Hamburg. Beteiligung in den 104 Stadtteilen ist höchst unterschiedlich – zwischen 41 Prozent in Billstedt und 81,1 Prozent in Groß Flottbek.
Immerhin in diesem Punkt waren sich alle Parteien einig: Sie bewerten positiv, dass die Wahlbeteiligung bei der Bürgerschaftswahl deutlich gestiegen ist: von 56,5 auf 63,2 Prozent. Weniger erfreulich sind die Unterschiede, die sich im Vergleich der 104 Stadtteile zeigen. Da schwanken die Zahlen zwischen 41 Prozent in Jenfeld und 81,1 Prozent in Groß Flottbek.
Es ist natürlich kein neues Phänomen, dass in den Quartieren, in denen die Einwohner überdurchschnittlich wohlhabend und gebildet sind, auch die Wahlbeteiligung besonders hoch ist – während umgekehrt, dort, wo es große soziale Probleme und Armut gibt, viel weniger Menschen an die Urnen gehen. „Das ,Reich-arm-Gefälle‘ bei der Wahlbeteiligung war schon bei der Wahl 2011 zu beobachten und hat sich 2015 noch etwas verstärkt.“ So stand es in der offiziellen Wahlanalyse des Statistikamts Nord vor fünf Jahren.
Kluft bei der Wahlbeteiligung ist größer geworden
Die Statistiker hatten die Stadtteile mit besonders hohem Anteil an Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfängern mit denen verglichen, die einen besonders niedrigen Anteil aufweisen – und festgestellt, dass die Kluft bei der Wahlbeteiligung größer geworden ist. Die Analyse zur Wahl 2020 wird zwar erst in den kommenden Wochen erarbeitet, aber dieser Satz wird sich nicht wiederfinden. Denn, und das ist die gute Nachricht, die „politische Schere“ ist zumindest nicht noch weiter aufgegangen.
Wenn man die Veränderungen der Zahlen betrachtet, so sind in einigen Stadtteilen mit zwar immer noch niedriger Wahlbeteiligung besonders große Steigerungen festzustellen. So stieg die Beteiligung in Harburg (dem Stadtteil, nicht dem Bezirk) um 19,1 Prozent an (von 40,4 auf 48,1). In Horn waren es 15,6 Prozent (von 39,8 auf 46,0). Im Hamburger Durchschnitt betrug der Anstieg 11,9 Prozent (oder 6,7 Prozentpunkte). Das gilt aber längst nicht für alle dieser Quartiere. So blieb der Anstieg etwa in Steilshoop (+ 7,8 Prozent). Jenfeld (+ 9,3 Prozent) und Neuallermöhe (+ 10,8 Prozent) unterdurchschnittlich.
Bürgerschaftspräsidentin spricht von Trendwende
Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit spricht schon von einer „,Trendwende‘. Wir freuen uns, dass die Wahlbeteiligung so spürbar angezogen hat, nachdem sie zuletzt viermal in Folge gesunken war. Das ist ein großartiger Erfolg für unsere parlamentarische Demokratie“, sagte sie. Warum aber wählen die Menschen immer noch gerade dort, wo ihre persönlichen Probleme am größten sind, so selten? Eigentlich sollten sie doch das größte Interesse haben, etwas zu verändern. Das liegt offensichtlich daran, dass sie den Parteien – und zwar allen – nicht zutrauen, die Situation zu verbessern.
Von den 17 Wahlkreisen ist „02 Billstedt-Wilhelmsburg-Finkenwerder“ der mit den wenigsten Wählern – nur 47,7 Prozent nahmen teil. Es ist der Wahlkreis von Ralf Neubauer (SPD), der dort direkt gewählt wurde. „Die Politik erreicht viele Menschen dort gar nicht mehr“, sagt er. „Und Image- und Wahlkampagnen der Bürgerschaft ändern das auch nicht“, fügt er hinzu.
Konkrete Projekte vor Ort
Er wird häufig mit der Aussage konfrontiert, dass „sich um uns ja sowieso keiner kümmert“ – dass also die Politik viel zu wenig für solche Stadtteile tue. „Das ist so pauschal natürlich nicht richtig, aber ganz von der Hand zu weisen lässt sich das eben auch nicht“, sagt Neubauer. Viele auch noch so kleine Maßnahmen dauerten bisweilen viel zu lang: Ob es nun um die Einzäunung einer Hundeauslauffläche oder das Aufstellen von ein paar Fahrradbügeln gehe. „Was in Blankenese oder Eimsbüttel sehr schnell geht, weil die Leute wissen, wie man Druck erzeugt, kann hier lähmend langwierig sein.“
Neubauer sieht die Aufgabe, Abhilfe zu schaffen, vor allem bei seiner eigenen Partei. „Wer sonst, wenn nicht die SPD, soll sich kümmern? Die Grünen bestimmt nicht ...“, sagt der Rechtsanwalt. Er habe sich vorgenommen, in den kommenden fünf Jahren an vielen kleinen, ganz konkreten Projekten vor Ort zu arbeiten – und Hilfe zu leisten. „Zum Beispiel auch eine Miet- oder Sozialberatung anzubieten. Die Leute sollen merken, dass sich jemand um ihre Probleme kümmert.“
Schreckt das Hamburger Wahlrecht Wähler ab?
Manche glauben, dass auch das Hamburger Wahlrecht mit seinen zehn Stimmen und der Möglichkeit, zu kumulieren und zu panaschieren, einige Wähler abschreckt. Diese These lässt sich zumindest nicht eindeutig belegen. Wenn man als Stichprobe bei verschiedenen Bürgerschafts- und Bundestagswahlen jeweils die Wahlbeteiligungen in Jenfeld, Steilshoop und Harburg mit der in Nienstedten vergleicht, ergibt sich folgendes Bild: Bei der Bundestagswahl 2017 war die Beteiligung in Nienstedten um 53 Prozent höher als in Jenfeld (im Verhältnis zu Steilshoop: 42,4; zu Harburg 39,7 Prozent).
Bei der aktuellen Bürgerschaftswahl waren die Unterschieed deutlich größer: 92,0, 68,8 beziehungsweise 64,2 Prozent. Ob das aber am einfacheren Wahlrecht bei Bundestagswahlen liegt, ist eine Frage der Interpretation. Zumal die Unterschiede auch bei der (nach altem Wahlrecht abgehaltenen) Bürgerschaftswahl 2008 größer waren. Damals war die Beteiligung in Nienstedten um 68,9 Prozent höher als in Jenfeld (Steilshoop: 49,7; Harburg: 75 Prozent).
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Eine eindeutige Antwort gibt Manfred Brandt – er war einer der Initiatoren, die mit dem Verein „Mehr Demokratie“ das neue Wahlrecht auf den Weg brachten, das per Volksabstimmung angenommen wurde. Er betont, dass die Zahl der ungültigen Stimmen bei der jüngsten Wahl in etwa auf dem Niveau der vorangegangenen Bundestagswahlen liegt.
Die offiziellen Zahlen bestätigen das: 1,2 Prozent der Stimmen (bei den Landeslisten) und 1,8 Prozent (Wahlkreislisten) wurden ungültig gewertet. 2015 waren es jeweils 2,8 Prozent gewesen. Das liegt zum einen daran, dass diesmal Stimmen „geheilt“ wurden, wenn der Wählerwille klar erkennbar war (wir berichteten). Aber laut Brandt eben auch daran, dass sich die Hamburger mittlerweile an das Wahlrecht gewöhnt hätten.