Hamburg. SPD, Grüne, Linke und FDP einigen sich auf einen Minimalkonsens. Hauptziel war es, einen erneuten Volksentscheid zu verhindern. Massive Kritik von der CDU

Nach langwierigen Diskussionen über das vielen als zu kompliziert geltende Hamburger Wahlrecht ist doch nur ein Reförmchen herauskommen: Ein eher ungewöhnliches Bündnis von SPD, Grünen, Linken und FDP hat sich auf kleine Korrekturen an den bestehenden Regelungen geeinigt.

Hauptziel der vier Fraktionen war es, einen erneuten Volksentscheid über das Wahlrecht zu vermeiden. Deswegen wurden alle geplanten Änderungen vorab mit dem Verein „Mehr Demokratie“ besprochen. „Die Änderungen sind vernünftig und angemessen“, sagte Manfred Brandt, Gründer und Motor von „Mehr Demokratie“, der das im Wesentlichen noch geltende Wahlrecht 2004 per Volksentscheid durchgesetzt hatte. „Ich hoffe, dass wir jetzt längere Zeit Ruhe an der Wahlrechtsfront haben und wünsche für die Zukunft fröhliches Kumulieren und Panaschieren“, sagte Brandt gut gelaunt bei der Vorstellung der Gesetzesänderungen im Rathaus.

Bei der Bürgerschaftswahl hat jeder Wahlberechtigte zehn Stimmen – fünf Landesstimmen für die Kandidaten auf den Landeslisten der Parteien und Wählervereinigungen oder für die Landeslisten insgesamt sowie fünf Wahlkreisstimmen für die dort antretenden Kandidaten. Die Stimmen können auf einen Kandidaten/eine Liste gehäuft (Kumulieren) oder auf mehrere Kandidaten/Listen verteilt werden (Panaschieren).

Vor allem die große Zahl der Stimmen und die Regeln ihrer Verteilung sowie die große Zahl der (häufig unbekannten) Kandidaten gilt Kritikern als Argument dafür, dass das Wahlrecht die Bürger überfordern könnte. „Das neue Wahlrecht hat leider nicht zu einer höheren Wahlbeteiligung geführt. Aber die Experten, die wir befragt haben, haben gesagt, dass die niedrige Wahlbeteiligung nicht am Wahlrecht liegt“, sagte Olaf Steinbiß, verfassungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. „Die niedrige Wahlbeteiligung hat andere Ursachen“, sagte auch Grünen-Verfassungspolitiker Farid Müller.

Immerhin 2,8 Prozent der abgegebenen Stimmen waren bei der Wahl 2015 ungültig. Die vier Fraktionen einigte sich darauf, sogenannte „Heilungsregelungen“ einzuführen, um die Zahl ungültiger Stimmen zu senken. Das bedeutet: Wenn der Wählerwille auf einem Stimmzettel klar erkennbar ist, obwohl ein formaler Fehler gemacht wurde, soll die Stimmabgabe gewertet werden.

Mehr Übersichtlichkeit auf dem seitenlangen Stimmzettel soll diese Veränderung schaffen: Künftig ist für die Reihenfolge der Parteien auf den Wahlkreisstimmzetteln nicht mehr die Zahl der Kandidaten entscheidend, sondern das Ergebnis der vorausgegangenen Wahl. Das soll dazu führen, dass Parteien nicht mehr möglichst viele Kandidaten nominieren. Menschen, die dauerhaft voll betreut werden, sollen künftig an den Bürgerschafts- und Bezirkswahlen teilnehmen dürfen.

„Die wenigen Korrekturen ändern den Charakter des Wahlrechts nicht. Der Einfluss der Bürger auf die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft bleibt erhalten“, sagte Christiane Schneider (Linke). „Weitere Einschränkungen wären mit uns nicht zu machen gewesen“, betonte Kurt Duwe (FDP).

Ein zentrales verfassungsrechtliches Problem haben die vier Fraktionen ausgeklammert, weil sie sich nicht einigen konnten. Es kann passieren, dass bei der Zuteilung innerhalb der Landesliste die auf einen Kandidaten abgegebenen Personenstimmen gerade verhindern, dass der Kandidat gewählt wird, weil dadurch das Verhältnis von Listen- und Personenstimmen verändert wird (negatives Stimmengewicht). „Das ist ein Problem, aber es gibt noch kein Verfassungsgerichtsurteil dazu“, sagte Müller. Steinbiß: „Mit der jetzigen Regelung kann man gerade noch leben.“

Massive Kritik kommt von der CDU. „Es wird nur an den Symptomen herumgedoktert, statt die Ursachen für die Unzufriedenheit der Hamburger mit dem Wahlrecht zu bekämpfen“, sagte CDU-Fraktionschef André Trepoll. „Das Wahlrecht bleibt viel zu kompliziert, unsozial und schreckt viele Menschen vom Wählen ab.“ Die CDU will die fünf Landeslistenstimmen auf eine reduzieren. Auch die AfD hat einen Reformvorschlag vorgelegt, der unter anderem die Reduzierung der Wahlkreise von 17 auf sieben vorsieht und den Parteilisten stärkeres Gewicht gibt.