Hamburg. Richterspruch beendet Versuch in Ottensen vorzeitig. Schilder werden „zeitnah“ abmontiert. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Oliver Hoß, Inhaber der Fahrschule Boom an der Großen Rainstraße in Ottensen, erfuhr die frohe Botschaft am Dienstag während einer Fahrstunde. Das Verwaltungsgericht Hamburg gab seinem Eilantrag sowie dem Antrag eines weiteren Gewerbetreibenden statt. Der Verkehrsversuch „Ottensen macht Platz“, der das Zentrum des Stadtteils zur weitgehend autofreien Zone erklärt hat, ist nach Ansicht der Richter „mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig“. Als erste Reaktion kündigte das Bezirksamt Altona an, die „versuchsweise eingerichtete Beschilderung für eine Fußgängerzone zeitnah aufzuheben“. Den genauen Zeitpunkt werde man noch bekannt geben. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was ist „Ottensen macht Platz“ genau?
Für ein halbes Jahr, von September 2019 bis Ende Februar 2020, dürfen nur noch Taxen sowie Anwohner mit einem Stellplatz in die Zone fahren. Lieferverkehr ist nur von 23 bis 11 Uhr erlaubt. Mit dem Versuch will der Bezirk zeigen, dass „Mobilität gerade in einem Viertel wie Ottensen mit kurzen Wegen und engen Straßen nicht immer mit dem Auto stattfinden muss“.
Warum ist das Projekt so umstritten?
Die Gegner, die sich in der Initiative „Ottensen bewegt“ formiert haben, halten das Konzept für nicht durchdacht und sehen „existenzielle Gefahren für das lokale Gewerbe“. Der Inhaber einer Reinigung etwa klagt über massive Umsatzeinbußen durch den Verlust von Großkunden. Fahrschulinhaber Hoß fühlt sich seit Monaten vom Bezirk getäuscht: „Ich war immer an einem vernünftigen Kompromiss interessiert. Aber wir wurden ständig hingehalten, an Absprachen hat man sich nicht gehalten.“ Die schließlich angebotene Regelung einer Haltemöglichkeit von lediglich drei Minuten für seine Autos und Motorräder am Spritzenplatz (also nicht direkt vor seiner Fahrschule) sei für ihn nicht tragbar: „Das ist viel zu kurz.“ Daher reichte Hoß wie ein anderer Gewerbetreibender einen Eilantrag gegen das Projekt ein. Beiden Anträgen wurde stattgeben.
Was sind die Hintergründe der Entscheidung des Verwaltungsgerichts?
Die Richter sehen für die mit dem Einfahr-Verbot „verbundenen Eingriffe in die Rechte der Anlieger keine tragfähige gesetzliche Grundlage“. Hintergrund: „Die Straßenverkehrsordnung sieht Verkehrsbeschränkungen auf Probe nur vor, wenn eine Gefahrenlage besteht.“ Eine solche Gefahrenlage bestehe aber nicht.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Schilder werden abmontiert, die Sitzmöbel wieder entfernt. Dies soll „zeitnah“ geschehen. Bis dahin gelten die Regeln im Versuchsgebiet allerdings weiter. Nur die Fahrzeuge der Kläger dürfen das Projektgebiet ab sofort uneingeschränkt wieder befahren, da ihrem Eilantrag stattgegeben wurde.
Kann sich die Rechtslage ändern?
Ja. Auf Bundesebene soll die Straßenverkehrsordnung im Sinne einer Verkehrswende in mehreren Punkten geändert werden. Der Bundesrat will am 14. Februar über eine Änderung der Straßenverkehrsordnung den Weg frei machen für Verkehrsversuche, ohne dass dafür eine Gefahrenlage vorliegen muss. Dabei geht es auch um privilegierte Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge, um mehr Sicherheit für Fahrradfahrer – und eben auch um die Möglichkeit, Kommunen Verkehrsversuche zu erleichtern. Dies ist besonders für die Grünen sehr wichtig, da sie mit autofreien Zonen in Innenstadtbezirken im Wahlkampf punkten wollen.
Was bedeutet das Urteil für die Entscheidung der Bezirksversammlung?
Formal bleibt alles beim Zeitplan. Anfang der kommenden Woche werden die Fraktionen über die Ergebnisse der Studie der TU Hamburg informiert. Uni-Mitarbeiter haben Anwohner, Passanten und Gewerbetreibende befragt, zudem geprüft, wie sich die autofreie Zone auf den Verkehr in den umliegenden Straßen ausgewirkt hat. Am 20. Februar will dann die Bezirksversammlung entscheiden, ob die Zone auf Dauer autofrei bleibt. Grüne und CDU waren die Initiatoren des Projekts, mit ihrer Mehrheit könnten sie dafür sorgen, dass die Schilder schon bald wieder aufgestellt werden.
Wie waren die politischen Reaktionen?
„Die Erkenntnisse, die wir derzeit gewinnen, sind wertvoll für künftige Planungen“, sagte Tim Schmuckall, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion Altona. Auch Eva Botzenhart (Grüne Altona) gibt sich entspannt: „Es ist nichts weiter passiert, als dass das Pilotprojekt etwas früher beendet werden muss als geplant.“ FDP-Fraktionschefin Katarina Blume kündigte an, dass ihre Partei „konstruktiv“ an einer Lösung arbeiten werde: „Das Gerichtsurteil stellt den Höhepunkt einer fehlgeleiteten Verkehrspolitik dar, die es jetzt zu heilen gilt.“ Mihat Capar, Distriktsvorsitzender der SPD Ottensen, kritisiert: „Die Befürworter haben das Projekt über das Knie gebrochen und Anwohner wie Geschäftsleute vor vollendete Tatsachen gestellt.“ Intern dürfte es nun auch darum gehen, warum die Behörden-Juristen die Rechtslage falsch eingeschätzt haben. Ein Bezirkspolitiker sagte dem Abendblatt: „Wir haben uns darauf verlassen, dass die Regelung rechtlich hält.“
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Vieles spricht dafür, dass sich die Fronten verhärten. So gab es im Netz am Dienstag Boykott-Aufrufe gegenüber Gewerbetreibenden, die fälschlicherweise als Kläger eingeschätzt werden. Auch Befürworter des Projekts baten eindringlich, derartige Aufrufe zu unterlassen. Oliver Hoß zeigte sich entsetzt: „Ich bin für Gespräche immer offen, aber so darf man nicht miteinander umgehen.“