Hamburg. Vertreter Hamburger Verkehrsunternehmen diskutierten über die Gestaltung eines umweltfreundlichen Verkehrs.

So viel geballte Verkehrskompetenz kommt selten zusammen. Um über die großen Herausforderungen beim Thema Mobilität zu sprechen, trafen sich in der Abendblatt-Redaktion die Chefs der großen Hamburger Verkehrsunternehmen und eines Verbands. In der Debatte zwischen Henrik Falk (Hochbahn), Kay Uwe Arnecke (S-Bahn), Lutz Aigner (HVV), Toralf Müller (VHH), Robert Henrich (Moia) und Lars Wagner (Sprecher Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, VDV) ging es um die Frage, wie Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) und Mobilität insgesamt effizient und umweltfreundlich gestaltet werden können. Weitgehend einig waren sich die Experten in einem Punkt: Wenn Deutschland die Klimaziele erreichen will, muss in der Verkehrspolitik radikaler umgesteuert werden.

Hamburger Abendblatt: Hamburg hatte schon vor Jahrzehnten große Pläne mit dem U-Bahn-Ausbau, dann mit einer Stadtbahn. Daraus ist nicht viel geworden. Was waren die größten Fehler, die die Stadt bei der Verkehrsplanung gemacht hat?

Henrik Falk: Eine Schwäche war es, dass der ÖPNV überwiegend nachfrageorientiert gedacht wurde. Man hat nur dort Angebote bereitgestellt, wo schon Nachfrage da war und wo sich neue Linien dann schnell gerechnet haben. Andere Städte haben vorgemacht, dass wir anders denken müssen. Wenn man die Mobilitätswende will, muss man auch dort ein gutes Angebot bereitstellen, wo noch keine große Nachfrage da ist. Dann steigen die Leute irgendwann um. Das wurde lange zu wenig gemacht, aber das ändern wir jetzt.

Wäre der Bau einer Stadtbahn richtig gewesen? Hat sie noch eine Chance?

Lutz Aigner: So eine Stadtbahn hat schon Charme. Es gab ja Ende der 1990er durchaus die Chance, eine Stadtbahn zu bauen, die die HafenCity erschlossen und Steilshoop angebunden hätte. Aber das Thema ist vorbei, deswegen ist es jetzt richtig, auf den Ausbau der U-Bahn zu setzen.

Kay Uwe Arnecke: Das größte Problem der vergangenen Jahrzehnte war, dass wir viele Projekte anmoderiert und dann wieder abmoderiert haben – und dabei nichts umgesetzt wurde. Die letzte Stadtbahnplanung ist das beste Beispiel, da haben wir viele Jahre und viel Geld verloren – und in der Zeit andere Projekte nicht auf den Weg gebracht. Jetzt setzen wir klar auf den Ausbau der vorhandenen Systeme U- und S-Bahn. Und wir müssen den Eisenbahnknoten Hamburg, den Hauptbahnhof, ertüchtigen. Das alles ist eine große Herausforderung. Die Umsetzung wird sich über Jahrzehnte hinziehen.

Toralf Müller: Da sind wir mit unseren Bussen deutlich flexibler. Mit Bussen kann man schnell reagieren und braucht nicht viele Jahre zur Schaffung von In­frastruktur. Deswegen glauben wir als VHH auch, dass Busse in der Zukunft weiter und verstärkt eine wichtige Rolle spielen werden.

Wie steht Hamburg denn in Sachen Verkehr derzeit im bundesweiten Vergleich da?

Lars Wagner: Hamburg steht relativ gut da. Man hat sich hier viele klare Ziele gesetzt und wichtige Dinge angestoßen. Dabei teilt Hamburg die großen Herausforderungen mit den meisten anderen Städten: die Infrastruktur des ÖPNV muss erneuert werden, die Kapazitäten müssen wachsen, und das Netz muss ausgebaut werden.

Hamburg hat jetzt einen Anteil des ÖPNV von 22 Prozent am Verkehrsvolumen, andere Städten sind bei diesem sogenannten „Modal Split“ mit Bussen und Bahnen schon bei 25 Prozent. So gut stehen wir also nicht da.

Wagner: Berlin ist mit 25 Prozent Spitzenreiter, aber da gibt es auch andere Rahmenbedingungen. So weit zurück ist Hamburg nicht.

Falk: Im Rahmen des Hamburg-Taktes gibt es ja zwei große Angebotsoffensiven, bei denen wir neue Linien anbieten, Taktungen erhöhen, Züge verlängern. Im Durchschnitt erweitern wir das Angebot um sechs Prozent. Damit stoßen wir auch in neue Dimensionen vor.

