Hamburg. Ämter teilen Männer nach Wahldebakel unter sich auf. Thering erklärt offiziell Kandidatur für Fraktionsvorsitz. Ruck ins Konservative?

Die Stimmung war natürlich sowieso mies – und dazu trat dann zu allem Übel auch noch die alte Krankheit wieder klar zutage. Als die Delegierten der CDU sich am Donnerstagabend im Musiksaal am Besenbinderhof zum Parteitag trafen, um mal in Ruhe über die Verzwergung ihrer Partei auf 11,2 Prozent zu sprechen, da dauerte es fast drei Stunden, bis ganz am Ende die erste und am ganzen Abend einzige Frau ans Rednerpult trat. Zuvor hatten sich stundenlang die Herren aneinander ausgeweint, das Wahlergebnis zwar als „sauschlecht“ oder als „Katastrophe“ bezeichnet – sich aber auch gegenseitig für den tollen Einsatz bei Dunkelheit, Nässe und Gegenwind aus allen Richtungen gedankt. Ehrenmänner eben.

Keiner der mittelalten weißhemdigen Herren kam auf die Idee, dass das Erscheinungsbild der CDU als beinahe vatikanisch anmutender Männerbund bei der Wahl eine Rolle gespielt haben könnte. Immerhin präsentierte sich der Bundestagsabgeordnete und Eimsbütteler Kreischef Rüdiger Kruse als energischer Frauenförderer. Einfühlsam berichtete er, wie seine Mitarbeiterin Silke Seif jetzt als Abgeordnete an ihrer ersten Fraktionssitzung teilgenommen habe, was für sie wie eine „Einschulung“ gewesen sei. Leider habe er es versäumt, ihr eine „Schultüte“ mitzubringen. Paternalismus kann eben auch sehr liebevoll sein.

Politikwissenschaftler spricht von einem konservativen Männerbündnis

Die Hamburger CDU wirke wie ein „reines, konservatives Männerbündnis“, konstatiert derweil der Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl. „Das ist auch gegenüber den Ole-von-Beust-Jahren ein absolut rückständiges Profil. Wer da spielt und wie in der Hamburger CDU gespielt wird, das ist ganz klar 2. Liga.“ Zwar wurde seit Jahren über Frauenförderung in der CDU geredet. Aber das Ergebnis? Alle sieben Kreisvorsitzenden: Männer. Alle vier Bundestagsabgeordneten: Männer. Parteichef und Fraktionschef: Männer. CDU-Bürgerschaftsvizepräsident: ein Mann. Für den neuen Partei- und Fraktionsvorsitz und das neue Bürgerschaftspräsidium gehandelte Kandidaten: ausschließlich Männer.

Immerhin gibt es in der neuen Bürgerschaftsfraktionen wieder drei Frauen – bei insgesamt 15 Abgeordneten. Humorbegabte Männer betonen gerne, dass der Frauenanteil damit auf 20 Prozent gestiegen sei. In der vergangenen Wahlperiode hätten zwar auch drei Frauen in der CDU-Fraktion gesessen – bei insgesamt 20 Abgeordneten sei deren Anteil mit 15 Prozent aber niedriger gewesen.

Konkrete Pro­bleme der Menschen lösen

Dass die Männer die wenigen verbliebenen Jobs auch künftig unter sich aufteilen wollen, ist dieser Tage gut zu beobachten. So unterstützt der Wandsbeker Kreischef und sehr engagierte bisherige Verkehrspolitiker Dennis Thering den Bundestagsabgeordneten Christoph Ploß bei dessen Ambitionen, als Nachfolger von Roland Heintze CDU-Chef zu werden. Ploß hilft dafür Thering bei dessen Wunsch, die Bürgerschaftsfraktion zu führen. Das tut auch der bisherige Fraktionschef André Trepoll, dem Thering dafür das gut dotierte Amt des Bürgerschaftsvizepräsidenten zusagt.

Viele der Beteiligten werden dieser Tage nicht müde zu betonen, es gehe in der CDU nicht um die Frage, ob man sich liberal oder konservativ ausrichte. Es gehe vielmehr darum, die konkreten Pro­bleme der Menschen zu lösen. Da kann man ja ruhig bei den konkreten Jobpro­blemen der CDU-Männerkader beginnen. Die sind ja auch nur Menschen.

Spiel mit offenen Karten

Immerhin spielen die Herren mit offenen Karten. Erstmals hat Thering dem Abendblatt nun seine Kandidatur für den Fraktionsvorsitz auch offiziell bestätigt. „Ich möchte in diesen schwierigen Zeiten für die CDU in Hamburg Verantwortung übernehmen“, sagte er. „Mit nur noch 15 Abgeordneten kommt auf uns voraussichtlich die Rolle als einzige bürgerliche Oppositionsfraktion zu, das ist eine enorme Aufgabe. Ich scheue diese Herausforderung nicht, sondern möchte sie mit voller Kraft angehen.“ Dabei freue er sich über Unterstützung seines Vorgängers Trepoll, so Thering. „Nach meinem Wunsch soll André Trepoll unsere Fraktion im Präsidium der Hamburgischen Bürgerschaft vertreten.“

Deal! Trepoll revanchiert sich umgehend. „Fünf Jahre Gesicht und Stimme der Opposition zu sein war eine großartige Erfahrung“, sagte er dem Abendblatt. Da seine Arbeit durch gute Teamleistung ermöglicht worden sei, „sehe ich es als meine Aufgabe an, Dennis Thering in seinem Wunsch zu unterstützen“. Der habe in Wandsbek gezeigt, dass er ein Team aufbauen könne. Auch Nord-Kreischef Christoph „Plossi“ Ploß hilft: Thering sei einer der „aktivsten, engagiertesten und kompetentesten“ Abgeordneten, er begrüße dessen Kandidatur.

