Hamburg. Rot ist es fast überall, grün besonders im Kern, die CDU wird an den Rand gedrängt, und die AfD ist nur im Süden stark.
Hamburg ist rot mit einem grünen Kern. So sieht es auf den ersten Blick aus, wenn man sich die Karte mit den Wahlergebnissen für die ganze Stadt anguckt. In 91 Stadtteilen haben die Hamburger mehrheitlich die SPD gewählt, in elf Stadtteilen die Grünen – und diese liegen alle geballt im Herzen der Stadt zwischen Ottensen, Hoheluft-Ost und Hammerbrook. Nur in zwei Stadtteilen konnte sich eine andere Partei behaupten: Auf dem Kleinen Grasbrook in Steinwerder holte Die Linke mehr als 40 Prozent der Stimmen.
Zwar sind die Stadtteile keine offizielle Einheit bei der Bürgerschaftswahl – hier wird mit Wahlbezirken und Wahlkreisen operiert –, an ihnen kann man sich aber deutlich besser orientieren als an den mehr als 1800 Stimmbezirken. In die Stadtteilergebnisse fließen sowohl die Stimmen ein, die vor Ort an den Urnen abgegeben wurden, als auch die Stimmen aus der Briefwahl. So kann man ein genaues Bild davon bekommen, wo welche Partei ihre Hochburg hat und wie die eigene Nachbarschaft gewählt hat.
Bürgerschaftswahl 2020: SPD-Hochburg im Bezirk Harburg
Achtung, nicht wundern: Da in kleineren Stadtteilen die Mindestzahl an Briefwählern allerdings häufig nicht erreicht wird, wurden diese vorab zusammengefasst – so zum Beispiel Waltershof und Finkenwerder oder Moorburg, Altenwerder, Francop, Neuenfelde und Cranz. Die Karten sind deshalb nur in 90 und nicht in 104 Stadtteile unterteilt.
Guckt man sich diese nun aus Sicht der SPD an, könnte man sich die Frage stellen: Wo hätten die Sozialdemokraten alleine regieren können? In Waltershof und Finkenwerder im Südwesten und Steilshoop im Bezirk Wandsbek beispielsweise holte die Partei von Bürgermeister Peter Tschentscher knapp über 50 Prozent. Die absolute Hochburg, abgesehen von einem sehr kleinen Wahllokal in einem Altenheim in Wilstorf im Bezirk Harburg, wo mehr als 65 Prozent der rund 600 abgegebenen Stimmen für die SPD waren, liegt ganz im Osten der Stadt in Billstedt. 51,1 Prozent der Wähler entschieden sich hier für die Sozialdemokraten.
Einer von ihnen ist der Rentner Tsaridis Nikolaus. Für ihn ist der Slogan „Die ganze Stadt im Blick“ mehr als Wahlkampfwerbung: „Die SPD setzt sich noch für alle Leute ein“, sagt der Billstedter. In einem Stadtteil, in dem der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bei mehr als 58 Prozent liegt und knapp 20 Prozent der Bewohner Hartz IV und andere Sozialleistungen beziehen, also doppelt so viele wie im Hamburger Durchschnitt, fühlen sich die Menschen von der SPD angesprochen.
Die wenigsten Stimmen erhielt die Partei im Bereich Altona, Sternschanze, St. Pauli. Hier lagen die Sozialdemokraten auch mal unter 20 Prozent. Und auf dem Kleinen Grasbrook sogar nur bei rund zehn.
40 Prozent für die Grünen in Eimsbüttel und Hoheluft
Anders als bei der SPD liegen die grünen Hochburgen direkt nebeneinander: In Eimsbüttel, Hoheluft-West und der Sternschanze konnte die Partei von Katharina Fegebank jeweils um die 40 Prozent einfahren. In einem Wahllokal sind sie nah an der absoluten Mehrheit. Dass zwischen Osterstraße und Generalsviertel die klassische Grünen-Klientel wohnt, ist nicht neu – das zeigte sich schon bei den Bezirksversammlungswahlen im vergangenen Jahr. Damals konnte die Partei hier Traumquoten von rund 50 Prozent erzielen. Autofreie Zonen, Carsharing, Fahrradwege, Biolebensmittel – alles Thema hier.
Auch bei Rebecca Wulf vom Eimsbütteler Tee Kontor. Die 47-Jährige hat die Grünen gewählt, weil „es für mich wegen der Klimafrage keine andere Partei gibt“. So sehen es auch andere Menschen aus dem Stadtteil, Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind Begriffe, die immer wieder fallen. Doch komplett ohne Autos geht es auch hier nicht: „Die Fahrradwegsituation vor unserem Laden ist zum Beispiel schlecht, wir haben kaum mehr Platz zum Parken und Ausladen“, sagt Rebecca Wulf. „Da müssen die Grünen eine andere Lösung finden.“ Und auch ein junger Mann, der auf der Osterstraße unterwegs ist, sieht Handlungsbedarf. „Die Infrastruktur und die Baustellensituation müssen sich verbessern“, sagt er. „Auch die Mietsituation muss sich ändern.“ Den Grünen alleine hat er das allerdings nicht zugetraut und deshalb einen Teil seiner Stimmen der SPD gegeben.
