Hamburg. Im Prozess gegen einen ehemaligen KZ-Aufseher schildert ein Polizist die erste Befragung. Der angeklagte 93-Jährige rechtfertigt sich.

Er wollte unbedingt erzählen. Etwas loswerden, was ihn offenbar belastet hat. Bruno D., der frühere Wachmann im Konzentrationslager Stutthof, schien kaum noch zu bremsen, über seine Zeit damals im Wachdienst der Nationalsozialisten sprechen zu wollen.

„Er wollte sofort anfangen. Er wollte reden“, sagte am Freitag im Prozess gegen den 93-Jahre alten Angeklagten ein Kriminalbeamter, der seinerzeit die Hausdurchsuchung bei Bruno D. geleitet und den Beschuldigten als Erster befragt hat. „Er sagte, er habe Leichen gesehen. Und ihm sei auch bewusst gewesen, dass es stimmt, dass Menschen vergast worden sind“, schilderte der Polizist als Zeuge. „Und dass er nicht freiwillig da in Stutthof war, hat er immer wieder gesagt.“

Bruno D. wird in dem Prozess vor dem Landgericht Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen. Er soll in seiner Zeit als junger Wachmann zwischen August 1944 und April 1945 „die heimtückische Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“ haben, wirft die Staatsanwaltschaft dem 93-Jährigen vor. Seine Aufgabe sei es unter anderem gewesen, Flucht und Revolten zu verhindern.

Polizist: Bruno D. könnte etwas verschwiegen haben

Für den Kriminalbeamten sei seinerzeit bei der Befragung der Beschuldigte Bruno D. „ein ganz normaler Mann“ gewesen, „der einfach alt war“. Er habe „geistig fit“ gewirkt. Von der Familie des Hamburgers habe es seinerzeit kritische Bemerkung gegeben, „dass es nach so langer Zeit noch ein Verfahren gibt“, erzählte der Polizist. Bruno D. habe ihm geschildert, dass er Hunderte von Leichen gesehen habe, aber nicht, wie die Leute gestorben seien. Auch Vergasungen habe er selber nicht gesehen, habe aber davon gehört. Und dann habe der gelernte Bäcker gesagt: „Und ich wusste auch, dass es stimmt.“ Bruno D. habe auch davon gesprochen, dass im KZ Stutthof Hunger geherrscht habe. „Und dass ihm die Leute leidtaten und er keine Möglichkeit sah, sich dem Dienst zu entziehen.“

Bruno D. habe darüber hinaus von seinem Dienst auf dem Turm erzählt. „Und dass er auch bei einer Hinrichtung dabei war.“ Ein Gefangener habe einen anderen getötet und sei deshalb durch den Strang gestorben. Einmal sei Bruno D. auf dem Wachturm eingeschlafen. Wenn das jemand mitbekommen hätte, „wäre das für ihn gefährlich geworden“, habe der frühere Wachmann gesagt.

„Hatten Sie den Eindruck, dass er sich schuldig fühlte“, möchte die Vorsitzende Richterin vom Zeugen wissen. Das könne er „nicht beurteilen“, so der Kriminalbeamte. „Ich hatte den Eindruck, dass er das erzählte, weil ihn das belastete.“ Er vermute aber, dass der ehemaligen Wachmann „auch Dinge weggelassen hat, die ihn nicht so gut aussehen lassen hätten“. Bruno D. habe wohl vor allem Dinge gesagt, „von denen er annahm, dass sie ihn nicht der Beihilfe belasten würden“.

SS-Wachmann Bruno D.: "Ich konnte nichts ändern"

Am 14. Verhandlungstag kam es auch zur Befragung des Angeklagten durch die Anwälte, die Stutthof-Überlebende vertreten. So wandte sich auch ein Jurist an Bruno D., der sagte, seine Mandantin sei im Alter von zwölf Jahren ins KZ Stutthof deportiert worden. Der Angeklagte aber beteuerte, er habe Kinder in Stutthof „gar nicht gesehen. Ich habe nur Erwachsene gesehen.“ Ob er davon gehört habe, „dass Kinder erschlagen und vergast worden sind“, hakte der Anwalt nach. „Nein“, sagt Bruno D. „Davon habe ich nichts mitbekommen.“

Auch von einer anderen Schilderung, dass neun jüdische Jungen, die sich in einer Baracke versteckt hatten, erschossen worden seien, „habe ich nie etwas davon gehört“. Ein anderer Anwalt schilderte eine Überlieferung, wonach Weihnachten 1944 ein etwa zehnjähriges Kind an einem Strick am Galgen gesehen worden sei. Gegenüber vom Galgen habe angeblich ein geschmückter Weihnachtsbaum gestanden. An einen Weihnachtsbaum könne er sich nicht erinnern, antwortet Bruno D. „Wir haben täglich unsere Wachdienste auf dem Turm gemacht. Da war ein Tag wie der andere.“

Die Meinung von Heinrich Himmler, dass man jüdische Kinder beseitigen müsse, so betonte Bruno D. auf Nachfrage, „habe ich auf keinen Fall geteilt. Ich war nicht der Meinung der SS oder irgendetwas. Aber ich konnte nichts daran ändern.“