Hamburg. Nach Abendblatt-Bericht über falsche Daten werfen CDU, FDP und Linkspartei Senat Inkompetenz vor. Bürgerschaft stimmt aber zu.
Vor der heutigen Abstimmung in der Bürgerschaft hat der Abendblatt-Bericht über Fehler im Klimaplan des Senats für Kritik von Opposition und Umweltverbänden gesorgt.
„Rot-Grün kann nicht rechnen, weder bei den Finanzen, noch bei Klimawerten“, sagte die Vorsitzende der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Anna von Treuenfels. „Dieser sogenannte Klimaplan entpuppt sich immer mehr als PR-Fake: Hektisch zusammengeschustert, unzureichend durchdacht, nicht solide finanziert und offensichtlich mit falschen Grundannahmen versehen. Der Senat beweist Inkompetenz und Umweltsenator Kerstan mutiert zum Klimakasper.“
Senatszahlen decken sich nicht mit allgemeiner Entwicklung
„Seine eigenen peinlichen Fehler nutzt der Senat jetzt auch noch als Ausrede, um den Autoverkehr nicht ernsthaft einzuschränken – das zeigt klar, dass SPD und Grüne die Klima- und Verkehrswende gar nicht ernsthaft wollen“, sagte der umweltpolitische Sprecher der Linkspartei, Stephan Jersch. „Die seit Jahren von der Wirklichkeit überholte Datenbasis ist aber nur ein Problem des Klimaplans. Auch die Wirkung der darin enthaltenen Maßnahmen ist, um es mal höflich zu sagen, extrem optimistisch berechnet.“
Wie berichtet, will der Senat mit seinem 400 Maßnahmen umfassenden Klimaplan erreichen, dass die CO2-Emissionen in der Stadt um 55 Prozent reduziert werden: Von 20,7 Millionen Tonnen in 1990 auf 9,3 Millionen Tonnen in 2030. In seinem Papier behauptet der Senat, dass der CO2-Ausstoß im Verkehrsbereich von 1990 bis 2003 bereits um mehr als eine Million Tonnen oder gut 18 Prozent zurückgegangen sei – allein dadurch wären knapp zehn Prozent der insgesamt nötigen Einsparungen schon erreicht. Das deckt sich jedoch nicht mit der allgemeinen Entwicklung. So ist laut Umweltbundesamt der bundesweite Kohlendioxid-Ausstoß des Verkehrssektors in dem Zeitraum in etwa gleich geblieben – und es gibt kein Indiz dafür, dass die Entwicklung in Hamburg so viel besser gewesen sein soll.
Ist schon der Ausgangswert für 1990 falsch?
Der entscheidende Punkt ist aber: Wie aus Daten des Statistikamts Nord hervorgeht, auf die sich der Senat selbst bezieht, hat der angebliche Rückgang in dem 13-Jahres-Zeitraum fast vollständig in einem einzigen Jahr stattgefunden, nämlich 1992: In dem Jahr sollen die CO2-Emissionen allein im Straßenverkehr um ebenfalls eine Million Tonnen oder gut 24 Prozent zurückgegangen sein. Das hatten jedoch mehrere Experten unabhängig voneinander gegenüber dem Abendblatt als völlig unrealistisch bezeichnet. Rechnet man diesen angeblichen Effekt heraus, hat es von 1990 bis 2003 aber praktisch keinen Rückgang der Verkehrs-Emissionen gegeben und damit wären die ganze Berechnung im Klimaplan zumindest für diesen Sektor kaum haltbar.