Unzufriedene Wähler der CDU
Je weiter man sich von der Mitte der Stadt entfernt, desto kleiner werden die Stimmenanteile für die Grünen. Während diese in Ottensen, St. Pauli, Altona-Nord, Altona-Altstadt und St. Georg deutlich über 30 Prozent liegen, konnte die Partei in Neuland und Gut Moor ganz im Süden sowie in Billstedt, der SPD-Hochburg, „nur“ rund elf Prozent erreichen. Einstellig sind sie aber in keinem einzigen Stadtteil.
Anders bei der CDU. Da, wo die Grünen triumphieren, dümpeln die Christdemokraten bei gerade einmal drei Prozent. Um zumindest annähernd Werte zu finden, wie sie die Union in Hamburg früher einmal gewohnt war, muss man schon Richtung Stadtrand gucken. Im Norden, wie in Lemsahl-Mellingstedt und Wellingsbüttel, oder in Nienstedten im Westen liegt der Stimmenanteil bei knapp über 20 Prozent. Die Hochburgen liegen aber im Südosten im Bezirk Bergedorf. In den zusammengelegten Stadtteilen Reitbrook, Allermöhe, Billwerder, Moorfleet, Tatenberg und Spadenland konnte die CDU fast 25 Prozent der Stimmen holen, in Kirchwerder und Neuengamme ähnlich viele. Zufrieden mit dem Abschneiden ihrer Partei sind die Wähler hier verständlicherweise nicht.
Komplett konträr zur CDU verhält es sich mit der Linken
Sie habe schon gehofft, dass die Partei von Marcus Weinberg mehr Stimmen bekommt, sagt eine ältere Frau aus Allermöhe. Sie sei mit dem Wahlergebnis ebenso unzufrieden wie mit der Politik im Allgemeinen, hat aber auch ein ganz konkretes Anliegen: „Ich hab die CDU auch gewählt, weil ich dem neuen Bauprojekt in Oberbillwerder sehr skeptisch gegenüberstehe“, sagt sie. Hier soll mit Tausenden geplanten Wohnungen Hamburgs 105. Stadtteil entstehen.
Komplett konträr zur CDU verhält es sich mit der Linken. Dort, wo die Union quasi kaum noch messbare Werte erreicht hat, liegt die Partei von Spitzenkandidatin Cansu Özdemir ganz vorne: Auf dem Kleinen Grasbrook, in Steinwerder und auf der Veddel. Hier konnten die Linken teilweise 40 Prozent der Stimmen holen. Allerdings leben in diesen Stadtteilen auch insgesamt nur rund 2600 Wahlberechtigte. Es ist nicht ganz einfach, hier einen Tag nach der Wahl auf der Straße wirklich einen Bewohner anzutreffen – die, die man hier anspricht, haben mit ziemlicher Sicherheit aber auch für die Linken gestimmt.
Und das vor allem, weil sie unzufrieden mit den anderen Parteien sind. „SPD und CDU versprechen immer ganz viel und machen wenig für uns, und die Grünen haben auch nicht geschafft, dass sich hier was ändert“, sagt ein Student, der seinen Namen nicht nennen will. Ähnlich sieht es der Trainer eines ansässigen Fußballvereins, der ebenfalls anonym bleiben möchte: „Die regierenden Parteien haben am falschen Ende gespart, also muss man wen anders wählen“, sagt er.
Wahl in Hamburg: In den Elbvororten hat die FDP ihre Heimat
Überdurchschnittlich stark sind die Linken auch naturgemäß auf St. Pauli und in der Sternschanze (fast 30 Prozent) sowie in Altona und Ottensen. Ginge es nach den Wählern in diesen Stadtteilen, wäre die AfD nicht erneut in der Bürgerschaft vertreten. Überhaupt erhielt die Partei in sämtlichen Stadtteilen zwischen Blankenese, Bahrenfeld, Groß Borstel, Barmbek, Hammerbrook und Veddel jeweils keine fünf Prozent. Guckt man auf die Karte, so ist für die AfD in Hamburgs Mitte nichts zu holen. Die Hochburgen liegen allesamt im Süden, in Neuland und Gut Moor, Neuallermöhe und Hausbruch, wo jeweils mehr als elf Prozent der Wähler für die Partei stimmten.
Sicher drin in der Bürgerschaft wäre die FDP, wenn es nach den Wählern in den Elbvororten ginge: In Nienstedten, Blankenese, Groß Flottbek und Othmarschen, der Heimat von Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels, holten die Liberalen bis zu 14 Prozent. Auch in Harvestehude und Rotherbaum sowie ganz im Norden in Wohldorf-Ohlstedt und Wellingsbüttel leben viele FDP-Wähler.
Apropos Fünfprozenthürde: Auf dem Kleinen Grasbrook und in Steinwerder sowie auf der Veddel hätte es Die Partei mit ihrer Satire in die Bürgerschaft geschafft.