Vom kommenden Jahr an sollen nur noch emissionsfreie Busse eingesetzt werden. Lange hieß es, die deutsche Industrie könne serienreife E-Busse in der nötigen Stückzahl gar nicht liefern. Können Sie das Versprechen wirklich halten, ohne zu schummeln?

Falk: Ja, wir haben jetzt die ersten Busse von Daimler und Solaris. Und bis 2030 wollen wir die komplette Flotte emissionsfrei haben. Dabei sind wir technologieoffen.

Müller: Die E-Busse für dieses Jahr sind in der Abnahme, die für das kommende Jahr sind bestellt. Neben den Bussen ist natürlich die Infrastruktur eine große Herausforderung. Aber insgesamt können wir sagen: Wir sind bereit für die E-Mobilität.

Die aber derzeit noch deutlich teurer ist als der Betrieb von Diesel-Bussen.

Falk: Ja, wir müssen das gesamte Bussystem umstellen, das kostet viel Geld. Der Markt für emissionsfreie Busse muss sich entwickeln, aber da bin ich zuversichtlich, dass es bald mehr Wettbewerb und günstigere Preise gibt.

Studien haben gezeigt, dass auch in Hamburg die Straßen nicht effizient genutzt werden. Es fahren zum Beispiel viele Menschen allein in ihren Autos. Was kann man daran wie verbessern?

Robert Henrich: Viele Menschen nutzen ihr Auto sehr ineffizient, indem sie alleine fahren. Die Verkehrswende weg von dieser Nutzung kann nur gelingen, wenn wir ein Angebot schaffen, das für die Menschen wirklich attraktiv ist. Dazu gehört das Modell des Ride-Sharings, also des gemeinsamen Fahrens, das wir als Moia anbieten. Es bietet für die Stadt und die Kunden die meisten Vorteile.

Man sieht allerdings derzeit oft leere oder nur mit einer Person besetzte Moias.

Henrich: Das ist ein subjektiver Eindruck, den ich so nicht bestätigen kann. Wir stehen natürlich erst am Anfang und sind noch dabei, die Zahl der Fahrzeuge und Fahrer zu erhöhen. Ride-Sharing ist ein Geschäftsmodell der großen Zahl. Sie können nur effizient Fahrgäste bündeln, wenn sie sowohl auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite genügend Liquidität haben. Wir sind dabei, die aufzubauen. Wir haben mehr als 260.000 Anmeldungen und bereits mehr als 500.000 Fahrgäste gehabt. Es geht täglich nach oben. Und mit dem Wachstum gelingt auch die Bündelung immer besser.

Falk: Um die Mobilitätswende zu erreichen, brauchen wir definitiv solche ergänzenden Angebote. Man sollte den Dingen auch die nötige Zeit geben und nicht gleich nach zwei Wochen sagen: „Da sitzt ja keiner drin.“

Arnecke: Bei aller Wertschätzung: Ich glaube nicht, dass wir unsere Verkehrsprobleme in Hamburg mit Moia lösen. Oder mit E-Scootern oder dem StadtRad. Dafür ist Hamburg zu groß, und es zählt ja auch die Metropolregion dazu. Wir haben in den vergangenen Jahren ein Wachstum des Verkehrs um 30 Prozent erlebt, und das größte Wachstum gab es beim Regionalverkehr, also bei den Menschen, die von weit draußen in die Stadt kommen. Es gibt 350.000 Einpendler und 130.000 Auspendler. Da sind wir an unsere Kapazitätsgrenzen gekommen. Das heißt: Wir müssen den Schienen-Personennahverkehr ausbauen. Der braucht natürlich Ergänzungen, aber wenn wir die Schiene nicht stärken, werden wir auch mit den anderen Angeboten die Probleme nicht lösen können.

Aigner: Das ergänzt sich ja beides. Der Kunde muss sicher sein, dass er seinen Weg bequem ohne Auto zurücklegen kann, dafür sind alle Elemente notwendig.

Wie sieht es denn mit der Preisgestaltung aus? Muss der ÖPNV günstiger werden, um mehr Menschen zum Umstieg zu bewegen?

Aigner: Die Preiselastizität der Nachfrage, wie Experten das nennen, ist nicht sehr ausgeprägt. Das heißt: Preissenkungen führen nicht dazu, dass viele Menschen plötzlich mit Bus oder Bahn fahren. Was unsere Kunden wollen, ist ein qualitativ hochwertiges Angebot. Wenn ich also die Wahl habe, die Preise abzusenken oder das Geld, das ja zum großen Teil vom Steuerzahler kommt, in ein besseres Angebot zu stecken, würde ich immer das Angebot verbessern.

