Hamburg. 300 Aktivisten der Initiative „Friday for Future“ diskutierten mit Peter Tschentscher: „Butter bei die Fische, Herr Bürgermeister!“

Was ist, wenn Hamburgs Erster Bürgermeister auf Oberhemd und Krawatte verzichtet, im schummrigen Licht auf einem speckigen Ledersofa Platz nimmt, und der Tisch vor ihm aus einem Bierfass plus Holzplatte besteht? Dann ist Wahlkampf der anderen Art: schnörkellos, bodenständig, trotz des grünen Oberthemas unverblümt. Herzlich willkommen im Veranstaltungszentrum „Knust“, zwischen Schlachthof und Millerntor-Stadion zentral gelegen. Zur Sache, Peter Tschentscher.

Das Motto der Diskussionsveranstaltung am Sonntagnachmittag lässt keinen Spielraum für Wortgirlanden: „Jetz’ mal Butter bei die Fische.“ 300 Mitglieder und Sympathisanten der Initiative „Fridays for Future“ sitzen auf Bierbänken oder stehen an der Theke, um klare Aussagen zu hören. Tenor: Warum versagen Politik und Wirtschaft in Sachen Klimaschutz? Im Großen geht es um Erderwärmung, Luftverschmutzung, Raubbau, im Lokalen um eine autofreie Innenstadt, Kraftwerke, Stadtbahn. Neben dem sozialdemokratischen Bürgermeister sitzen zwei gewählte Fragesteller der etwa 140 Aktivisten umfassenden Ortsgruppe von „Friday for Future“.

Mehr Flüge sind das Gegenteil von Klimaschutz

Annika Rittmann, 17 Jahre alt und aus der zwölften Klasse des Gymnasiums Blankenese, erweist sich ebenso wie Mitstreiter Jesko Hennig, Student der Politikwissenschaften, als faktenstark, eloquent und mutig. Ebenso lustvoll wie kompetent fühlen sie dem Bürgermeister auf den Zahn.

„Immer mehr Direktflüge von Fuhlsbüttel aus sind doch das Gegenteil von Klimaschutz“, meint Annika. Und: „Warum orientieren sich die Maßnahmen des Hamburger Klimaplans an der Wirtschaft?“. Der zwei Jahre ältere Jesko spricht von der „größten Menschheitskrise“ und will wissen: „Warum hat die SPD früher die Straßenbahn abgeschafft?“ Annika setzt nach: „Brauchen wir die Straßen nur für Autos oder besser für eine moderne Bahn?“ Beide haben konkrete Zahlen parat. Und: Sie lassen sich nicht abwimmeln.

Lockerer, gut aufgelegter Tschentscher

Für Sachverstand und eine pointierte Argumentationstechnik gibt es Beifall aus dem Publikum. Selten zuvor herrschten in diesem Musikclub, in dem der FC St. Pauli gemeinhin Heimspiele hat, so promillefreie 90 Minuten wie diesmal. Das Personal an den beiden Theken schenkt Rhabarberschorle, Kaffee oder Apfel-Kirsch-Holunder-Limonade aus. Das aus Schülern, Studenten, Eltern und Freunden bestehende Forum hat nicht nur das Gesprächstempo, sondern auch die Technik im Griff. Helfer diverser Schulen kümmern sich um Mikros und Lautsprecher sowie um den Livestream im Internet. Wer mag, kann die Debatte dort im Nachhinein verfolgen.

Und dabei einen lockeren, bestens aufgelegten Berufspolitiker erleben. Ob sich Peter Tschentscher an seine Zeit als Medizinstudent und Jungsozialist erinnert? „Er wirkt überhaupt nicht wie ein Fremdkörper“, befindet eine junge Frau am Eingang. In der Tat ist von Berührungsproblemen oder gar Überheblichkeit nichts zu spüren. Im Gegenteil: Zwischen zwei weiteren Terminen an diesem Sonntag und der anschließenden Zugfahrt zu einer SPD-Versammlung in Berlin präsentiert sich Tschentscher von Beginn an auf dem Posten. Aufmüpfige Fragen oder Kommentare quittiert er lächelnd. „Vielleicht fühlt er sich hier sogar wohler als im Rathaus oder in der Handelskammer“, mutmaßt ein Jugendlicher mit hellblauem Cap.

Runter vom Sofa und handeln

Tschentscher, für den es der fünfte Wahlkampfauftritt mit „Fridays for Future“ ist, gilt innerhalb seiner Partei als Antreiber der Klimadebatte. „Ich spüre die Ungeduld und das Fordernde“, sagt er. „Ihr traut unserer Generation nicht über den Weg.“ Allerdings: „Die junge Generation wird zukünftig sehen: Wir haben das doch verstanden.“ Jesko Hennig kontert cool: „Es geht nicht um Ungeduld, sondern um Wissenschaft und Überprüfbarkeit.“ Applaus. Tschen­tscher schmunzelt.

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„Wir müssen vom Sofa runter und handeln“, gibt der SPD-Spitzenkandidat zu. In Bezug auf den Anstieg direkter Flugverbindungen sagt er: „Als internationale Stadt braucht Hamburg Anbindung.“ Er setze auf technischen Fortschritt in Umweltfragen. Er plädiert für ein Bündnis mit der Wirtschaft „Es gibt Lösungen“, entgegnet Annika Rittmann, „aber warum werden sie nicht umgesetzt?“ Tschentscher dagegen will wissen: „Wer hat den Hamburger Klimaplan eigentlich von Anfang bis Ende gelesen?“ Einige Hände gehen hoch, aber nicht sehr viele.

Klimaschutz keine Parteiensache

Zwischendurch greift er zur Wasserflasche. Im Prinzip herrscht Einigkeit: Klimaschutz darf keine Parteisache sein. Hanseatisch vornehme Seitenhiebe gegen die CDU oder die Grünen teilt er mit einem Lächeln aus. Heute ist kein Freiraum für Kleingeister; das kommt gut an. Andererseits macht ein Transparent über seinem Kopf den Ernst klar: „Wir streiken – bis ihr handelt.“ Daneben wird zur „Klimademo zur Bürgerschaftswahl“ am 21. Februar um 14 Uhr auf dem Heiligengeistfeld aufgerufen.

Zum Finale der Diskussion sind Fragen aus dem Plenum erwünscht. Fünf werden gestellt; die Zeit drängt – leider überwiegend von Gästen erheblich älterer Semester. Es haben eben doch nicht alle die Größe, dem Nachwuchs das Wort komplett zu überlassen.