Hamburg. 9000 Hamburger geben DNA-Probe für Forschungsprojekt ab. HSV-Investor steuert 12,5 Millionen Euro bei. Was dahintersteckt.
Wie können die Ursachen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen früher und besser erkannt werden? Welche Therapien sind am besten geeignet für den jeweiligen Patienten, sozusagen maßgeschneidert? Mit einem neuen Forschungsprojekt unter Federführung des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) sollen jetzt die Heilungschancen von Erkrankten spürbar verbessert werden. Dies soll durch verbesserte Früherkennung und neue Diagnose- und Therapieansätze geschehen.
Neben Rauchen, Übergewicht und ungesunder Ernährung gehören auch genetische Faktoren zu den Risiken, die eine Herz-Kreislauf-Erkrankung mit beeinflussen. Wie die Genetik und die anderen Einflüsse zusammenspielen, ist bisher nur unzureichend erforscht. Mit der Erbgut-Analyse von 9000 Probanden wollen nun Hamburger und Schweizer Wissenschaftler dem komplexen Zusammenwirken auf die Spur kommen.
UKE-Projekt gilt als wichtiger Schritt gegen Infarkte und andere Volkskrankheiten
Zu diesem Zweck wurde am Freitag ein Kooperationsvertrag zwischen der Kühne-Stiftung, die das Projekt mit 12,5 Millionen Euro fördert, dem Universitätsspital Zürich und dem UKE unterzeichnet. Es handele sich um das bisher größte Forschungsprojekt zur Ganzkörpergenom-Entschlüsselung im deutschsprachigen Raum, hieß es.
Wissenschaftssenatorin Katherina Fegebank (Grüne) sagte, das Forschungsprojekt zur Erbgutentschlüsselung sei „ein wichtiger Schritt, um große Volkskrankheiten wie Herzinfarkte wirksam zu bekämpfen“. Das Projekt sei ein „weiterer Beleg für die Spitzenforschung am UKE und die internationale Strahlkraft des Forschungsstandortes Hamburg“.
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) betonte, Hamburg könne „stolz sein auf das UKE, das eines der besten Gesundheitszentren weltweit“ sei. Mit dem neuen Projekt werde die Forschung „auf ein neues Level gehoben“.
8000 der zunächst 9000 Proben, deren Erbgut ausgewertet werden soll, stammen von gesunden Probanden aus der Hamburg City Health Study (HCHS), der größten lokalen Gesundheitsstudie der Welt. Die übrigen 1000 kommen von ehemaligen Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen des Universitären Herz- und Gefäßzentrums, welche an speziellen Herzstudien teilgenommen haben.
Die genetischen Bioproben werden mit dem Ziel ausgewertet, neue Optionen zur Prävention, Diagnostik und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln. Im Mittelpunkt stehen die großen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie beispielsweise Herzrhythmusstörungen, Herzschwäche und Herzinfarkte. Das Forschungsprojekt erstreckt sich über fünf Jahre.
Erbgut innerhalb von 24 Stunden entschlüsselt
Stefan Blankenberg, Ärztlicher Leiter des Universitären Herz- und Gefäßzentrums des UKE, nannte das Projekt eine „bisher nie dagewesene Möglichkeit, intensive Ursachenforschung zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu betreiben“, damit Erkrankungen präziser behandelt und auf der Basis des Erbgutes neue Therapien entwickelt werden könnten. Zunächst wolle man die Herz-Kreislauf-Erkrankungen ins Visier nehmen, aber später die Erkenntnisse auch beispielsweise für die Neurowissenschaft und die Erforschung und Behandlung von Krebs- und Nieren-Erkrankungen nutzen.
Das Erbgut eines Menschen kann heute laut UKE innerhalb von 24 Stunden entschlüsselt werden. Die reinen Sachkosten dafür lägen bei 1300 Euro. Die erste Gen-Sequenzierung weltweit, deren Ergebnisse 2001 veröffentlicht wurden, habe noch mehr als zehn Jahre gedauert und mehrere Hundert Millionen Euro gekostet. Die Studie soll am 1. Oktober beginnen. Bereits Ende 2020 sollen alle 9000 genetischen Bioproben analysiert sein. Im Jahr darauf werden erste Ergebnisse erwartet.
Forscher suchen nach genetischen Fehler
Die Gene könne man sich wie eine Aneinanderreihung von unendlich vielen Buchstaben vorstellen, erklärte Tanja Zeller, Forschungsleiterin Kardiologie am Universitären Herz- und Gefäßzentrum. Wenn bestimmte Buchstaben durcheinandergerieten, könne man den Text nicht mehr klar entziffern. So sei es auch mit dem Erbgut. Es gelte zu erforschen, welche genetischen Fehler für Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit verantwortlich sind.
Seine Stiftung fördere das Projekt, weil Kardiologie „ein großes Thema“ sei, sagte der Hamburger Unternehmer Klaus-Michael Kühne. Nachdem er vor drei Jahren von Prof. Dr. Hermann Reichenspurner am offenen Herzen operiert wurde, so Kühne, habe er überlegt, was für die Medizin getan werden könne. Es sei ihm ein Anliegen, sich „voll in die Forschung einzubringen“.
Kühne weiter: „Wir wollen nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse generieren, sondern vorrangig den Menschen helfen.“ Uwe Koch-Gromus, Dekan der Medizinischen Fakultät, sprach von einem „zukunftsweisenden Projekt, das von großer Bedeutung für die Herz-Kreislauf-Forschung sein wird“. Es böten sich „unglaubliche neue innovative Möglichkeiten“.
Neue Professur mit Schwerpunkt Genetik
Für das federführend in Hamburg entwickelte Forschungsprojekt erfolgt die Ganzgenomsequenzierung der zunächst 9000 Proben am Universitätsspital Zürich, das die technischen Voraussetzungen dazu hat. Die Daten werden gemeinsam im künftigen Zentrum für Kardiovaskuläre Präzisionsmedizin am Forschungscampus Davos sowie am UKE aufbereitet und die Gensequenzen analysiert.
Zu diesem Zweck wird eine Professur für Klinische Kardiologie mit Schwerpunkt Genetik und Biomarkerforschung am UKE eingerichtet. Im schweizerischen Davos besteht an der Hochgebirgsklinik, die Kühne gehört, ein Forschungscampus. Dort wird eine Professur für Bioinformatik geschaffen.