Wewelsfleth. Die Restaurierung schreitet mit großen Schritten voran. Alles läuft nach Plan. Doch es gibt Hürden – im wahrsten Sinne des Wortes.
Vor einem Jahr war sie ein löchriger Schiffsrumpf, ohne Masten, ein trauriger Anblick für einen einst so stolzen Frachtsegler. Dann wurden im Sommer Fock-, Groß-, Kreuz- und Besanmast gesetzt – und die “Peking”, die damals noch im Trockendock lag, war zwar immer noch eine Riesenbaustelle, aber zumindest wieder ein Viermaster.
Jetzt bekommt die alte Dame langsam ihre Würde zurück. An der Ausrüstungspier der Peters Werft in Wewelsfleth erhebt sich ihr Bug hoch über das Wasser der Stör, die sich durch die flache Landschaft schlängelt. Die einer Geigenschnecke ähnliche Krull unter dem Bugspriet, die leicht nach vorn geneigten Buchstaben ihres Namenszuges und die in einer Pfeilspitze endende Zierleiste lassen die zurückhaltende Eleganz des 1911 bei Blohm + Voss erbauten Schiffes erkennen.
Wahres Schmuckstück
Davon zeugen auch das restaurierte Kartenhaus aus Teakholz, das mit seinen kassettierten Wänden und den Verzierungen am Dachüberstand jetzt wieder ein wahres Schmuckstück ist, und das sogenannte Skylight: ein hundehüttengroßer Aufbau, dessen Fenster den darunter liegenden Kapitänssalon mit Tageslicht versorgten. Beide warten an der Pier darauf, nach Jahren in der Werkstatt wieder an Deck gehoben zu werden.
Der hohe Werft-Kran nimmt das etwa 2,5 Tonnen schwere Kartenhaus an den Haken, das etwa so groß wie eine Gartenhütte ist. Vor der Sanierung habe es nur eine Stelle gegeben, an der es nicht rein regnete, sagt Joachim Kaiser, Mitbegründer der Stiftung Hamburg Maritim, der die Restaurierung leitet. „Aber die Originalsubstanz war so gut, dass wir das Holz nur an wenigen Stellen ersetzen mussten.”
Meilenstein bei den Restaurierungsarbeiten
Immer mehr Mitarbeiter der Werft finden sich auf der Pier und an Deck ein, um zu beobachten, wie das Kartenhaus nun durch die Luft auf seinen alten Standort hinter dem Großmast zu schwebt. Dabei ist die Aktion im Vergleich zum Stellen der Masten im Sommer eher unspektakulär - aber eben doch ein Meilenstein bei den Restaurierungsarbeiten. „Mit dem Kartenhaus kehrt das erste Ausstattungselement an Bord zurück, das elementar mit der ursprünglichen Nutzung des Schiffes verbunden ist“ sagt Kaiser. Gelegen auf dem Hochdeck über dem Brückenhaus, ungefähr in der Schiffsmitte, habe es Kapitän und Steuerleute beim Studieren der Seekarten den besten Blick auf Schiff, Wetter und Landmarken ermöglicht.
Nachdem das Kartenhaus in die dafür auf dem Deck vormontierte Eisenumrahmung auf dem Deck eingelassen wurde, hebt der Kran das Salon-Skylight an Deck. Die Klappen, durch die bald wieder Licht und Luft strömen werden, sind noch mit einfachen Spanplatten verschlossen – der Transport wäre zu gefährlich für die Glasscheiben gewesen. Wie kunstvoll diese gestaltet wurden, verrät ein Blick auf die verglaste Stirnseite des kleinen Aufbaus: In dem satinierten Glas bilden transparente Flächen ein florales Muster.
Planken aus Oregon-Pine
Nachdem beide Aufbauten wohlbehalten an Deck angekommen sind, machen wir uns auf zu einem Rundgang. Schon als wir an Bord gegangen sind, ist uns das fertige Holzdeck auf dem Hauptdeck aufgefallen: die Planken aus Oregon-Pine in honigfarbenem Hellbraun, umkränzt von Leibhölzern aus dunkel schimmerndem Kambala-Holz. Um alles passgenau anfertigen zu können, hatten Mitarbeiter der Firma Wolz Nautic das Deck zuvor das darunter liegende Stahldeck mit 3-D-Scannern vermessen. Danach wurden im süddeutschen Werk Korkträger- und ganze Deckselemente vorgefertigt und wie Puzzleteile auf der „Peking“ wieder zusammengefügt. Dabei orientierten sich die Decksbauer an einer detaillierten Zeichnung, die am Brückenhaus aushängt.
Noch quillt aus vielen Fugen schwarzes Sikaflex. 14 Fässer (nicht etwa Kartuschen!) der wasserdichten Klebemasse haben die Decksbauer allein für das Hauptdeck verbraucht. Bei der Arbeit sind auch viele schwarze Flecken auf dem Holz entstanden. „Das ist egal“, sagt Joachim Kaiser. „Vor der Übergabe wird das gesamte Deck nochmal abgeschliffen, dann sieht es tipptop aus.“
Am 11. Mai sollen die von Joachim Kaiser betreuten Restaurierungsarbeiten beendet sein. Dann wird das Schiff von der Hamburger Stiftung Historische Museen Hamburg übernommen und anschließend – ebenfalls auf der Peters Werft – mit Fahrstuhl, Veranstaltungstechnik und Sanitärräumen ausgestattet. Wann die „Peking“ nach Hamburg geschleppt, steht noch nicht fest. „Genaueres als Sommer 2020 können wir momentan nicht sagen“, so Enno Isermann, Sprecher der Kulturbehörde.
