Hamburg. Die Bürgerschaftspräsidentin über den Ton im Parlament, Hassmails an Politiker und warum junge Menschen ihr Hoffnung machen.
Ihr Amt erfordert diplomatisches Geschick und Überparteilichkeit. Doch Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) ist auch eine Freundin klarer Worte. Anlässlich unserer Aktion „Seid nett zueinander“ sprachen wir mit der 46-Jährigen über Umgangsformen im politischen Raum und Ansätze für ein freundlicheres Miteinander.
Hamburger Abendblatt: Frau Veit, Sie gehören der Hamburgischen Bürgerschaft seit 2004 an. Wie hat sich der Ton in der Politik in diesen 15 Jahren verändert?
Carola Veit: Im Parlament kaum. Da geht und ging es schon immer um knackige Auseinandersetzungen mit klaren Worten, und da ist der Ton auch nicht rüder geworden – was auch daran liegt, dass wir da klare Regeln haben, etwa zum parlamentarischen Sprachgebrauch. Aber der Ton, wie außerhalb des Parlaments mit und über Politik gesprochen wird, hat sich verschärft.
Inwiefern?
Veit: Der Umgang mit Politikern ist respektloser und distanzloser geworden. Dass wir in der Kritik stehen und uns am Infostand klare Worte anhören müssen, ist völlig in Ordnung, das hat es immer gegeben. Aber in den letzten drei bis fünf Jahren hat sich der Umgangston verschärft. Das hat natürlich mit den sozialen Netzwerken zu tun, wo schnell Dinge geschrieben werden, die man niemandem persönlich oder auch nur am Telefon sagen würde. Wir bekommen andererseits aber auch viel positives Feedback, auch über Social-Media-Kanäle.
Wie erleben Sie es am eigenen Leib, dass Grenzen überschritten werden?
Veit: Eine völlig neue Kategorie sind diese Hassmails. Die gehen weit über die üblichen Beschimpfungen hinaus, das Vokabular kann ich hier gar nicht wiedergeben. Von Vergewaltigungsfantasien bis hin zu Drohungen, wie Mitglieder meiner Familie sterben sollen, ist alles dabei. Das bezieht sich immer auf meine Rolle als Politikerin.
Wie oft kommt so etwas vor?
Veit: Das sind schon einige Dutzend Fälle pro Jahr.
Was sind das für Leute, die Ihnen so etwas schreiben und welche Themen oder Ereignisse lösen solche Hass-Mails aus?
Veit: Die geben sich nicht zu erkennen, dafür sind sie zu feige. Aber da die allermeisten dieser Mails einen rechtsradikalen Bezug haben oder sogar Nazi-Vokabular verwenden, liegt nahe, aus welcher Ecke die kommen. Oft gibt es Bezüge zu AfD-Themen in der Bürgerschaft. Über die Beweggründe kann man nur spekulieren: Angst vor Veränderung ist sicher einer, gefühlte Hilflosigkeit in einer immer komplizierteren Welt ein weiterer. Und dann gibt es im Netz halt kein Korrektiv, mit dem Smartphone lassen sich Angst und Wut ruckzuck und ungefiltert transportieren.
Manchen Fall haben Sie selbst öffentlich gemacht. Haben Sie Mechanismen gefunden, damit umzugehen?
Veit: Inzwischen zeige ich jeden krassen Fall an. Wenn die Ermittlungsbehörden nichts davon erfahren, können sie ja auch nichts unternehmen.
Wo ist Ihre Grenze?
Veit: Wenn es so ekelig wird, dass ich es hier nicht zitieren würde...
Was ist aus den Fällen geworden, die Sie selbst angezeigt haben?
Veit: Die werden als politisch motivierte Straftat verfolgt. Aber in der Regel sind die Absender kaum zu ermitteln, und dann wird das Verfahren eingestellt.
Wäre es aus präventiver Sicht nicht wünschenswert, dass Absender solcher Hassmails häufiger vor Gericht gestellt werden?
Veit: Natürlich wäre das zu begrüßen, weil es eine abschreckende Wirkung hätte. Bei unserer früheren Bürgerschaftsabgeordneten Stefanie von Berg ist das ja auch gelungen: Ein Täter wurde verurteilt.
Was muss sich tun, um diese verbale Aggressivität wieder einzudämmen?
Veit: Wir brauchen mehr Bereitschaft, einander zuzuhören und Argumente auszutauschen. Mir gefällt das Motto „Agree to disagree“: Man kann doch am Ende einer Diskussion feststellen, dass man unterschiedlicher Meinung ist, aber dennoch friedlich zusammenleben.
Auch viele Politiker sind in den sozialen Netzwerken sehr aktiv. Kann es eine Lösung sein, sich da stärker zurückzuhalten?
