Hamburg. Immer häufiger wird laut Naturschutzrat und BUND in beschleunigten Verfahren gebaut – ohne Umweltprüfung.

Wird beim Bau neuer Wohnungen in Hamburg immer weniger darauf geachtet, dass ein Ausgleich an Grünflächen geschaffen wird, wenn dieser geboten ist? Das jedenfalls fürchtet der Naturschutzrat Hamburg, ein Sachverständigengremium, das laut Naturschutzgesetz die Umweltbehörde beraten soll. Hintergrund der Kritik ist die zuletzt zunehmende Anwendung einer seit 2007 gültigen Spezialregelung des Baugesetzbuches (BauGB), mit der Genehmigungsverfahren bei Nachverdichtungen beschleunigt werden können.

Nach Paragraf 13a BauGB ist es seit 2007 bei Grundstücken bis zu 20.000 Quadratmeter Fläche möglich, auf die sonst zwingende Erstellung eines Umweltberichtes zu verzichten, der die Auswirkungen des jeweiligen Projektes auf die Umwelt beschreibt. Außerdem müssten „Eingriffe in den Naturhaushalt in diesen Verfahren nicht ausgeglichen werden“, wie der Naturschutzrat kürzlich in einer Stellungnahme schrieb. „Mit jeder Anwendung geht somit ganz konkret Natur ersatzlos verloren.“ Bei Flächen zwischen 20.000 und 70.000 kann das beschleunigte Verfahren ebenfalls angewendet werden, wenn nach einfacher Prüfung keine größeren Schäden für die Umwelt zu erwarten sind.

Bezirke sind für die Bebauungspläne zuständig

In Hamburg sind die Bezirke für die Bebauungspläne zuständig. Diese wenden die beschleunigten Verfahren laut Auswertung der Zahlen durch den Naturschutzrat und der Senatsantwort auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Heike Sudmann aus dem Frühjahr in den vergangenen Jahren immer häufiger an. Wurde des beschleunigte Verfahren ohne Umweltprüfung 2008 zweimal und 2009 nur einmal angewandt, so stieg die Zahl seitdem relativ kontinuierlich an. 2016 wurden bereits 16 Bauplanungen unter diesen Voraussetzungen und ohne Umweltprüfung registriert. Sudmann kritisiert, dass die immer häufigere Anwendung dazu führe, dass nötiger Ausgleich oft nicht mehr geschaffen werde.

Insgesamt habe es in den Jahren 2007 bis 2018 sogar 79 Verfahren nach Paragraf 13a gegeben, führt der Naturschutzrat in einem Brief an alle Hamburger Bezirksversammlungen aus. „Neben dem Verlust für den Naturhaushalt durch den fehlenden Ausgleich entfällt bei den B-Plänen nach Paragraf 13a zudem die konstruktive und förderliche Beteiligung der Öffentlichkeit weitgehend. Vor dem Hintergrund der um sich greifenden Politikverdrossenheit und dem Wunsch nach mehr Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse im persönlichen Umfeld, entspricht diese Art von Planungsprozessen nicht dem Anspruch an nachhaltige Politik.“ Fazit des Gremiums: „Der Naturschutzrat bittet die Bezirksversammlungen, den Pargrafen­ 13a BauGB nicht mehr an­zuwenden und die regulären Verfahrensschritte der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie die regelhaft vorgesehene Umwelt­prüfung und die Anwendung der Eingriffsregelung mit Ausgleich bei jedem B-Plan-Verfahren durchzuführen.“

Unterstützung bekommt Naturschutzrat vom BUND

Unterstützung bekommt der Naturschutzrat vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Die zunehmende Anwendung dieses Paragrafen geht klar zulasten der Natur“, sagt BUND-Chef Manfred Braasch. „Wird eine Freifläche versiegelt, werden Biotope zerstört, gibt es keine Kompensation wie sonst in regulären Bebauungsplänen. In der Summe verstärkt die Anwendung somit den ohnehin schon erheblichen Verlust von Lebensräumen für Tiere und Pflanzen in Hamburg.“ Der BUND fordere einen vollständigen Verzicht auf die Anwendung der Regelung in Hamburg. Da dies Sache der Bezirke sei, erwarte der BUND, „dass sich vor allem auch die neuen grünen Bezirksamtsleiterinnen und -leiter für einen Verzicht starkmachen“.

Auch die Umweltbehörde des grünen Senators Jens Kerstan ist nicht glücklich mit der verstärkten Anwendung des beschleunigten Verfahrens ohne Umweltausgleich. „Nach unserer Vorstellung sollte künftig auf den Paragrafen 13a verzichtet werden“, sagte Kerstan-Sprecher Björn Marzahn. Ein besonders negatives Beispiel für dessen Anwendung sei der Bebauungsplan Bramfeld 70, bei dem es um die Bebauung eines bisher von Bäumen bestandenen Innenbereichs zwischen Bramfelder Chaussee und Mützendorpsteed geht.

64 Sozialwohnungen sollen entstehen

Auf dem Areal sollen 64 Sozialwohnungen entstehen. Da die Fläche kleiner als 20.000 Quadratmeter ist, gibt es keinen Umweltbericht und auch nicht zwingend einen Ersatz für den Baumbestand. Das Vorhaben sei ein „Paradebeispiel“ dafür, wie durch Paragraf 13a Eingriffe in die Natur nicht mehr ausgeglichen und „eine Fläche mit altem Baumbestand ersatzlos bebaut“ würden, so Marzahn.

Das sieht auch BUND-Chef Braasch so. „Das Bauprojekt ist ein klassisches Beispiel: in einer grünen Oase schnell mal 64 Wohnungen bauen, ohne dass zumindest für die Naturzerstörung ein Ausgleich geschaffen wird“, so Braasch. „Das ist Stadtentwicklung von vorgestern und gehört dringend abgestellt.“