Hamburg. In Deutschlands erster Kuschel-Praxis nehmen Therapeuten ihre Klienten in den Arm. Vor allem Männer leiden unter Berührungsmangel.
Sanft streicht Alexandra Ueberschär mit ihrer Hand über die Schulter von Holger Kurz, dann wechselt sie die Position und schmiegt sich von hinten an ihn, ihr Bauch liegt an seinem Rücken, dabei umschließt sie ihn mit ihrem Arm. Beide liegen einfach nur da, eng an eng.
Holger Kurz lächelt und sagt, er sei tiefenentspannt. „Bis ich 14 Jahre alt war, habe ich jeden Abend mit meinem Vater gekuschelt“, sagt der 67-Jährige. Das ist lange her, und weil Holger Kurz allein lebt und sich nach körperlicher Nähe sehnt, geht es für ihn regelmäßig zum Schmusen in Hamburgs neue Kuschel-Praxis.
Erste Kuschel-Praxis für Hamburger
„Es ist erwiesen, dass achtsame Berührungen gesundheitsfördernd sind. Der Körper geht in Tiefenentspannung, schüttet Oxytocin aus, das steigert das Wohlbefinden und tut der Seele einfach gut“, sagt Therapeutin Alexandra Ueberschär nach der Einheit. Während der Sitzung trägt sie ihre Arbeitskleidung – Jogginghose und Langarm-Shirt – und lümmelt mit Holger Kurz auf dem Sofa in der Praxis an der Gaußstraße.
Gemütlich ist das Zimmer mit dem flauschigen Teppich und dem Ecksofa. Draußen regnet es: perfektes Kuschelwetter. Immer wieder wechseln Therapeutin und Klient ihre Positionen, ohne viel zu reden, aber immer mit einem tiefen Blick in die Augen des anderen. Glücklich sieht Holger Kurz aus, und auch Alexandra Ueberschär lächelt viel. Die beiden wirken vertraut und harmonisch, wie gute Freunde.
Streicheln unter der Kleidung ist tabu
Es geht darum, dass da jemand ist, der einen in den Arm nimmt, streichelt, sanft berührt. Und das alles in einer Praxis, in einem Setting ohne jegliche Erotik. Streicheln unter der Kleidung und Küssen sind tabu. Ziel ist es, das Wohlbefinden der Klienten zu steigern, ihnen Nähe und Geborgenheit zu geben. Bislang wollte nur ein Klient mehr, erzählt Alexandra Ueberschär.
„Wir glauben fest an das Potenzial, den vielen Menschen in unserer Gesellschaft helfen zu können, die unter Berührungsmangel leiden“, sagt Kuschel-Therapeutin Alexandra Ueberschär, die die Praxis gemeinsam mit Alicja Behrens gegründet hat.
In die Praxis kommen Menschen mit Depressionen, mit Ängsten – mehr Männer als Frauen. „Je älter und kränker die Menschen sind, desto weniger Berührungen erleben sie. Dabei haben gerade sie es so nötig.“ Das hat die 41 Jahre alte Mutter von zwei Kindern in ihrer Krankenpflegeausbildung und der Arbeit in der ambulanten Pflege täglich gesehen. Sie habe Klienten, die seit zehn Jahren nicht mehr umarmt worden sind. Bislang hat sie die Menschen in deren Zuhause besucht. Nun können die Klienten in die Bahrenfelder Praxis kommen.
Eine Stunden Kuscheln kostet 80 Euro
So wie Holger Kurz aus Eimsbüttel, weil er sich einsam fühlt. Der Experte für Naturschutz arbeitet viel und allein, seine Kinder und Enkel leben nicht in Hamburg. Der Biologe genießt die Nähe und die Aufmerksamkeit, die ihm seine Therapeutin schenkt: „Ich stehe mitten im Leben, habe viel zu tun, aber keine engen Kontakte und habe gemerkt, dass mir Berührungen fehlen.“ Beim Kuscheln wird er wieder ein wenig zum Kind. „Als Kind kuschelt man viel, leider geht das im Leben häufig verloren.“ Hin und wieder ist er so entspannt, dass er sogar einschläft.
„Andere weinen, weil ihre ganzen Emotionen einmal rauskommen“, sagt Frau Ueberschär. Eine Sitzung dauert eine Stunde, beinhaltet ein Vor- und Nachgespräch sowie rund eine halbe Stunde Kuscheln. Die 80 Euro dafür gibt Holger Kurz gern aus: „Berührungen sorgen dafür, dass ich meine Sorgen für den Moment loslassen kann.“
"Kuscheln auf Rezept ist unser Traum"
Nicht jeder Bedürftige kann sich die teure Sitzung leisten. Für diese sucht Alexandra Ueberschär Sponsoren. Auf das Honorar verzichten kann sie nicht, da sie von der Kuschel-Praxis und ihrem Job als Sommelière leben muss. Ihre Vision: „Dass es in Zukunft selbstverständlich sein wird, neben einem Masseur, Friseur, Physio- oder Psychotherapeuten auch einen Kuschel-Therapeuten an seiner Seite zu haben. Kuscheln auf Rezept ist unser Traum.“ Kuscheln sei doch das Natürlichste der Welt. „Und ich habe den schönsten Job der Welt“, sagt Alexandra Ueberschär. Hier gibt es weitere Infos zur Hamburger Kuschel-Praxis.