35 Millionen Euro wird die Sanierung voraussichtlich kosten
Noch fünf Monate: das ist nicht lang angesichts der Arbeiten, die noch erledigt werden müssen. Wir gehen an Andrew vorbei, einem Takler aus Ungarn, der gerade den Mastkragen des Großmasts in Angriff nimmt. Dafür schlägt er grob vorgefertigte Holzkeile kreisförmig in den Spalt zwischen Decksdurchführung und Mast, um letzterem den nötigen Halt zu geben. Später wird alles mit einem Mastkragen aus Segeltuch abgedichtet und wasserdicht vernäht.
35 Millionen Euro wird die Sanierung voraussichtlich kosten. Doch der Aufwand, mit dem die „Peking“ originalgetreu restauriert wird, lohnt sich. Überall fallen einem Details auf, die die Grandiosität des Schiffes wieder herstellen. Die rundgehobelten Leibholz-Kanten der Holzdecks über den drei Aufbauten auf dem Oberdeck, die hinten (also achtern) Poop, in der Mitte Brückenhaus und vorne Back genannt werden. Die mächtige, in Grün und Rot gestrichene Ankerwinde mit ihren Zahnrädern, Hebeln und Bremsen.
Formschöne Lüfterhutzen
Die nachgebauten Schweinehocken, zwischen deren weißen Stäben man sich die Rüssel der beiden Schweine gut vorstellen kann, die hier früher als Frischfleischversorgung für die Besatzung mitsegelten. Oder die formschönen Lüfterhutzen, die wir in einer Halle an Land haben stehen sehen: Mit ihren nach vorne gebogenen, aufgekelchten Trichtern erinnern sie an überdimensionierte Blasinstrumente. Manche sind original, mache neu gebaut – handgetrieben von einem Blechschlosser, der auch Oldtimer restauriert.
Ebenfalls auf ihre Montage warten auch die mächtigen Rahen, die später an den drei vorderen Masten befestigt werden. Zwei der bis zu vier Tonnen schweren und 29 Meter langen Rahen sind original, die übrigen 16 wurden angefertigt. Sie alle werden später genauso bedienbar sein wie zu der Zeit, als die „Peking“ zwischen Chile und Hamburg unterwegs war – wobei sie 34-mal Kap Hoorn umrundete. Nur unter Segeln.
Segeln wird die Viermastbark nun aber nicht mehr, dennoch soll alles so authentisch wie möglich sein. Das gilt auch für die sogenannten Nagelbänke – mächtige Balken aus Kambala-Holz, innen angebracht an der Bordwand des Oberdecks, an deren (jetzt noch fehlenden) Belegnägeln das zur Takelage gehörende Tauwerk festgemacht wird. Die neuen Nagelbänke sind insgesamt mehr als 100 Meter lang.
Wir steigen hinunter ins Zwischendeck. Dort eröffnet sich kathedralenartig der obere Teil des früheren Laderaums (der untere, größere Raum war durch Zwischendecksluken mit Ladung befüllbar). 85 Meter ist der Raum lang, gegliedert durch drei Rahmenspanten, die den Druck der Wanten auf den Rumpf abfingen. Wo damals Säcke mit Salpeter lagerten, soll ein Veranstaltungsraum entstehen, in dem sicher auch der legendäre, 1929 entstandene Film von der Kap-Hoorn-Umrundung der „Peking“ gezeigt wird.
Schwierigkeiten für den Restaurator
Wir gehen in einen kleinen Raum ganz nach achtern. „Hier, hinter dem Ladebereich, war früher der Proviantraum“, berichtet Kaiser und fügt schmunzelnd hinzu: „Nur über eine Treppe von oben erreichbar und gut verschlossen, denn Hein Seemann war bekanntlich immer hungrig.“ Der Durchlass im Schott, durch den wir den Raum betreten, sei damals durch einen sogenannten Brot-Tank verschlossen gewesen. „Das war ein Behälter aus Rohstahl, der in Hamburg mit frischem Brot vollgeladen und dann luftdicht zugeschraubt wurde. Das beim Trocknen der Brote entstehende Kondenswasser bildete Rost an den Wänden, wobei der eingeschlossene Sauerstoff verbraucht wurde und die Brote nicht schimmeln konnten.“ Wieder so eine Geschichte aus Kaisers großem Wissensschatz, den er sich durch umfangreiche Recherchen zugelegt hat.
Auf dem Weg durchs Zwischendeck kommen wir an einem rechteckigen Loch in der Schiffswand vorbei. „Hier sehen Sie, wie wir unsere schöne Arbeit wieder kaputt machen“, sagt Kaiser ironisch. An zwei Stellen wurden für die künftigen Ein- und Ausgänge Türöffnungen in die zuvor restaurierte Schiffshaut geschnitten. An anderer Stelle wurden Teile des zuvor sanierten Decks entfernt: für den gläsernen Fahrstuhl, der Besucher künftig mittschiffs vom unteren Laderaum bis zum Oberdeck bringen soll – mit Zwischenstopp im Zwischendeck. Er war für die Barrierefreiheit auf der „Peking“ unverzichtbar.
Diese in den unteren Laderäumen herzustellen, bereitet selbst einem so souveränen Restaurator wie Kaiser Kopfzerbrechen. Die Unterkanten der historisch vorgegebenen Öffnungen in den Rahmenspanten wären der für Rollstuhlfahrer vorgeschriebenen Neigung wegen nur mit 15 Meter langen Rampen überwindbar, die auch noch an beiden Seiten Geländer erfordern. Sechs solcher Rampen hintereinander lassen sich aber selbst im Bauch der mächtigen „Peking“ nicht unterbringen. Kaiser grummelt: „Ich bin schon am Grübeln.“ Wie schon oft bei der Sanierung der Viermastbark wird wohl auch hier Unmögliches irgendwie möglich werden.