Veit: Nein, kann es nicht. Wir müssen dort präsent sein – weil wir uns an den Diskussionen dort beteiligen müssen, sonst laufen sie ohne uns. Und weil wir einige Zielgruppen, gerade junge Menschen, anders kaum noch erreichen.
Der Mord an dem hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke war der erste offensichtlich politisch motivierte Mord an einem Politiker seit vielen Jahren. Fühlen Sie sich auch manchmal persönlich bedroht?
Veit: Dass Menschen bereit sind, solche Grenzen zu überschreiten, ist erschütternd und muss uns zu denken geben. Aber ich fühle mich in Hamburg absolut sicher.
Haben Sie Verständnis für Kollegen von Ihnen, die sagen, das mute ich mir und meiner Familie nicht mehr zu, ich höre auf?
Veit: Ja, großes Verständnis! Aber wir können unser Land auch nicht dem rechten Pöbel überlassen.
Was bedeutet es für unser politisches System, wenn diese Haltung Schule macht?
Veit: Das darf nicht Schule machen, aber davon sind wir ja zum Glück noch weit entfernt. Nach meiner Beobachtung sind für den Ausstieg aus der Politik weniger solche Extremsituationen verantwortlich als vielmehr das, was eine Ebene darunter geschieht: Respektlosigkeiten, wenig Wertschätzung für unsere Arbeit, immer präsent sein, permanent Kritik ausgesetzt sein – da braucht man ein dickes Fell. Es gibt in jeder Legislaturperiode drei bis vier Kolleginnen und Kollegen, bei denen das der zentrale Grund dafür ist, aufhören zu wollen.
Sehen Sie die Politik da in einer Sonderrolle? Oder sitzen Sie mit Polizisten, Feuerwehrleuten und Sanitätern in einem Boot, die auch zunehmend Probleme mit fehlendem Respekt, Gaffern und Pöblern haben oder sogar an ihrer Arbeit gehindert werden?
Veit: Wir sitzen schon in einem Boot, wobei es für diese Berufsgruppen noch schlimmer ist: Ich kann ja selbst entscheiden, wie stark ich mich exponiere und wo ich hingehe – und dann auch, wann es mir reicht und wann ich eine Diskussion beende. Polizisten oder Feuerwehrleute haben diese Entscheidungsfreiheit nicht: Die müssen ihren Job machen, und es ist inakzeptabel, wenn sie dabei beschimpft oder daran gehindert werden.
Fehlt es einfach an guten Benehmen?
Veit: Jeder sollte bei sich selbst anfangen. Wenn im Bus jemand den Fahrer bepöbelt, weil der Bus zu spät kommt oder beim Bäcker jemand über die lange Warteschlange mault, kann man die Menschen ja freundlich darauf hinweisen, dass der Busfahrer und die Verkäuferin auch nichts dafür können. Auch im Internet kann man sich einschalten und Leute in die Schranken weisen, die sich im Ton vergreifen.
Brauchen wir wieder mehr Konventionen?
Veit: Ich nehme schon wahr, dass sich Menschen ein Stück weit nach Konventionen und einem ordnenden Rahmen zu sehnen scheinen. Die Abiturienten, die zu ihren Feiern hier auf den Rathausmarkt kommen, tragen alle Anzug oder Abendkleid. Da ist offensichtlich eine große Sehnsucht nach einer Konvention. Das schafft Leitplanken. Vielleicht brauchen wir das auch mehr im gesellschaftlichen Umgang insgesamt. Vor Gericht und im Parlament gibt es auch feste Regeln.
Wie kann man die Akzeptanz solcher Regeln gesellschaftlich hinbekommen?
Veit: An vielen Stellen funktioniert es ja! Nehmen wir das Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit: Hoffnung machen mir die jungen Leute, auch wenn sie uns jede Woche im Rahmen von Fridays for Future auf dem Rathausmarkt anbrüllen. Die jungen Leute kritisieren uns schon sehr, aber die sind nicht verzweifelt. Sie sehen, dass die Lösung nicht ist, die Politik nur zu beschimpfen. Und man kommt ja auch ins Gespräch miteinander.
Ein Wesensmerkmal von Politik ist der inhaltliche Streit. Inwiefern kann ein Appell wie „Seid nett zueinander“ dort überhaupt auf fruchtbaren Boden fallen oder ist er von vornherein zum Scheitern verurteilt?
Veit: Nein, überhaupt nicht. Auch für uns ist der sachliche Umgang, die sachliche Diskussion miteinander doch gut. Jeder sollte einen Moment lang nachdenken, bevor er einen Spruch auf Facebook raushaut. Ich habe während Lehre und Studium viel gekellnert. Am Ausgang von der Küche ins Restaurant hing ein Spiegel, auf dem stand: „So sieht Dich dein Gast!“ Im Grunde brauchen wir so einen kleinen Spiegel neben der Tastatur des Smartphones auch...