Die Umweltbehörde hatte im Prinzip eingeräumt, dass schon der Ausgangswert für 1990 falsch sein müsse, aber beteuert, dass es nun mal keine anderen Daten für die 90er Jahre gebe. Daher wolle man an dem Klimaplan festhalten. „Nach dem Rückgang Anfang der 1990er erscheint es so, dass die Verkehrs-Emissionen im Basisjahr 1990 zu hoch angesetzt waren“, hatte Jan Dube, Sprecher der Umweltbehörde, dem Abendblatt mitgeteilt. Er betonte aber auch: „Das Basisjahr 1990 können wir nicht mehr nachträglich korrigieren. Entscheidend ist, welche Emissionen der Verkehrsbereich im zuletzt ermittelten Jahr 2017 in Hamburg zu verantworten hatte, und welchen Beitrag er leisten muss, damit Hamburg seine Verpflichtung der Emissionsreduzierung bis 2030 erfüllen kann. Statistische Unklarheiten aus der Vergangenheit sind für diese in die Zukunft gerichtete Sektorverpflichtung völlig unerheblich.“
Kritik kommt auch von Umweltschützern
Das sieht die Opposition freilich anders. „Der rot-grüne Klimaplan ist eine Geschichte von handwerklichen Fehlern, Schlendrian und Irreführungen“, sagte Stephan Gamm, umweltpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. „Trotz der immensen Bearbeitungsdauer von zweieinhalb Jahren wurde erst EU-Recht übersehen und jetzt beruhen die Berechnungen zur Erreichung der Einsparziele auf teilweise falschen Daten.“ Gamm kritisierte auch einzelne Maßnahmen und das Tempo, mit dem SPD und Grüne den Klimaplan unbedingt „als letzte große Leistung unmittelbar vor der Bürgerschaftswahl“ präsentieren wollten: „Klimaschutzpolitik einzig als Mittel im Wahlkampf zu nutzen, wird der Bedeutung dieses wichtigen Themas nicht gerecht. Der Senat sollte nun endlich unserer Forderung nachkommen und den Klimaplan sofort zurückziehen und überarbeiten.“
Kritik übte auch der Umweltverband BUND: „Statistikprobleme, die fast 30 Jahr alt sind, gehören aufgeklärt, keine Frage“, sagte BUND-Landesgeschäftsführer Manfred Braasch. „Viel wichtiger ist aber, die vom Senat beschlossenen Maßnahmen auf Herz und Nieren zu prüfen. Und da gibt es wirklich viele Fragezeichen.“
Volksinitiative waren Fehler zuerst aufgefallen
So sei unklar, ob die im Klimaplan gekannten 26 Einzelmaßnahmen zum ÖPNV-Ausbau tatsächlich die erhoffte CO2-Einsparung erzielen könnten. Generell würden im Verkehrssektor zu wenig konkrete Maßnahmen zur Eindämmung des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) vorgeschlagen, so Braasch. „Der Hamburger Klimaplan zeigt zwar in die richtige Richtung, hat aber noch zu viele blinde Flecken. Hamburg muss bis 2035 klimaneutral werden. Wie die Stadt das schaffen kann, muss die neue Regierung aufzeigen und den Klimaplan überarbeiten. Daran geht nach den Wahlen kein Weg vorbei.“
Auch die Volksinitiative für eine autofreie Innenstadt, der die Fehler in der Berechnung zuerst aufgefallen waren, hatte diese zum Anlass genommen, ihre Forderung zu erneuern: „Der Fehler macht deutlich, dass der rot-grüne Senat den Verkehrssektor bei den CO2-Einsparungen mit allen Mitteln verschonen will“, so Initiativen-Sprecher Bernd Kroll. „An einer autofreien Innenstadt führt kein Weg vorbei, denn es ist die einzige Maßnahme, die sofort umgesetzt werden kann und die tatsächlich zu einer deutlichen CO2-Einsparung im Verkehrssektor in ganz Hamburg führt.“
Ungeachtet der Kritik hat die rot-grüne Mehrheit in der Bürgerschaft das neue Klimaschutzgesetz am Mittwochabend beschlossen. Einer Verfassungsänderung, die Klimaschutz als Staatsziel verankert, stimmten auch CDU und Linke zu. FDP und AfD lehnten das ab.