Arnecke: Für das 365-Euro-Ticket ist ja Wien das Vorbild. Da gibt es aber eine sehr genaue Studie, die nachweist, dass die Steigerung beim Modal Split über das bessere Angebot kam – nicht über die Preise. Als das 365-Euro-Ticket eingeführt wurde, gab es danach kaum noch Steigerungen bei den Fahrgastzahlen.

Henrich: Sie überzeugen keinen Autofahrer zum Wechseln, weil sie die Preise des ÖPNV senken. Das zeigt die Forschung. Sie können ihn nur durch ein besseres Angebot überzeugen. Das heißt aber nicht nur: mehr vom selben – es muss auch neue Angebotsformen geben. Denn natürlich ist das Auto nach wie vor hochattraktiv: Sie können Ihr Auto jederzeit nutzen, müssen nicht umsteigen, keinen Fahrplan beachten, sich nicht um Fahrkarten kümmern, können jede beliebige Strecke fahren und sind für sich allein. Damit können Sie mit Bahnlinien nicht konkurrieren, es sei denn, der betreffende Kunde wohnt direkt an einer Bahnlinie. Für alle anderen brauchen Sie andere, flexible und innovative Angebote.

Unabhängig von den Preisen empfinden viele Menschen das HVV-Tarifsystem als kompliziert. Sollte man daran etwas ändern?

Aigner: Wir wollen das Tarifsystem möglichst gerecht gestalten. Gerecht heißt kompliziert, weil ich für unterschiedlich lange Strecken unterschiedliche Preise zahle. Unser Ziel muss es sein, dem Kunden den Zugang zu dem gerechten System einfacher zu machen. Da gibt es ja mit „Check in/Be out“ ein Modell, an dem wir arbeiten. Da checkt sich der Kunde per Handy ein, und beim Verlassen wird er automatisch ausgecheckt. Das System ermittelt nach einem Tag die für den Kunden günstigste Tarifvariante und bucht den Fahrpreis direkt ab. Die HVV-Card erleichtert das Ganze auch. Gleichwohl kann man darüber nachdenken, das Tarifsystem strukturell zu vereinfachen. Da gibt es zudem Gesprächswünsche aus dem Umland, wir haben dazu jetzt ein Projekt aufgelegt, um eine Vereinfachung zu prüfen.

Wir stark kann man das Angebot des ÖPNV überhaupt noch ausdehnen?

Arnecke: Die wesentlichen Punkte sind ja angeschoben: Ausbau der Bahnlinien und Entlastung des Eisenbahnknotens Hamburg. Wir brauchen aber einen verbindlichen Masterplan, damit wir sicher sein können, dass diese Projekte, die sich ja über Jahrzehnte ziehen, auch bis zu Ende umgesetzt werden. Dafür wäre eine Art „Verkehrsfrieden“ sinnvoll, den alle die Bürgerschaft tragenden Parteien schließen. Das würde uns davon abhalten, alle paar Jahre neue Diskussionen zu führen und Pläne wieder aufzugeben.

Falk: Wir haben uns vorgenommen, die Infrastruktur auf hohem Niveau zu erhalten, die Schnellbahnen auszubauen, das Angebot in allen Bereichen deutlich zu erhöhen und emissionsfrei zu werden. Das ist ein riesiger Kraftakt. Wenn wir das bis 2030 schaffen, ist das eine große Leistung, ich weiß nicht, ob es ein so ehrgeiziges Programm historisch gesehen überhaupt schon mal gegeben hat.

Müller: Bei den Bussen sind die Wachstumsgrenzen noch gar nicht ausgelotet. Wir schaffen derzeit auch neue Bus­linien, etwa bei den Tangentialverbindungen wie jetzt auf der Strecke Bergedorf–Harburg. Wir können mit Bussen ja sehr schnell reagieren.

Bei der Hochbahn sollen für die Querverbindungen noch immer Stadtbahnpläne in der Schublade liegen. Angesichts des großen Wachstums könnte man nämlich beides brauchen, sagen einige: neue U- und S-Bahnen und ein Stadtbahnsystem als Ergänzung.

Falk: Lassen Sie uns erst mal die Maßnahmen umsetzen und 2030 abwarten und dann schauen, wo wir stehen.

