Hamburg. Peter Tschentscher und Jens Kerstan haben den Klimaplan vorgestellt – zusammen, nicht wirklich gemeinsam. Das sind die Maßnahmen.

Jeden Dienstag berichten Mitglieder des Hamburger Senats im Rahmen der Landespressekonferenz vor Journalisten über Beschlüsse aus der vorangegangenen Senatssitzung. Eigentlich ein eingespieltes Ritual – dessen Verlauf aber doch manchmal überrascht. So am Dienstag: Da stellten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) im Rathaus gemeinsam den neuen Hamburger Klimaplan vor, der noch vor der Bürgerschaftswahl am 23. Februar in ein Klimagesetz gegossen werden soll.

Doch schon nach wenigen Minuten bekam die rot-grüne Gemeinsamkeit erste Risse, und es sollten während der 75-minütigen Veranstaltung noch einige hinzukommen.

Kerstan erlaubt sich den ersten Seitenhieb in Richtung SPD

Nachdem Tschentscher eingangs betont hatte, dass Hamburg trotz wachsender Einwohnerzahl und brummender Wirtschaft seine CO2-Emissionen jetzt schon Jahr für Jahr senke und mit den nun beschlossenen 400 Maßnahmen das Ziel, den Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent zu senken, vielleicht sogar „noch früher“ erreichen könne, erlaubte sich Kerstan einen ersten Seitenhieb. Dieser Klimaplan zeige, „was möglich ist , wenn eine grüne Partei an der Regierung beteiligt ist“, lobte sich der Umweltsenator. Noch im Sommer habe er es nicht für möglich gehalten, in dieser Konstellation einen so weitgehenden Plan aufzustellen.

Der Bürgermeister ertrug es zunächst stoisch, gab aber später zurück: Er könnte ja auch sagen, dass sich bis 2011 beim Klimaschutz gar nichts getan habe (bis dahin hatten CDU und Grüne regiert), aber seit die SPD regiere, gingen die CO2-Emissionen um 400.000 Tonnen jährlich zurück. Was Kerstan umgehend konterte: Das sei aber nicht auf Hamburger Maßnahmen zurückzuführen, sondern Folge der auf Bundesebene eingeleiteten Energiewende.

Tschentscher leicht genervt von grünen Sticheleien

Auch auf das Klimapaket der Bundesregierung, dessen Wirkung im Hamburger Plan mit einkalkuliert ist, gebe es ja „sehr unterschiedliche“ Sichtweisen, sagte Kerstan – bekanntlich hatte Tschentscher es gelobt, während die Grünen es für viel zu zögerlich halten. Woraufhin der Bürgermeister umgehend betonte, dass alle norddeutschen Ministerpräsidenten den Bund ja gemeinsam aufgefordert hätten, die Windenergie wieder stärker zu unterstützen.

Und als der grüne Umweltsenator zum wiederholten Male betonte, dass  er sich viel weiter gehende Maßnahme für den Klimaplan hätte vorstellen können, fragte ihn Tschentscher, inzwischen leicht genervt: „Welche denn?“ Was Kerstan erneut die Möglichkeit zu der Aussage gab, dass er vor allem im Bereich Verkehr und Industrie härtere Eingriffe bevorzugt hätte.

Disharmonie auch bei den Kosten – Einigkeit im Grundsatz

Schließlich gab es auch bei der Kostenfrage eine leichte Disharmonie: Tschentscher bezifferte die auf zwei Milliarden Euro bis 2030, schränkte aber ein, dass vieles davon (etwa der Ausbau des ÖPNV) bereits im Hamburger Haushalt berücksichtigt sei. Auf Nachfrage, wieviel denn noch hinzukomme, betonte er, das sei noch unklar, da es erstens noch keine Etats für die Jahre nach 2020 gebe und zweitens zum Beispiel offen sei, welche Maßnahme der Bund wie stark fördere. Kerstan war da offensiver: Rund eine Milliarde komme oben drauf – bis 2030, also rund 100 Millionen Euro pro Jahr.

Trotz der offen zur Schau getragenen rot-grünen Nickeligkeiten waren sich Bürgermeister und Senator aber im Grundsatz einig: „Wir legen das anspruchsvollste und weitreichendste Klimaschutzgesetz Deutschlands vor“, sagte Kerstan – und erntete ausnahmsweise Zustimmung seines Chefs: Erstmals sei es gelungen, konkrete Maßnahmen mit harten CO2-Einsparzielen zu kombinieren, freute sich auch Tschentscher und  prophezeite: „Auf jeden Fall“ werde Hamburg bis 2050 klimaneutral.

