Hamburg. Nabu und Universität Kiel erforschen das Verhalten der Tiere. Digitale Daten sind für jedermann online aufrufbar.
Alexander ist schon da. Er kam aus der Region Madrid und landete in Bergedorf. Jürgen befindet sich noch im Tschad. Dort ist es gerade 39 Grad Celsius heiß. Und Ombeni hält sich derweil noch in Tansania auf.
Professor Stefan Garthe von der Universität Kiel und Christian Gerbich, Referent beim Naturschutzbund Nabu, schauen in der Geschäftsstelle des Verbandes auf einen Monitor – und sehen weitere Orte: Vor den Karpaten in Rumänien wartet ein Hamburger Weißstorch darauf, dass Thermik und Winde günstig sind, um den Flug zu den saftigen Wiesen in den Vier- und Marschlanden anzutreten.
Mit einem einzigartigen Projekt erforscht der Nabu gemeinsam mit der Universität Kiel das Leben der Hamburger Weißstörche. Um mehr über ihr Verhalten beim Vogelflug und vor allem in den Vier- und Marschlanden zu erfahren, wo jährlich rund 95 Prozent der Hamburger Paare brüten, wurden sie im vergangenen Jahr erstmals mit leistungsfähigen, 55 Gramm schweren Sendern ausgestattet.
GPS-Daten der Störche online aufrufbar
Damit lässt sich nicht nur das Verhalten rund um Hamburg wissenschaftlich studieren und der Standort per GPS lokalisieren. Ab sofort können Interessierte den Vogelzug der Hamburger Störche im Internet mit täglichen Updates verfolgen und sehen, wann nun endlich auch Storchendame Ombeni von Afrika über die Ostroute zurück in einen Hamburger Horst fliegt
„Mit der sogenannten Besenderung wollen wir herausfinden, welche Grünflächen die Störche in unseren Breiten als Nahrungsquelle nutzen. Außerdem beschäftigen wir uns mit den Auswirkungen von Windkraftanlagen, zum Beispiel, ob die Tiere die Nähe solcher Anlagen meiden“, sagt Professor Stefan Garthe, der am Forschungs- und Technologiezentrum Westküste in Büsum als Biologe arbeitet.
Jährlich brüten in Hamburg rund 30 Weißstorchpaare. Zwar stagniert diese Zahl, aber im vergangenen Jahr waren die Storchenbetreuer mit dem Bruterfolg ihrer Schützlinge sehr zufrieden. 67 Jungtiere wurden großgezogen. „Besonders habe ich mich darüber gefreut, dass wir 2019 auch neue Brutpaare hatten, die vier Storchennester zum ersten Mal besetzten“, sagt Jürgen Pelch, ehrenamtlicher Storchenbetreuer beim Nabu.
Störche fliegen pro Tag bis zu 350 Kilometer
Nach seinem Vornamen wurde übrigens der Weißstorch Jürgen benannt, der sich aktuell im Tschad aufhält. Allerdings wissen die Forscher noch immer zu wenig über das Leben der zugfreudigen Frühlingsboten, die pro Tag bis zu 350 Kilometer fliegen können und häufig zum selben Horst nach Norddeutschland zurückkehren.
Also begab sich der promovierte Nabu-Referent Christian Gerbich gemeinsam mit dem Storchenforscher Michael Kaatz an einem Frühlingstag 2019 in die Vier- und Marschlande, um mehrere Störche mit jeweils einem 2000 Euro teuren Sender auszustatten. „Ich habe mir das wie bei solchen Aktionen in Afrika vorgestellt“, erinnert sich der Nabu-Mitarbeiter. „Aber es passierte einfach nichts: Kein Storch weit und breit.“
Dann kamen sie auf die Idee, einen Bauern anzusprechen. Der fuhr schließlich mit seinem Traktor voraus – mit einer Netzpistole im Gepäck. Tatsächlich folgten mehrere dieser Schreitvögel dem Fahrzeug, um Futter in der frischen Mahd zu suchen. Plangemäß öffnete sich nach einem „Schuss“ aus der Netzpistole das Fangnetz.
Sender ist auf dem Rücken der Tier befestigt
Dem gefangenen Tier wurde zur Ruhigstellung ein Tuch über den Kopf gezogen. „So konnten wir es festhalten und innerhalb von gut sieben Minuten den Sender auf dem Rücken befestigen“, sagt Gerbich, der als studierter Geologe vorher noch nie einen Weißstorch angefasst hatte. „Hat sich warm angefühlt.“ Schließlich liegt die Körpertemperatur der gut 60 Zentimeter großen und vier Kilogramm schweren Vögel bei rund 38 Grad Celsius.
Derweil beobachtete von seinem Büsumer Arbeitszimmer aus der Biologe und frühere Präsident der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft, Professor Garthe, das tierische Treiben in den fernen Vierlanden. Tatsächlich funkte der Sender die ersten Signale.
Das kleine Gerät wird mit Batterie und Solarzellen betrieben. Es zeichnet nicht nur die geografischen Daten auf und ermöglicht auf diese Weise die Lokalisierung. Der digitale Sender dokumentiert ebenso, ob der Weißstorch fliegt, läuft, brütet oder mit den Flügeln schlägt. Während der Vogelzug ab sofort der breiten Öffentlichkeit im Internet zur Verfügung steht, sind diese detaillierten Daten ausschließlich Wissenschaftlern zugänglich.
Windkraftanlagen stellen Gefahr für Vögel dar
Sie wollen herausfinden, welche Folgen intensiv bewirtschaftete Grünflächen für die Vogelernährung haben und ob Vertragsnaturschutzflächen nicht besser für den Speiseplan der Weißstörche sind. Zudem befinden sich in den Vier- und Marschlanden 40 Windkraftanlagen, die eine Gefahr für die Vögel sind. In einer Studie des Bergenhusener Michael-Otto-Instituts wurden die Folgen bereits einmal untersucht.
Störung und Kollisionsgefahr von Vögeln und Fledermäusen würden weniger durch die Anlagengröße als vielmehr durch die Wahl des Standortes beeinflusst. „Windkraftanlagen gehören deshalb nicht an Gewässer oder in Wälder, weil es hier zu den meisten Unfällen mit Vögeln oder Fledermäusen kommt“, lautete ein Ergebnis der Studie aus dem Jahr 2006.
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Ob diese These weiterhin gültig ist, wird die Auswertung der neuen Daten ergeben. In diesem Frühjahr wollen Gerbich und Storchenforscher Kaatz von der Vogelschutzwarte Storchenhof Loburg in Sachsen-Anhalt mithilfe eines Landwirts erneut auf Vogelfang gehen. „Wir wollen versuchen, weitere Tiere zu besendern.“
Störche fliegen in sozial strukturierten Gruppen
Finanziert wird das Projekt von der Ernst-Commentz-Stiftung. Bisherige Forschungen konzentrierten sich eher auf den Zug der Vögel Richtung Süden und wieder zurück. So hat eine Studie der Max-Planck-Gesellschaft für Ornithologie herausgefunden, dass Störche in sozial strukturierten Gruppen fliegen, die von den Flugfähigkeiten der Gruppenmitglieder maßgeblich bestimmt werden.
Nun warten die Hamburger Storchenforscher darauf, dass alle sechs „besenderten“ Störche in den nächsten Wochen wohlbehalten zurückkehren. Alexander, Jürgen und Ombeni haben bereits einen Namen. „Für die anderen drei suchen wir jetzt einen Vornamen“, sagt Nabu-Referentin Ilka Brodmann.
Wer Vorschläge dazu hat, schreibt bitte eine E-Mail an info@nabu-hamburg.de