Hamburg. Senat will 250.000 Euro bereitstellen, um mit einem Kunstwerk an der Stadthausbrücke einen „visuellen Impuls“ zu setzen.

Wer an den frisch restaurierten, nun noch prachtvoller wirkenden Gründerzeitfassaden an der Stadthausbrücke vorbeischlendert, dem wird es nicht leicht auffallen: „Lesesaal – Buchhandlung & Café – Geschichtsort Stadthaus“ steht an der Eingangstür der Buchhandlung im Haus Stadthausbrücke 6. „Geschichtsort“ ist allerdings eine ausgesprochen zurückhaltende, wenn nicht sogar ein wenig irreführende Umschreibung angesichts der Absicht, an das zu erinnern, was in diesem Haus, dem Stadthaus und früheren Sitz der Baubehörde, einst geschehen ist: Von 1933 bis 1943 war hier das Gestapo-Hauptquartier. In den Kellern des Hauses hielten die Nazis Tausende Gegner und Widerständler der Diktatur fest, folterten sie, trieben etliche in den Tod oder ermordeten sie.

Eine kleine, derzeit noch provisorische Ausstellung in der im Mai eröffneten Buchhandlung „Lesesaal“ ist, abgesehen von zwei Erinnerungstafeln, bislang alles, was an die Nazi-Gräuel an diesem Ort schlimmster Hamburger Geschichte erinnert. „Wir müssen mehr Sichtbarkeit schaffen. So kann es nicht bleiben“, sagt Kultursenator Carsten Brosda (SPD). Der Senat wird daher – vorbehaltlich der als sicher geltenden Zustimmung der Bürgerschaft – 250.000 Euro bereitstellen, damit auf dem breiten Gehweg vor dem Stadthaus ein Kunstwerk, eine Art großer „Stolperstein“, geschaffen wird.

„Starker visueller Impuls“

Das Kunstwerk soll dort entstehen, wo derzeit noch Fahrräder abgestellt werden. Die Maße sind bereits mit dem Bezirksamt Mitte abgesprochen: Eine Fläche von drei mal fünf Metern ist für den „starken visuellen Impuls“ vorgesehen, den sich der Senat an dieser Stelle wünscht. Maximal drei Meter hoch darf die Kreation sein. „Die Menschen sollen nicht einfach vorbeigehen können, ohne zu wissen, was hier ist. Es muss erkennbar sein, dass hier ein Gedenkort ist“, sagt Brosda.

Hier geht es zur großen Gomorrha-Serie

Die Diskussion über die Gestaltung des Kunstwerks wird vermutlich kompliziert werden, wie fast alles im Zusammenhang mit dem Bemühen, dem Ort des Grauens und des Terrors ein würdiges Gedenken zu geben. Die Idee zum „großen Stolperstein“ hatte Hans-Jörg Czech, Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte. Czech ist Mitglied des Beirats, den die Kulturbehörde ins Leben gerufen hat, nachdem der Protest gegen die vielen als zu beliebig erscheinende Kombination aus Buchhandlung, Café und Gedenkstätte sehr laut geworden war. In dem Beirat sitzen Opfer- und Angehörigenverbände, Geschichtsinitiativen und Historiker.

25 Künstler direkt angeschrieben

Moderiert wird der Beirat, in dem die Diskussionen nach wie vor zum Teil sehr emotional und grundsätzlich geführt werden, von Ex-Staatsrat und -Bezirksamtsleiter Hans-Peter Strenge (SPD). „Über diesen Stolperstein muss jeder fallen, der daran vorbeigeht“, formuliert Strenge seine Erwartung an die Ausdruckskraft des Kunstwerks. Aber Strenge weist auch darauf hin, dass es mehrere Eingänge zu dem Gebäudeensemble Stadthöfe gibt, das sich vom Neuen Wall bis zu den Großen Bleichen erstreckt. „Die Hinweise auf die Geschichte des Ortes müssen von allen Seiten deutlich sichtbar sein“, fordert Strenge. Vielleicht benötigt das große Kunstwerk also noch einige Ableger.

„Jetzt wird eine Jury zusammengesetzt und eine Ausschreibung erarbeitet“, erläutert Brosda das weitere Verfahren. Voraussichtlich würden rund 25 Künstler direkt angeschrieben. „Dabei beziehen wir die Kunstkommission (der Kulturbehörde, die Red.) und den Beirat ein, wahrscheinlich kommen dann zehn bis zu zwölf Künstler in den Wettbewerb. Am Ende entscheidet eine Jury über den Siegerentwurf“, sagt Brosda. Rund 50.000 Euro seien für den Wettbewerb vorgesehen, 200.000 Euro für die Realisierung des Kunstwerks. Die Entscheidung werde voraussichtlich Mitte 2019 fallen.