Es geht um die Ausrichtung der Partei

Damit wäre das nun also geregelt. Was allerdings nicht bedeutet, dass alle Probleme restlos gelöst wären. Denn natürlich geht es nicht nur um Personen, sondern auch um die Ausrichtung der Partei. Und da zeigte sich am Donnerstagabend am Besenbinderhof recht deutlich, in welche Richtung die Reise gehen dürfte: zurück ins konservative Lager.

Fast schon auf einsamem Posten kämpfte der gescheiterte liberale Spitzenkandidat Marcus Weinberg, als er dafür warb, dass die CDU sich Zugang zu Studierenden, Auszubildenden, Gewerkschaftern, aber auch zu demonstrierenden jungen Menschen verschaffen müsse – dass sie sprach- und anschlussfähig an die wesentlichen Großstadtmilieus werden müsse und dafür eine langfristige Strategie brauche. Die meisten der Anwesenden werteten das katastrophale Wahlergebnis wohl als Beleg dafür, dass diese Strategie eben nicht funktioniere.

Philipp Heißner ist optimistisch

Die klarste Gegenrede zur Weinberg-Position hielt der Chef der Jugendorganisation Junge Union (JU), Philipp Heißner. „Es funktioniert nicht, anderen hinterherzulaufen“, sagte er unter großem Applaus. Als Beispiele nannte er das Projekt „autofreie Zone“ Ottensen und die Eimsbütteler Verkehrswende, an denen die CDU beteiligt gewesen sei. Das habe der CDU in Ottensen vier Prozent gebracht und in Eimsbüttel fünf.

„Die Menschen nehmen uns das nicht ab“, so Heißner. „Wir wollten uns als liberale Großstadtpartei präsentieren. Dabei hat eine Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung gezeigt: 44 Prozent trauen das der SPD zu, 24 Prozent den Grünen – und elf Prozent uns.“ Gleichwohl sei er optimistisch, dass es „eine Lücke, einen Marktplatz“ für die CDU gebe in dieser Stadt. „Wen soll man denn wählen, wenn man Infrastrukturausbau möchte, aber nicht an jeder Grünfläche einen Block im Stil der Neuen Heimat?“, so Heißner.

Den größten Applaus bekam JU-Chef Philipp Heißner

„Wen, wenn man Marktwirtschaft gut findet, aber auch einen starken Staat will, der die innere Sicherheit garantiert? Wen, wenn man vernünftige Finanzen will?“ Es gebe auch „nur eine Partei, die anerkennen kann, dass die meisten Menschen auf das Auto erst verzichten, wenn es eine genauso bequeme Alternative dazu gibt“, so der JU-Chef. „Es gibt diesen Platz in der politischen Landschaft mit 20, 30, 40 Prozent. Wir müssen den Hamburgerinnen und Hamburgern aber erklären, wo dieser Platz ist – und dass wir da ganz fest stehen.“

Für seine Rede bekam Heißner den stärksten Applaus. Dass gerade er als eines der wohl größten politischen Talente der Partei sein Mandat verloren hat und verkündete, er wolle nicht Parteichef werden, mag mancher an diesem Abend bedauert haben. Aber nicht jeder. Denn Heißner steht für einen klar konservativen Kurs – ebenso wie der neben Ploß als neuer Parteichef gehandelte Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries, der ebenfalls eine viel beklatschte Rede hielt. Damit sind die Hoffnungsträger der CDU Hamburg – Thering (35 Jahre), Ploß (34), Heißner (31), de Vries (45) – zwar in der Mehrheit jüngere Männer. Der Generationswechsel scheint also zu gelingen. Allerdings stehen sie durchweg für den konservativen Flügel, eher für Merz als für Laschet, eher für Schwarz-Gelb als für Schwarz-Grün – und damit für einen Kurs, den nicht alle in der CDU Hamburg für erfolgversprechend halten.

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„Die Hamburger CDU ist in einer desolaten Verfassung“, attestiert Politikwissenschaftler Wiesendahl. „Der liberale Flügel ist immer kleiner geworden.“ Es sei „vermutlich zunächst einmal das Beste, mit einem jungen Mann wie Thering die Erneuerung zu beginnen“. Langfristig aber müsse sich die CDU „für die Spitze jemanden suchen, der als gestandene Persönlichkeit eine bürgerliche Ausstrahlung in die Partei bringt – am besten jemand aus dem Großbürgertum, aus dem Unternehmertum, am allerbesten eine Frau.“ Bleibt nur eine Frage: Bekommt die von den Herren in der CDU zur Begrüßung dann eine Schultüte?