Lübeck. Im Lübecker Hansemuseum läuft ab heute die Ausstellung „Störtebeker & Konsorten“ – dabei werden zahlreiche Mythen entzaubert.
Man muss ja nur den Namen sagen und das Kopfkino beginnt: Klaus Störtebeker. Und schon hat jeder den „Robin Hood der Meere“ vor Augen, der die Reichen beraubte und den Armen gab. Dessen Schädel heute im Museum für Hamburgische Geschichte ausgestellt ist. Und der vor seiner Hinrichtung auf dem Grasbrook mit dem Hamburger Bürgermeister abmachte, dass alle seine Kumpanen, an denen er auch ohne Kopf noch vorbeilaufen könne, begnadigt werden sollten (beim elften wurde ihm dann ein Bein gestellt und anschließend das Versprechen gebrochen).
Dass an der Legende nicht allzuviel Wahres ist, weiß man ja schon lange. Doch es waren vor allem zwei Fragen, die man sich stellte: Wer war der Mann? Und wurde er tatsächlich 1401 in Hamburg geköpft? Die überraschendste Antwort aber gibt es auf eine dritte Frage: Was war er? Nämlich kein Pirat, kein Krimineller, sondern ein angesehener Danziger Bürger – ein Unternehmer, der mindestens bis 1413 lebte. Das und noch viel mehr wird in der Ausstellung „Störtebeker & Konsorten“ des Lübecker Hansemuseums belegt, die heute eröffnet und mit den alten Mythen gründlich aufräumt.
Klaus Störtebeker war ein angesehener Kaufmann
„Störtebeker war kein Pirat, jedenfalls nicht im heutigen Sinne“, sagt der habilitierte Historiker Gregor Rohmann, der wissenschaftliche Berater der Ausstellung. „Er war Kaufmann und Unternehmer, rabiat und gewalttätig, aber kein Outlaw. Und was er tat, war damals keineswegs ungewöhnlich.“
Der berüchtigte Pirat soll quasi ein ehrbarer Kaufmann gewesen sein? Das ist zunächst mal schwer zu glauben, so sehr hat sich der Mythos des berühmten Freibeuters festgesetzt. Doch Rohmann und seine Kollegen begründen ihre Thesen ausgesprochen schlüssig. Ihre Geschichte geht ganz anders, ist aber nicht weniger spannend.
Tauchen wir also ein in das 14. und 15. Jahrhundert, die Blütezeit der Hanse. Die Kaufleute des mächtigen Städtebundes konkurrieren untereinander und mit denen aus England, Holland, Dänemark, Schweden und anderen Ländern. Es gibt keine internationalen Abkommen, kein Seerecht, keine gemeinsamen Normen - und so ist es legitim und völlig normal, wenn jeder das Recht bisweilen in die eigene Hand nimmt.
Störtebeker hieß nicht Klaus, sondern Johann
Doch beginnen wir mit der Identität. Störtebeker, da sind sich die Forscher weitgehend einig, hieß nicht Klaus, sondern Johann, und stammte aus Danzig. Er war Kaufmann, Sicherheitsunternehmer und Geldeintreiber. „Gewalt war vielfach legitimiert, etwa im Auftrag einer Stadt, eines Königs oder Herzogs, in Kriegen und Handelskonflikten oder schlicht zum Schuldeneintreiben“, sagt Rohmann.
Zudem haftete immer die Gemeinschaft – wenn ein Wismarer Kaufmann einem Lübecker etwas schuldete, durfte jedes Wismarer Schiff aufgebracht werden –, der Geschädigte konnte sich dann zu Hause an den Schuldner wenden. Für derlei Geschäfte gab es Spezialisten, die umgebaute Schiffe mit Söldnern bemannten. Johann Störtebeker war einer von ihnen – und Goedeke Michels (der laut Rechnung des Scharfrichters tatsächlich in Hamburg geköpft wurde) war ein typischer Söldner auf See.
Diese Konflikte endeten eher selten blutig. „Meistens genügte die Drohung. Wenn der Überfallene weder Aussicht auf Flucht, noch auf erfolgreichen Widerstand hatte, gab er auf“, erläutert Rohmann. „Er hatte ja auch Aussichten, sich seinen Verlust ersetzen zu lassen, wenn er selbst nicht der Schuldner war.“
Vitalienbrüder war ein Mode-Fremdwort
Anders war die Situation in Kriegen, in denen alle feindlichen Schiffe, aber auch neutrale, die feindliche Ware transportierten, Freiwild waren. So etwa Ende des 14. Jahrhunderts, als Albrecht III., Herzog von Mecklenburg und König von Schweden, gegen die dänisch-norwegische Königin Margarethe I. Krieg führte und Kaperfahrer anheuerte.
In dieser Zeit kam der Begriff Vitalienbrüder auf. Aber wohl nicht, wie oft zu lesen ist, weil sie das belagerte Stockholm mit Lebensmitteln („Vitalien“) versorgten. „Es war ein Mode-Fremdwort, hergeleitet von ,vitiallieurs’, Versorgungstruppen der französischen Armee“, so Rohmann. Diese Kaperfahrer machten sich nach dem Krieg aber nicht als Piraten selbstständig, wie die Legende behauptet – sie handelten immer im Auftrag.
„Johann Störtebeker etwa hat 1400 wie sieben andere Kapitäne auch einen Geleitbrief von Graf Albrecht von Holland erhalten, der eine Fehde gegen Hamburg führte“, sagt Rohmann. Er war wohl auch am Gefecht bei Helgoland beteiligt, wurde aber nicht gefangen genommen und geköpft. Dieses Schicksal traf Goedeke Michels und andere, die als Söldner eine sozial viel niedrigere Stellung hatten. Rohmann: „Der Vorwurf der Piraterie war meist nur Propaganda in einem Handelskonflikt.“
Dass Störtebeker zur Legende wurde, ist Zufall
Johann Störtebekers Leben zeigt, wie schnell aus Freunden Feinde und umgekehrt werden konnten: 1405 überfiel er englische Schiffe im Auftrag Danzigs, 1409 trieb er wieder Handel mit England und 1413 kaperte er im Auftrag des englischen Königs. Danach verliert sich seine Spur.
Die Grauzone zwischen legitimer Gewalt und Piraterie wurde erst später klar unterschieden: Da gab es offizielle Kaperfahrer mit Kaperbrief (der berühmteste war Francis Drake, der im Auftrag von Elisabeth I. spanische Schiffe plünderte) – und eben Outlaws, die auf eigene Rechnung arbeiteten und sich vor allem in der Karibik tummelten.
Dass ausgerechnet Störtebeker zur Legende wurde, obwohl viele andere das gleiche taten, ist ein Zufall. Sein Name tauchte in mehreren Chroniken auf, der eine schrieb vom anderen ab, irgendwann war er Synonym für Piraterie. Zum Sozialrebellen gegen die Obrigkeit hat ihn aber erst das 19. Jahrhundert gemacht. Und auch, wenn ihn die Forschung jetzt entromantisiert hat – ein Mythos wird er wohl bleiben.
Die Störtebeker-Ausstellung in Lübeck