Schweres Erbe

Die Debatte über die Hinweise auf die Geschichte des Hauses auf öffentlichem Grund ist das eine, die Debatte über Konzept und Gestaltung der Gedenkstätte selbst das andere. Der eigentliche Skandal liegt darin, dass die Stadt über Jahrzehnte alles dafür getan hat, die sehr unrühmliche Geschichte des Stadthauses auszublenden. Nur eine eher unscheinbare Gedenktafel im Eingangsbereich der alten Baubehörde erinnert an die Menschen, die hinter den Mauer einst gelitten haben. Erst jetzt, mehr als 70 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur, bietet sich erstmals die Chance, an Folter, Terror und Mord am Ort des Geschehens umfassender zu erinnern. Allerdings unter schwierigen Bedingungen.

Der damalige Senat unter Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hatte das Gebäudeensemble 2009 für 54 Millionen Euro an die Quantum AG verkauft. Vereinbart wurde auch, dass das Unternehmen auf einer Fläche von 750 Quadratmetern einen „Lernort“ einrichtet, um Ausstellungen, Seminare und Dokumentationen über die Geschichte des Stadthauses zu ermöglichen. Die Stadt hielt sich von da an heraus, was keine wirkliche Änderung der Haltung in den Jahren zuvor war.

Hinter historischen Fassaden entstand das Stadthöfe-Quartier
Hinter historischen Fassaden entstand das Stadthöfe-Quartier © HA | Andreas Laible

Brosda hat ein schweres Erbe angetreten. „Der Vertrag zwischen der Stadt und Quantum ist erst relativ kurz in der Kulturbehörde. Der Fehler war aus meiner Sicht, dass die Stadt die Verantwortlichen nach Vertragsschluss mit dem Projekt zu sehr allein gelassen hat. Die Stadt hätte sich hier früher engagieren müssen“, sagt der Kultursenator. „Weil das Projekt zu Beginn falsch aufgestellt worden ist, kommen wir an der grundsätzlichen Diskussion über Form und Inhalt der Erinnerung nicht vorbei“, weiß Brosda, der nun allerdings aus der Situation das Beste machen will.

„Ich finde die Form einer privaten Trägerschaft ausdrücklich auch denkbar und teile nicht die Ansicht, dass Gedenkorte nur in staatlicher Regie betrieben werden sollten“, sagt Brosda. Konzipiert wird die Ausstellung allerdings von der städtischen KZ-Gedenkstätte Neuengamme, unterstützt vom Beirat, und in Zusammenarbeit mit der Hamburger Agentur Missall Gies + Partner. Geplant sind drei Teile: Die rund 70 Quadratmeter große Ausstellung in der Buchhandlung soll der Information über die Verbrechen dienen, die im Stadthaus geschehen sind. Im rückwärtigen Arkadengang mit Blick auf das Bleichenfleet soll die Gebäudegeschichte thematisiert werden.

Seminarraum für Schulklassen fehlt noch

Das dritte Element der Gedenkstätte soll der sogenannte Seufzergang direkt unter den Arkaden bilden – der vermutlich einzig original erhaltene Ort aus der Zeit des Gestapo-Hauptquartiers. Über diesen betonkahlen, knapp 50 Meter langen und nur von kleinen Fenstern erhellten Gang wurden die Gefangenen in die Folterkeller geführt. „Der Seufzergang ermöglicht individuelles Gedenken, indem die Geschichte der Opfer dokumentiert wird“, sagt Brosda.

Das Problem: Die drei Teile der Gedenkstätte liegen zwar in räumlicher Nähe zueinander, ergeben aber keine Einheit. Kritiker monieren zudem, dass die Gesamtfläche zu klein sei. „Die Quadratmeterzahl ist für mich nicht allein entscheidend, auch die sehr prominente Lage zählt“, sagt der Kultursenator. „Im Übrigen erreichen wir alles in allem formal die vereinbarte Bruttogeschossfläche von 750 Quadratmetern.“

Auch einen Namen gibt es noch nicht

Wie genau die Teile der Gedenkstätte gestaltet werden, ist noch offen. „Wenn wir von den grundsätzlichen Diskussionen, die auch wichtig bleiben, in einen konstruktiven Arbeitsprozess im Beirat kommen, dann kann das Projekt binnen Jahresfrist realisiert werden“, sagt Brosda. Erinnerungsort, Gedenkort? Auch wie das Projekt am Ende heißen soll, ist noch nicht festgelegt. „Die Diskussion über die Bezeichnung des Ortes führe ich gern im Beirat. Ich habe da keine Präferenz, letztlich ist die Bezeichnung auch abhängig von der Konzeption, die hier realisiert werden soll“, sagt der SPD-Politiker. Der Begriff „Geschichtsort“ sei „allerdings sehr neutral“, fügt er hinzu.

Was noch fehlt, darin sind sich Brosda und Strenge einig, ist ein Seminarraum zum Beispiel für Schulklassen. „Vielleicht können wir Quantum dafür gewinnen, einen weiteren Raum zum Beispiel im Görtzschen Palais am Neuen Wall, das ja wiederaufgebaut werden soll, zur Verfügung zu stellen“, sagt Strenge.