Arnecke: Das ist ja auch eine Frage der Finanzierung. Wir haben uns jetzt sehr viel vorgenommen. Und es ist wichtig, dass wir das alles auch solide finanzieren. Ich hoffe ja, dass diesen Monat noch die Finanzierungsvereinbarung für die S 4 unterschrieben wird. Wir müssen uns auf die aktuellen Pläne konzentrieren. Dann können wir uns 2030 wieder treffen.

Soll der HVV eigentlich immer weiter wachsen? Jetzt sind es sieben Umlandkreise, die dazugehören, vier sollen hinzukommen. Kommt da noch mehr?

Aigner: Es gibt oft das Bedürfnis, sich näher an Hamburg anzubinden. Das hat meist eine hohe standortpolitische Bedeutung. Der HVV ist aber von seiner Struktur her ein Großstadtverbund.

Welche Hebel gibt es noch zur Lösung der Verkehrsprobleme?

Henrich: Wir brauchen eine Veränderung des Personenbeförderungsgesetzes. In der aktuellen Fassung behindert es die Innovation bei den Mobilitätsangeboten. Die Planungssicherheit, die Sie sich bei S- und Hochbahn zu Recht wünschen, gibt es für innovative Angebote wie Moia bisher nicht. Da bewegt man sich in einem Graubereich und muss mit starken Einschränkungen und befristeten Experimentierkonzessionen arbeiten. Das behindert Innovation, und es behindert den Wirtschaftsstandort Deutschland. Von Hamburg könnte ein starker Impuls ausgehen, diesen Rechtsrahmen mutig zu novellieren, um dann gemeinsam ein verknüpftes Angebot von klassischem Linienverkehr und neuen On-Demand-Angeboten zu schaffen.

Die Regulierung soll ja auch eine Art „Uber-isierung­“ verhindern, dass also Fahrer mit eigenen Autos zu miserablen Löhnen das Taxigewerbe verdrängen – wie es Uber in anderen Ländern vorgemacht hat.

Henrich: Diese Angst ist unbegründet, man kann die Regulierung so ändern, dass neue Angebote ermöglicht werden, die auf unseren Sozialstandards beruhen.

Müller: Ich finde das Gesetz gar nicht so schlecht. Ioki zeigt ja, dass man auch mit diesem Recht innovative Angebote gemeinsam schaffen kann.

Henrich: Wenn Sie Millionen in Infrastruktur investieren und verkehrlich relevant werden wollen, ist eine vierjährige Experimentierkonzession keine gute Grundlage.

Welche Rolle spielt eigentlich Carsharing bei der Mobilitätswende?

Wagner: Das ist eine gute Ergänzung, aber sicher nicht die alleinige Lösung.

Henrich: Carsharing wird uns nicht viel helfen, denn es löst das Flächenproblem nicht. Sie haben immer noch ein Auto mit meist nur einem Nutzer, und es braucht Parkfläche in der Stadt.

Arnecke: Ein Systemproblem ist, dass viele Angebote sich in der City tummeln, aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen. Das betrifft auch das Carsharing. Gerade in den Außenbezirken, wo wir es bräuchten, kommt es dagegen weniger zur Geltung. Es hakt aber in den Außengebieten auch für viele Betroffene vor allem an den Parkmöglichkeiten, also Park+Ride oder Bike+Ride. Ich glaube, darauf müssen wir mehr Wert legen.

War es dann nicht falsch, Park+Ride überall kostenpflichtig zu machen?

Arnecke: Nein, denn wir müssen ja dafür sorgen, dass dort nicht Anwohner die Parkplätze besetzen, die gar nicht mit dem HVV fahren.

Ist das viel gepriesene autonome Fahren die Lösung?

Aigner: Auch ein autonom fahrendes Auto braucht Fläche und Energie und ist insofern nicht zu unterscheiden von einem gesteuerten Auto. Das wird keine Problemlösung bringen.

Falk: Man muss bei allen neuen Verkehrsformen aufpassen, dass irgendwelche Strecken, die vorher mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt wurden, nicht plötzlich gefahren werden. Autonome Systeme könnten aber dabei helfen, mit weniger Fahrzeugen mehr klimafreundliche Mobilität zu gewährleisten – durch die Kombination mit Ride-Sharing und Emissionsfreiheit. Aber vor Mitte der 20er-Jahre wird es solche autonom fahrenden Flotten in Städten nicht geben.