Das Ziel: Klimaneutralität in Hamburg bis 2050

Bis 2030 will Hamburg die CO2-Emissionen um 55 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 senken – das entspricht den Zielen auf Bundesebene. Bis 2050 sollen die Emissionen sogar um  mindestens 95 Prozent runter, so dass die Stadt „klimaneutral“ wäre, den Klimawandel also nicht weiter anheizen würde. Nachdem in Hamburg 1990 noch rund 20,7 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen wurden, waren es 2017 schon nur noch  16,4 Millionen Tonnen. Bis 2030 auf soll eine weitere Reduktion auf 9,3 Millionen Tonnen erfolgen, also um weitere gut sieben Millionen Tonnen.

Dabei geht der Senat davon aus, dass Entscheidungen auf Bundesebene zur Energiewende etwa 2,9 Millionen Tonnen beitragen werden und Hamburg selbst noch 4,1 Millionen Tonnen einsparen muss. Das sind die die wichtigsten Maßnahmen, unterteilt in vier Bereiche:

Wärmeversorgung und Gebäudeeffizienz

  • Dekarbonisierung der Fernwärme: Damit ist vor allem die Abschaltung des Kohlekraftwerks Wedel gemeint. Das liegt in Schleswig-Holstein, wird aber nach dem Verursacherprinzip Hamburg zugerechnet, weil es Strom und Wärme für die Hansestadt produziert. Wedel soll durch den „Energiepark Hafen“, eine ganze Reihe ambitionierter Neubauten für eine alternative Energieerzeugung südlich der Elbe, ersetzt werden. Das soll bis 2024/25 eine Einsparung von 350.000 Tonnen CO2 bringen – die größte Einzelmaßnahme im Klimaplan.
  • Das Kohlekraftwerk Tiefstack soll auf Gas oder regenerative Energien umgerüstet werden. Statt jetzt 25 Prozent sollen 35 Prozent der Haushalte bis 2030 mit Nah- und Fernwärme versorgt werden.
  • Klimaanlagen verboten: Sobald das Klimagesetz in Kraft tritt (voraussichtlich noch im ersten Quartal 2020), dürfen in Neubauten keine Klimaanlagen mehr installiert werden.
  • Solaranlagen werden Pflicht: Wer ab 2023 neu baut, muss Strom aus Solarenergie erzeugen. Das gilt auch „bei vollständiger Erneuerung der Dachhaut“, wie es im Entwurf für das Klimagesetz heißt. Allerdings wird die Installation der Anlagen auf den Dächern nur dann verpflichtend, wenn eine Machbarkeitsprüfung zeigt, dass der Einbau möglich und wirtschaftlich vertretbar ist. Wer das letztlich entscheidet, sei noch offen, sagte Kerstan. In jedem Fall gelte es, „Härten“ zu vermeiden, betonten Tschentscher und Kerstan. Das Wohnen in Hamburg solle durch die Maßnahmen nicht verteuert werden. Der Bürgermeister warb dafür, diese neue Pflicht positiv zu sehen – weil man mit Solar-Strom letztlich viel Geld sparen könne.
  • Aus für Ölheizungen: In Neubauten dürfen ab 2022 keine Ölheizungen mehr eingebaut werden. Beim Austausch bestehender Anlagen ist für den Energieträger Heizöl ab 2026 Schluss. Auch dieses Verbot gilt nicht, wenn der Verzicht auf Öl technisch unmöglich ist, unangemessenen Aufwand erfordert oder zu unzumutbaren Härten führen würde.
  • Aus für Stromheizungen: Ab Ende 2025 sollen keine neuen Stromheizungen mehr installiert werden. Das gilt für „fest installierte Stromdirektheizungen zur Erzeugung von Raumwärme mit mehr als zwei Kilowatt Leistung“, so das Gesetz. Auch hier gelten die üblichen Ausnahmen.
  • Erneuerbare Energien-Pflicht: Bei einem Tausch von Heizungsanlagen wird es ab Mitte 2021 Pflicht, einen Anteil erneuerbarer Energien von mindestens 15 Prozent aufzuweisen.
  • Stadt als Vorbild: Öffentliche Neubauten sollen ab 2022 mindestens im Standard „Effizienzhaus 40“ entstehen.
  • Mehr Holz: Es sollen mehr Gebäude aus Holz statt aus Beton und Glas entstehen, sagte Kerstan. Dafür soll eine „Hamburger Holzbau-Strategie“ entwickelt werden.

Die Verbote und Pflichten in diesem Bereich sind vor allem auf Druck der Grünen in den Plan aufgenommen worden. Das mache ihm zwar „auch keinen Spaß“, sagte Umweltsenator Kerstan. Aber angesichts der großen Herausforderungen durch den Klimawandel gehe es leider nicht anders.

