Hamburg. Die 89-Jährige wurde im Alter von 13 Jahren nach Stutthof gebracht. Vor Gericht schilderte sie am Freitag die Qualen der Gefangenen.
Das Erste, was sie nach ihrer Ankunft im Konzentrationslager Stutthof sah, war „eine Riesenpyramide von Schuhen“. Rosa Bloch war 13 Jahre alt, und sie habe sofort gedacht: „Hier ist etwas anders mit dem Leben. Hier stimmt etwas nicht“, erinnert sich die heute 89 Jahre alte Überlebende des Holocaust. Ihr Gefühl angesichts dieser unglaublichen Menge von Schuhen habe ihr gesagt: „Hier kommst du nie wieder raus.“
Aber Rosa Bloch hat die Qualen überlebt. Jetzt sagt die 89-Jährige im Prozess gegen den ehemaligen SS-Wachmann Bruno D. (93) aus, dem Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen wird, weil er mit seiner Tätigkeit auf dem Wachturm als „Rädchen der Mordmaschinerie“ der Nazis die Tötung von Gefangenen unterstützt habe.
Rosa Bloch: Bei Ungehorsam sei man „so gut wie tot“ gewesen
Nach ihrer Ankunft in Konzentrationslager Stutthof, erzählt die Zeugin, seien sie zur „Entlausung“ gebracht worden und hätten Gefangenenkleidung bekommen. „Wir waren keine Menschen mehr, sondern eine Nummer“, schildert die gebürtige Litauerin, eine zierliche Frau mit kräftiger Stimme, die heute in Israel lebt. „Es war mit einem Wort schrecklich. Ich glaube, dass sogar Tiere eine bessere Behandlung bekommen haben als wir.“
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Die Gefangenen seien „nichts“ gewesen, „nur eine Nummer. Jeder vom Wachpersonal konnte dich auf der Stelle umbringen.“ Bei Ungehorsam sei man „so gut wie tot“ gewesen. Sie sei sehr froh, im Prozess in Hamburg aussagen zu können, betonte die Zeugin. „Ich beschuldige die Menschen, die uns bewacht haben. Ich werde ihnen nie verzeihen und nie vergessen, was sie uns angetan haben.“ Die Wachleute seien „überall gewesen, auf den Wachtürmen. Gerade die, die oben waren, haben alles gesehen. Das war kein Geheimnis.“
Rosa Bloch: "Wir wurden ständig geschlagen, damit wir schneller gehen"
Schon bei der Ankunft im Lager nach langer Reise eingepfercht in einem Eisenbahnwaggon seien sie auf dem Fußweg vom Gleis zum Eingang des Lagers „sehr, sehr stark bewacht“ worden, erinnert sich die Überlebende. Es seien Wachleute gewesen, die auch Hunde dabei gehabt hätten. „Die haben uns begleitet, irgendeine Waffe hatte jeder. Die waren grausam mit uns. Wir wurden ständig geschlagen, damit wir schneller gehen.“ Im Lager selbst habe es keine Hunde gegeben. „Es war grausam genug auch ohne Hunde. Entschuldigung, aber sie waren selber wie die Hunde.“
Im Lager seien sie registriert worden. Dabei seien „ganz komische Fragen“ gestellt worden, erinnert Rosa Bloch. „Wir verstanden nicht, warum das wichtig ist. Welche Farbe von Augen man hat und welche Nase.“ In ihre Registrierungskarte seien alle Werte eingetragen wie Größe, Gestalt, Gesichtsform. Und dazu prangte das Zeichen, dass sie jüdisch war.
Rosa Bloch: Es habe ständig Selektionen gegeben
Eines der Erlebnisse, die sich in das Gedächtnis von Rosa Bloch eingebrannt haben: Als Jugendliche in der Wachstumsphase ist sie ständig furchtbar hungrig. Deshalb versucht sie, einmal mittags von der wässrigen Suppe, die es nur gab, eine zweite Portion zu bekommen. „Der, der die Suppe verteilt hat, hat dann einen Stuhl gegen meinen Kopf gestoßen. Ich ging zu Boden, war voller Blut“, erzählt die 89-Jährige.
„Er wollte mich an Ort und Stelle umbringen. Aber irgendjemand hat Halt gesagt.“ Eine ärztliche Versorgung habe es danach nicht gegeben. „Man dachte, ich wäre schon tot. Ich war voller Blut und bewusstlos.“ Später habe sie erfahren, dass ihre Mutter, die mit ihr zusammen nach Stutthof deportiert worden war, sie zur Baracke getragen hat.
Ständig habe es Selektionen gegeben, erinnert die Seniorin. Bei einem Morgenappell habe neben ihr eine Frau gestanden, die starke Schmerzen in den Beinen hatte, die sich aber bemühte, das keinen der deutschen Aufseher bemerken zu lassen. „Einer hat sie aber sofort raus gepickt und zur Seite genommen. Ich habe sie nie wieder gesehen.“ Das Ziel der Selektionen sei gewesen, „unsere Zahl zu verkleinern. Mit der Gaskammer und das alles.“ Es hätte sich auch niemand darum gekümmert, mehr Nahrung zur Verfügung zu stellen.
„Es war völlig egal, wie wir aussahen, wie mager wir waren. Das Ziel war, uns zu töten.“ Wie die Gefangenen umgekommen sind, wisse sie nicht. Sie seien „einfach verschwunden. Sie waren nicht mehr beim Appell. Sie waren nicht mehr da.“ Es habe drei Möglichkeiten gegeben, wie die Opfer zu Tode kamen: „Hunger, umgebracht oder in der Gaskammer.“
Rosa Bloch: "Wer zurück blieb, wurde erschossen“
Ein oder zwei Monate nach ihrer Ankunft im Konzentrationslager Stutthof am 13. Juli 1944 wurden Rosa Bloch und ihre Mutter zu einem Arbeitseinsatz außerhalb des Kernlagers ausgewählt. „Das in Anführungszeichen ,Gute’ an der Arbeit war, dass wir die Gaskammer nicht vor Augen hatten. Sonst haben wir sie die ganze Zeit gesehen.“ Ihre Aufgabe sei es gewesen, Gruben ausheben. Auch bei dieser Tätigkeit seien sie stets bewacht worden, ebenso wie im Winter 1944/45, beim sogenannten „Todesmarsch“. Jeden Tag hätten sie mehrere Kilometer weit laufen müssen, erzählt die Zeugin. „Es war kalt, wir hatten kaum Kleidung. Und wer zurück blieb, wurde erschossen.“
Zu Beginn hätten einige Hundert Menschen ihrer Gruppe angehört. „Am Ende waren wir gerade mal 30.“ Sie sei eine „starke Person“, bilanziert Rosa Bloch heute. Und sie sei immer optimistisch gewesen. Jetzt sei es ihr wichtig, von ihren Leiden in Stutthof zu erzählen. „Das ist eine Lehre für uns alle. Es ist wichtig, dass es nicht in Vergessenheit gerät. Das ist der Grund, warum ich hier bin. Ich möchte, dass die, die das gemacht haben, schuldig gesprochen und auch bestraft werden.“