Hamburg. Die spannende Geschichte eines kleinen Pilgerzeichens. Interessant ist für die Archäologen auch der Fundort.
Es ist nicht einmal zehn Zentimeter groß, wiegt nur ein paar Gramm, und ein Teil ist leider abgebrochen – aber das kleine Fundstück, das die Archäologen bei ihrer Grabung an der Nikolaikirche in etwa einem Meter Tiefe gefunden haben, regt ihre Fantasie an. „Es handelt sich um ein Pilgerabzeichen“, sagt Kay-Peter Suchowa, der die Grabung leitet. „Und zwar um ein französisches.“ Dass er sich da sicher ist, hat er seinem Netzwerk zu verdanken. „Wir Wissenschaftler tauschen uns untereinander intensiv aus. Ich habe meinen Kollegen ein Foto geschickt, und die Pilgerzeichen-Experten waren sich schnell einig: Frankreich, 13. Jahrhundert.“
Interessant ist auch der Fundort, nämlich die Parzelle, auf der bis zum Großen Brand 1842 die Familie Leblond gelebt hat. „Zwar kann man nicht hundertprozentig ausschließen, dass die Familie seit dem Mittelalter in Hamburg ansässig war, aber sehr wahrscheinlich ist der Fundort nur ein Zufall – die Leblondes waren vermutlich Hugenotten“, sagt Suchowa. So nannte man französische Protestanten, die verfolgt wurden und im 16. und 17. Jahrhundert als Glaubensflüchtlinge massenhaft auswanderten – viele nach Norddeutschland.
Offizielles Abzeichen der Kirche
Was aber ist ein Pilgerzeichen eigentlich genau? „Das war eine Art offizielles Abzeichen der Kirche, mit dem Pilger sich als solche kenntlich machen konnten“, erklärt Suchowa. Es sollte Schutz auf den gefährlichen Reisen bieten – was die meisten Räuber aber nicht daran hinderte, Pilger dennoch zu überfallen. Pilgerfahrten waren vor allem im Spätmittelalter ein Massenphänomen: Zum einen versprach die Kirche Ablass der Sünden (für jeden Pilgerort war festgelegt, um wie viele Tage das Fegefeuer reduziert wurde), zum anderen waren sie Gelegenheit, um andere Orte und Menschen kennenzulernen.
Vor allem aber waren die Pilgerfahrten ein sehr einträgliches Geschäft. „Das fing schon mit den Abzeichen an, die gekauft werden mussten“, sagt Suchowa. Vor allem aber die Pilgerstätten wurden reich, weil so viele Menschen kamen und dort ihr Geld ließen – ein regelrechter Massentourismus setzte ein. Und das nicht nur in den Metropolen Rom, Köln oder Santiago de Compostela, sondern auch in kleinen Orten. „Hier in der Nähe war Wilsnack in Brandenburg der größte Pilgerort“, berichtet der Archäologe. Ein Adliger hatte dort die kleine Kirche abgebrannt – aber angeblich blieben die Hostien auf dem Altar unversehrt. Für die Kirche ein offizielles Wunder, für das 500-Seelen-Dorf ein Segen. Suchowa: „Nachweislich sind dort bis zu 60.000 Menschen pro Jahr hingekommen.“
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Weil alle Menschen des Mittelalters unbedingt ihre Höllenqualen verringern wollten, entwickelten sich sogar „Profipilger“. Reiche Kaufleute etwa, die keine Zeit für Pilgerreisen hatten, beauftragten solche Profis, in ihrem Namen zu pilgern – für Geld natürlich. Wem das jetzt gefundene Pilgerzeichen einmal gehört hat und wo die Reise hinging, wird man wohl niemals erfahren. „Aber es ist ein spannendes kleines Fundstück“, sagt Suchowa, der sich jetzt auf den Weihnachtsurlaub freut. Die Arbeiten werden am 6. Januar fortgesetzt.