Mobilität

  • Mehr ÖPNV: Der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs am Verkehrsaufkommen in Hamburg soll von heute 22 Prozent auf 30 Prozent im Jahr 2030 steigen. Die Maßnahmen, mit denen das erreicht werden soll, sind die bekannten: Neubau U 5, S 32 und S 4, Verlängerung S 21 und U 4, Verdichtung durch zusätzliche Haltestellen; Einführung eines ExpressBus- und QuartierBus-Netzes.
  • Mehr „Verknüpfung“: Die klassischen öffentlichen Verkehrsangebote sollen stärker mit neuen Sharing- und On-Demand-Angeboten verknüpft werden. Außerdem ist der Ausbau digitaler Informations- und Vertriebssysteme und ein, weiterer Ausbau von Mobilitäts-Hubs (switchh-Punkte) geplant.
  • Mehr Radverkehr: Der Anteil des Radverkehrs am Verkehrsaufkommen soll von heute gut 15 Prozent bis Mitte der 2020er Jahre auf 25 Prozent steigen.   Auch hier wird auf die bekannten Pläne verwiesen: Bau neuer Radwege, Velorouten und Radschnellwege, Förderprogramm für Lastenräder, mehr öffentliche Fahrrad-Abstellplätze sowie ein weiterer Ausbau des Leihsystems Stadtrad.
  • Autofreie Zonen in der City: Nach der zeitweisen Sperrung einer Straße im Rathausquartier, die bei Anwohnern, Passanten und Gewerbetreibenden überwiegend positiv aufgenommen wurde, soll es weitere Versuche dieser Art geben. Im Klimaplan heißt es, es solle der „Anreiz zur Steigerung der Innenstadtqualität  und zum Verkehrsmittelumstieg durch weitere autofreie Zonen in der Innenstadt“ geschaffen werden.
  • Mehr E-Mobilität: Der Punkt ist etwas schwammig formuliert. Der Senat hält es „für möglich“, den  Anteil der E-Fahrzeuge bis 2030 auf 20 Prozent zu steigern. Um das zu erreichen, soll die öffentliche Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge auch auf gewerblichen und privaten Flächen und die „vollständige Umstellung von Carsharing-Flotten auf E-Fahrzeuge“ vorangetrieben werden.
  • Mehr Landstrom für Schiffe: Das Angebot an Landstrom für Containerschiffe soll ausgebaut werden, und für Kreuzfahrtschiffe soll außer in Altona auch an den Terminals HafenCity und Steinwerder Landstrom angeboten werden. Auch hier gab es einen Dissens bei Rot-Grün: Kerstan betonte, dass er eine Pflicht zur Nutzung von Landstrom bevorzugt hätte. Tschentscher verwies darauf, dass die Anlage erstmal gebaut und die Schiffe umgerüstet werden müssten. Derzeit wird davon ausgegangen, dass bis 2025 erst ein Drittel der Containerschiffe im Hamburger Hafen überhaupt landstromfähig sein wird.
  • Emissionsfreie Alsterschifffahrt: Die Alsterdampfer sollen künftig emissionsfrei fahren – ein Datum wird dazu aber nicht genannt.

Wirtschaft

  • Freiwilligkeit: In diesem Bereich wird „auch weiterhin vorrangig auf freiwillige Maßnahmen der Wirtschaftsunternehmen“ gesetzt, so der Klimaplan – damit  hat sich Bürgermeister Tschentscher durchgesetzt, der stets betont, wie viel die Firmen schon aus eigenem, wirtschaftlichem Interesse für den Klimaschutz täten. Entsprechend sind wenige konkrete Ziele formuliert. Stattdessen wird vor allem auf  bestehende Netzwerke und Vereinbarungen gesetzt.
  • Umwelt-Förderung: Firmen, die sich im Rahmen der UmweltPartnerschaft Hamburg(UPHH) engagieren, sollen stärker gefördert werden. Großes Potenzial wird bei Wohnungs- und Bauwirtschaft, Handel, Tourismusgewerbe und der Logistikbranche gesehen.
  • Wasserstoff: Zur Förderung des Wasserstoffs soll ein „Netzwerk Wasserstoff“ gegründet werden.
  • Weniger Material: Der „CO2-effiziente“ Materialeinsatz in Produktionsverfahren soll gefördert werden.

Anpassung an Klimawandel

Da der Klimawandel bereits in vollem Gang ist und Auswirkungen auf die Stadt hat, soll Vorsorge getroffen werden.

  • Starkregen: Ein „naturnahes Regenwassermanagement“ soll die Folgen von Starkregen mildern. Ziel ist es, Regenwasser zurückzuhalten, zu nutzen und dem natürlichen Kreislauf zuführen.
  • Hitze: Gegen die zunehmende Sommerhitze soll das Grün in der Stadt (vor allem der Baumbestand) erhalten und Grünflächen besser vernetzt werden. Die Dach- und Fassadenbegrünung soll forciert werden.