Wewelsfleth. Die alte Viermastbark wird bis 2020 in der Peters Werft restauriert. Joachim Kaiser von der Stiftung Hamburg Maritim steht am Ruder.

Der Lärm ist infernalisch. Hammerschläge und das Kreischen von Winkelschleifern hallen durch den Rumpf der komplett entkernten „Peking“. Um uns herum ist nur nackter Stahl. Nichts, was den Schall dämpfen könnte. Die Rauchschwaden der Schneidbrenner ziehen gespenstisch durchs Zwielicht. Es riecht nach erhitztem Metall. Die Arbeiter, die zwischen Gerüststangen, Kabeln, Lüftungsschläuchen und Werkzeugkästen herumwuseln, tragen Schutzausrüstungen für Augen und Ohren und dicke Arbeitskleidung. Es ist bitterkalt.

Wir sind im mächtigen Bauch des 115 Meter langen und 14 Meter breiten Frachtseglers – dieser stählernen Legende, die 1911 bei Blohm + Voss gebaut und im vergangenen Jahr als Wrack aus New York geholt wurde. Seit August 2017 wird sie auf der Peters Werft in Wewelsfleth restauriert. Die Außenhaut, vorher durch eindringendes Regenwasser von innen und Salzwasser von außen beschädigt, ist schon fast überall wieder hergestellt.

Fußballgroße Löcher im Deck

Die Decks aber gleichen noch Flickenteppichen: Sie waren von einst zwölf auf wenige Millimeter weggerostet und haben durch das Sandstrahlen teils fußballgroße Löcher bekommen. Gehen darf man nur dort, wo bereits neue Stahlplatten aufgebracht wurden.

Schweißer ersetzen Teile des durchgerosteten Decks.
Schweißer ersetzen Teile des durchgerosteten Decks. © Thorsten Ahlf/ Hamburger Abendblatt

Sieht die „Peking“ ohne ihre 60 Meter hohen Masten von außen auch wenig eindrucksvoll aus – hier unten ist ihre imposante Größe offenkundig. „4500 Tonnen Ladung hatten im unteren Laderaum und auf dem Zwischendeck Platz – es war meist Salpeter, der von Chile nach Hamburg transportiert wurde“, erläutert Joachim Kaiser. Der 70-Jährige im roten Overall ist mit seiner Stiftung Hamburg Maritim nicht nur Eigentümer der einst so stolzen und nun arg heruntergekommenen Viermastbark, sondern hat bei deren Sanierung auch den Hut oder besser: den Helm auf. Für die Mammutaufgabe hat der ehemalige Kapitän – nicht ganz freiwillig, aber dennoch begeistert – seinen Ruhestand unterbrochen.

Schäden nicht verheimlichen

Ganz hinten im Heck bleibt Kaiser stehen und fordert uns auf, uns umzudrehen. Der Blick ist bemerkenswert: auf 85 Metern erstreckt sich der Schiffsbauch vor uns, gegliedert durch drei Flügelschotten, die den enormen Druck der Wanten auf den Rumpf abfangen sollen. Alle paar Meter erheben sich massive Raumstützen. Die Außenwand ist eine spektakuläre Nietkon­struktion aus Stahlplatten an einem Grundgerüst aus rippenartigen Spanten und querlaufenden Stringern.

Joachim Kaiser am hintersten untersten Punkt in der
Joachim Kaiser am hintersten untersten Punkt in der "Peking" © Thorsten Ahlf/ Hamburger Abendblatt

„Ein Traum, wie hier gearbeitet wurde“, schwärmt Kaiser. An den ausgebesserten Stellen, die geschweißt wurden, fehlen die klassischen Nieten. Das ist Absicht: Die Reparaturen sollen als solche erkennbar sein. „Wir wollen die ,Peking‘ so originalgetreu wie möglich restaurieren, aber die Schäden nicht verheimlichen.“

1000 Tonnen Ballast brauchte das Schiff

Zum Deck hin werden die Spanten durch Knotenbleche, eine Art Stahlflügel, verstärkt. Sie waren für die Festigkeit der „Peking“ mitverantwortlich. Denn bei einer Segelfläche von mehr als 4000 Quadratmetern entstehen Kräfte, die auch einem Schiff mit 3000 Tonnen Eigengewicht hätten schaden können. 32 Segel konnten an den vier Masten der „Peking“ gehisst werden. Nun liegen Fock-, Groß-, Kreuz- und Besanmast zur Sanierung an Land. Ihr mächtiger Umfang lässt sich aber anhand der großen Mastdurchführungen erahnen, an denen wir jetzt vorbei in den vorderen Teil des Schiffes gehen. Der Boden hier unten besteht aus Beton. „Er diente als Ballast“, erläutert Kaiser. „1000 Tonnen waren nötig, damit das Schiff nicht umkippte.“

Die Engländer, die die „Peking“ 1932 von der Reederei Laeisz gekauft hatten, um sie als stationäres Internatsschiff zu nutzen, kippten weiteren Beton hinein. Der war anfangs Grund zu großer Sorge, weil er allen Presslufthämmern widerstand. Darunter aber kam Schotter zutage, der leicht zu entfernen war – und sogar einige Schätze freigab: die gusseisernen Füße des Kapitänstisches zum Beispiel und eine verbogene Penny-Münze aus dem Jahr 1916. „Die Engländer haben einfach alles reingeschmissen, was sie nicht brauchten“, sagt Kaiser.

