer mit ihnen in Kontakt bleiben wolle, schreiben Gulla und Krause, könne ihnen auf der Facebook-Seite „AlleTiereTierschutz“ folgen.