Hamburg. Dem 92-Jährigen wird Beihilfe zum 5230-fachen Mord vorgeworfen. SS-Wachmann Bruno D. sei “Rädchen der Mordmaschinerie“ gewesen.

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft war er ein „Rädchen der Mordmaschinerie“ der NS-Diktatur. Jetzt steht fest, dass sich der frühere SS-Mann Bruno D. vor dem Hamburger Landgericht verantworten muss. Dem heute 92-Jährigen wird Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen.

Laut Anklage hat Bruno D. zwischen August 1944 und April 1945 als SS-Wachmann die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt. Der Prozess gegen den früheren Aufseher im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig wird am 17. Oktober beginnen, bestätigte Gerichtssprecher Kai Wantzen dem Abendblatt auf Anfrage. Die „Welt“ hat als Erstes über den Fall berichtet.

KZ-Wächter Bruno D. eingeschränkt verhandlungsfähig

Bei Bruno D. war es zunächst nicht klar, ob der 92-Jährige vor Gericht gestellt werden könne. Ein rechtsmedizinisch-neurologisches Gutachten war ursprünglich zu dem Schluss gekommen, dass der in Hamburg lebende Mann wegen schlechter psychischer Verfassung nicht verhandlungsfähig sei. Bei einer anschließenden Anhörung durch das zuständige Gericht schien der Angeklagte allerdings orientierter, so dass die Kammer daraufhin ein geronto-psychiatrisches Gutachten in Auftrag gab. Die Gerontopsychiatrie befasst sich mit psychischen Erkrankungen, die typischerweise erst mit dem Alter auftreten, wie Demenzen. Laut dieser neuen Expertise ist Bruno D. eingeschränkt verhandlungsfähig, zumindest für zwei Stunden pro Tag, wie Gerichtssprecher Wantzen auf Anfrage sagte. Für den Prozess sind bislang zwölf Verhandlungstage bis zum 17. Dezember terminiert.

Während der damaligen Tätigkeit des SS-Mannes als Wachmann kam es auf Anordnung der Staatsführung des Dritten Reiches zur sogenannten „Endlösung der Judenfrage" und zur systematischen Tötung von Lagerinsassen. Demnach wurden die Häftlinge überwiegend durch einen Genickschuss getötet oder indem ihnen das Giftgas Zyklon B verabreicht wurde, heißt es in der Anklage. Zudem ließ man die Insassen des Konzentrationslagers schwere körperliche Arbeit verrichten und dabei bewusst hungern, um ihre Erschöpfung zu beschleunigen.

Auch Überlebende aus Konzentrationslager zum Prozess erwartet

Darüber hinaus wurde ihnen medizinische Versorgung verweigert. Zu den Aufgaben des Mannes, der seinerzeit 17 beziehungsweise 18 Jahre alt war, gehörte es der Staatsanwaltschaft zufolge, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern. Somit habe er dazu beigetragen, dass der Tötungsbefehl umgesetzt werden konnte. Im KZ Stutthof und seinen Nebenlagern sowie auf den sogenannten Todesmärschen zu Kriegsende starben nach Angaben der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständigen Zentralstelle in Ludwigsburg 65.000 Menschen.

Zu dem Prozess werden auch Überlebende aus dem Konzentrationslager erwartet sowie Angehörige von damals getöteten Insassen. Bisher haben zwanzig Personen eine Zulassung als Nebenkläger beantragt, 15 davon sind bereits zugelassen. Ob die Überlebenden, von denen die meisten heute in den USA, in Polen und Israel leben, auch als Zeugen gehört werden sollen, ist noch offen.

SS-Mann gab an, auch Schreie aus der Gaskammer gehört zu haben

Das Gericht hat zudem einen Historiker als Sachverständigen beauftragt, ein Gutachten in Bezug auf die Tätigkeit des Angeklagten im Konzentrationslager anzufertigen. Darüber hinaus wird ein Jugendpsychiater als Sachverständiger geladen zur Frage, ob bei Bruno D. zum damaligen Zeitpunkt die Persönlichkeitsstruktur so weit ausgereift war, um ein Unrechtsbewusstsein zu entwickeln. Weil der Angeklagte zur Tatzeit noch Jugendlicher war beziehungsweise dann erst 18 Jahre alt wurde, findet das Verfahren vor einer Jugendkammer des Landgerichts statt.

Laut der Zeitung „Die Welt“ räumte der Angeklagte im vergangenen Jahr bei Vernehmungen seinen Einsatz in dem KZ ein. Er habe auch Hunderte Leichen gesehen und Schreie aus der Gaskammer gehört, schreibt die Zeitung. Zugleich habe Bruno D. Mitleid mit den Opfern bekundet. Schuldig fühle er sich nicht. „Was hätte es denn genutzt, wenn ich weggegangen wäre, dann hätten sie jemand anders gefunden.“

In einem ähnlich gelagerten Verfahren hatte sich zuletzt ein 95-Jähriger, der während des Krieges Wachmann in Stutthof war, wegen Beihilfe zum Mord in mehreren Hundert Fällen vor dem Landgericht Münster verantworten müssen. Doch der Prozess war im April dieses Jahres eingestellt worden, weil der Angeklagte laut Gutachten zu krank und deshalb nicht mehr verhandlungsfähig war.