Unter Deck erstreckt sich der Laderaum.
Unter Deck erstreckt sich der Laderaum. © Thorsten Ahlf/ Hamburger Abendblatt

Bevor wir wieder nach oben klettern, führt Kaiser uns noch hinter das mittlere Flügelschott. Dort, etwa in der Mitte des Schiffsrumpfs, soll später ein gläserner Fahrstuhl eingebaut werden. Dass die „Peking“, die einmal im Deutschen Hafenmuseum liegen wird, als „modernes“ Museumsschiff barrierefrei sein muss, ist für Kaiser eine der vielen Herausforderungen außerhalb der eigentlichen Sanierung.

Nietenkonstruktion möglichst erhalten

Und schon allein die ist sehr aufwendig – was unter anderem am Perfektionismus der Beteiligten liegt. „Wir könnten vieles einfacher haben, aber wir sind halt ein bisschen verrückt“, sagt Kaiser und meint damit sich selbst, den Rahsegler-Spezialisten Detlev Löll und Jens Marjanczik, der die Bauaufsicht führt. So wird nicht nur ein Viertel der Stahlkonstruktion erneuert, sondern dabei mit viel Aufwand versucht, den eindrucksvollen Anblick der Nietenkonstruktion so weit wie möglich zu erhalten. So werden zwar die verrosteten Nieten, die das zum Schluss völlig vermoderte Deck gehalten haben und nach dessen Entfernung mehrere Zentimeter aus dem rostigen Stahlboden ragen, von oben abgeflext, bleiben aber erhalten und weiterhin von unten an den Decksbalken sichtbar.

Auf dem Oberdeck zeigt uns Kaiser, wo sich früher Kapitänssalon, Mannschaftsräume, Kombüse und die Schweinehocke (ein kleiner Schweinestall) befanden. „Bis zu 30 Mann Besatzung lebten hier auf engstem Raum zusammen“, sagt er. Auch diese Bereiche würden wieder originalgetreu aufgebaut, jedenfalls teilweise.

Arbeiten am sogenannten Eselshaupt an einem der Masten.
Arbeiten am sogenannten Eselshaupt an einem der Masten. © Thorsten Ahlf/ Hamburger Abendblatt

Nach einem Abstecher in eine Halle, in der die riesigen Masten aus Stahl ausgebessert werden, und in eine zweite, wo die Rohlinge der in den Niederlanden gefertigten neuen Rahen liegen, ist unser Besuch der „Peking“ zu Ende. Am 5. Mai 2020, so hat es die Werft festgelegt, soll sie wieder in Hamburg festmachen. Die vom Bund zur Verfügung gestellten 26 Millionen Euro werden am Ende nicht ausreichen – das musste Kaiser jüngst dem Mittelgeber melden. Als Lösung werden nun aber andere Bundesmittel umgeschichtet, die für das Hafenmuseum vorgesehen waren. Hamburg bekommt also in eineinhalb Jahren seine dann wieder stolze Viermastbark zurück.

Im Krieg Unterkunft der Navy

Die „Peking“ ist ein Schwesterschiff der Travemünder „Passat“ und gehörte zu den „Flying-P Linern“ der Hamburger Laeisz-Reederei. Noch bis in die 1930er-Jahre segelten diese Schiffe zwischen Hamburg und Südamerika mit Massengütern. So umrundete die „Peking“ 34-mal Kap Hoorn. Nachdem die Reederei Laeisz das Schiff 1932 in Folge der Weltwirtschaftskrise an die Firma Shaftesbury Homes and Arethuse Training Ship in London verkaufte, wurde sie zu einem stationären Schulschiff umgebaut, in „Arethusa“ umbenannt und bald darauf auf dem Fluss Medway verankert.

1940 zog die Royal Navy die Bark als Unterkunft ein und nannte sie wieder „Peking“. Als der Vorbesitzer das Schiff nach dem Zweiten Weltkrieg zurückbekam, hieß es wieder „Arethusa“. 1974 wurde es versteigert und gelangte als Museumsschiff in das Southstreet Seaport Museum in New York.