Henrich: Alle Experten haben das Thema lange zu euphorisch gesehen. Vor 2025 werden wir solche Flotten nicht haben. Autonomes Fahren könnte übrigens auch dazu führen, dass der private Pkw wieder attraktiver wird. Weil ich mich dann ja, ohne selbst zu fahren, flexibel transportieren lassen kann. Es ist sehr schwierig abzusehen, welchen Netto­effekt das autonome Fahren haben wird – ob es zu mehr oder zu weniger privaten Pkw führt.

Schaffen wir eigentlich mit diesen Bausteinen, über die wir jetzt gesprochen haben, wirklich die Verkehrswende – auch um die Klimaziele einzuhalten? Da drängt die Zeit ja immer stärker.

Falk: Wir müssen uns klar werden, dass wir mehr Sportlichkeit, vielleicht mehr Radikalität brauchen. Wir können nicht so weitermachen wie in den letzten zehn, 15 Jahren. Wir brauchen einen gemeinsamen Ansatz, klare rechtliche Rahmenbedingungen und gesicherte Finanzierung und den politischen Willen, die Mobilitätswende auch wirklich zu schaffen. Der Hamburg-Takt zeigt hier den richtigen Weg.

Reicht ein besseres ÖPNV-Angebot? Oder muss man zeitgleich das klimaschädliche Autofahren unattraktiver machen – zumindest in Metropolen mit gutem ÖPNV?

Arnecke: Wir müssen radikaler denken, möglicherweise auch in der Frage, welche Verkehrsform wir priorisieren. Der Verkehrsbereich insgesamt hat seine Klimaziele noch nicht erreicht. Im neuen Bundesverkehrswegeplan gibt es immer noch mehr Geld für die Straße als für die Schiene. Die Schweiz hat im vergangenen Jahr 365 Euro pro Kopf für den Schienenverkehr ausgegeben. Bei uns waren es 77 Euro. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir deutlich konsequenter sein: den Fokus auf die Schiene legen und uns auch mal all die neuen Straßenprojekte ansehen und uns fragen, ob wir die wirklich brauchen.

Aigner: Wir werden ja auch beim Ausbau etwa des Bussystems irgendwann zwingend in Konflikt mit dem Autoverkehr kommen – weil wir Busspuren auf Kosten des Autoverkehrs brauchen werden, damit die Busse nicht im Stau stehen.

Müller: Uns würde als Schnellmaßnahme schon mal helfen, wenn es weniger Falschparker gäbe, die den Busverkehr behindern.

Henrich: Die Frage nach Verboten ist nicht die richtige Frage. Wir brauchen einen Konsens, den schaffen wir nur mit positiven Visionen.

Wagner: Allein mit Konsens werden wir aber die Klimaziele bis 2030 nicht erreichen können. Und dann drohen auch Milliarden-Strafzahlungen an die EU. Alle bei der Mobilitätswende erfolgreichen Städte haben immer mit Push- und Pull-Maßnahmen gearbeitet, also mit attraktiven Angeboten einerseits und Einschränkungen für den Individualverkehr andererseits.

Welche Restriktionen könnten das sein?

Wagner: Man kann etwa das Parken teurer machen oder die Anzahl der Parkplätze in der Stadt verringern. So was wie eine Citymaut wäre erst nach rechtlichen Änderungen möglich, das kann lange dauern. Wir müssen jetzt an ganz vielen Schrauben drehen, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen. Dazu gehört unter Umständen auch die Einschränkung des Autoverkehrs, um den Verkehr in der Stadt insgesamt zu verringern. Auch wenn das unpopulär ist.

Wenn Sie einen Wunsch für die Zukunft in Sachen Verkehrspolitik frei hätten – welcher wäre das?

Arnecke: Für die S-Bahn ist es die Digitalisierung des gesamten Netzes.

Aigner: Hamburg ist mit der Angebotsoffensive schon auf einem sehr guten Weg, ich wünsche mir aber noch einen deutlichen Ausbau des Regionalverkehrs.

Müller: Mein Wunsch wäre mehr Wertschätzung für unsere Busfahrer.

Falk: Ich wünsche mir, dass wir den Ausbau so gut hinbekommen, dass das Wort „Fahrplan“ 2030 nicht mehr existiert – weil man überall in kürzester Zeit von einem Mobilitätsangebot abgeholt wird.

Henrich: Mein Wunsch ist es, dass wir den Graben zwischen Straße und Schiene überwinden und gemeinsam eine Verkehrswende schaffen – mit einem starken ÖPNV und einem starken neuen System des Ride-Sharings.

Wagner: Ich wünsche mir eine konsequente Verkehrspolitik, die dazu führt, dass wir durch eine Stärkung des ÖPNV die Klimaschutzziele erreichen.