Hamburg. Erst drei Prozent und schließlich nur 1,3 Prozent Preiserhöhung – wie der Hamburger Senat nicht so genau hinsah und dann durchgriff.

Man muss sich den Hamburger Verkehrsverbund (HVV) als eher behördenähnliches Unternehmen vorstellen, das bei der Tarifgestaltung für Busse und Bahnen nicht zuletzt politische Vorgaben umzusetzen hat. Selbst Preispolitik zu betreiben gehört eher nicht zu den Aufgaben oder gar zum Selbstverständnis des HVV. Das ist auch daran abzulesen, dass der HVV zwar Preiserhöhungen für das Hamburger Tarifgebiet beantragen darf, diese aber von Senat und Bürgerschaft akzeptiert und beschlossen werden müssen.

Umso erstaunlicher ist es, dass der eher zurückhaltende HVV mit seiner geplanten Preiserhöhung vor gut zwei Wochen einen Sturm öffentlicher Empörung ausgelöst und die Politik gegen sich aufgebracht hat. Der Grund: Die Ticketpreise sollten nach dem Willen des Verkehrsverbunds 2020 im Durchschnitt um 2,2 Prozent angehoben werden. Das war nicht nur der kräftigste Schluck aus der Pulle seit fünf Jahren, sondern lag auch deutlich über der Inflationsrate von 1,8 Prozent (2018).

Die allgemeine jährliche Teuerung dürfen die Erhöhungen der HVV-Ticketpreise jedoch nicht übersteigen. So jedenfalls hat es der SPD-Landesparteitag Ende März beschlossen, und so hatte es Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) seitdem bekräftigt. Diese Obergrenze ist auch gewissermaßen die Minimalforderung grüner Verkehrspolitik, was die Preisgestaltung des ÖPNV angeht. Hamburg liegt bei den Ticketpreisen im Vergleich mit anderen Städten ohnehin schon an der Spitze.

HVV ist nur den Eigentümern verpflichtet

Nun ist es zwar wahr, dass der HVV nicht an Parteitagsbeschlüsse gebunden ist, sondern als GmbH nur den Eigentümern gegenüber verpflichtet ist. Mehrheitseigner ist die Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch den Senat. Und wer sitzt da zurzeit? Eben.

So war es nicht ganz überraschend, dass der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am vorvergangenen Wochenende öffentlich via Abendblatt auf die Preisbremse trat und die Entschlossenheit des Senats verkündete, den Preisanstieg beim HVV auf den Inflationsausgleich zu begrenzen – eben jene 1,8 Prozent. Nun durfte der Verkehrsverbund noch einmal rechnen und kam am Dienstag mit einem neuen Vorschlag. Plötzlich sollten die Preise für Bahnen und Busse durchschnittlich nur noch um 1,3 Prozent erhöht werden – die Forderung des Bürgermeisters wurde nun sogar unterboten, und damit war eine kuriose Geschichte um eine Volte reicher. „Ich begrüße den neuen Vorschlag des HVV für eine geringere Tariferhöhung“, teilte Tschentscher aus dem Alpen-Urlaub milde mit.

Der Anfang der ungewöhnlichen Geschichte

Was war passiert? Hatte sich der HVV selbstständig gemacht und die jahrelang geübte Praxis der Absprache mit den Eigentümern vor einer Entscheidung aufgekündigt? Wollte das Unternehmen angesichts immer neuer und teurer Leistungsangebote des ÖPNV für die umworbenen Kunden mit dem Kopf durch die Wand, um den Kostendeckungsgrad wenigstens einigermaßen zu halten?

Oder war einigen Akteuren im Rathaus die Brisanz jeder, also auch dieser Tarifsteigerung in diesem Bereich nicht klar, obwohl doch eine gewisse Greta aus Schweden alle Politiker böse anguckt, die in Zeiten des Klimawandels den Menschen den Umstieg auf emissionsarme Verkehrsträger nicht erleichtern? Und Preiserhöhungen zählen eindeutig nicht dazu. Heike Sudmann, die Verkehrspolitikerin der Linken-Bürgerschaftsfraktion, vertrat sogar die Theorie, alles sei ein abgekartetes Spiel gewesen und der HVV nur vorgeprescht, damit Tschentscher ein wählerwirksames Machtwort ganz im Sinne der ÖPNV-Kunden sprechen könne ...

Am Anfang dieser ungewöhnlichen Geschichte, bei der einiges aus dem Ruder gelaufen ist, steht der 26. Juni, ein Mittwoch. An diesem Tag beschloss der Aufsichtsrat des HVV die Preiserhöhung von durchschnittlich 2,2 Prozent. Vorsitzender des Aufsichtsrats ist Andreas Rieckhof (SPD), Staatsrat in der Verkehrsbehörde. Damit wusste auch Verkehrssenator Michael Westhagemann (parteilos) Bescheid. Der normale Gang der Dinge ist, dass die zuständige Behördenspitze die Senatskanzlei und damit auch den Bürgermeister über derartige Pläne informiert. Ob aber allen Beteiligten klar war, dass die angepeilten 2,2 Prozent nicht identisch mit der Inflationsrate sind, muss bezweifelt werden.

Zeichen der Zeit nicht erkannt

Ein Thema in der Senatsvorbesprechung war die Preiserhöhung wohl nicht. Im Vorfeld hatten sich Bürgermeister und die Koalition darauf verständigt, dass der HVV keinen Infrastrukturausgleich mehr einrechnen darf. Diese Vorgabe hat das Unternehmen auch tatsächlich umgesetzt. Statt der ganz ursprünglich vorgesehenen Tariferhöhung um durchschnittlich drei Prozent kamen nun 2,2 Prozent ohne Infrastrukturausgleich heraus. Der HVV handelte möglicherweise in gutem Glauben, diese politische Vorgabe genau umzusetzen.

Letztlich hat man weder im Rathaus noch in der Verkehrsbehörde mit spitzem Bleistift nachgerechnet. „Da waren wir nicht sensibel genug“, sagt einer der Beteiligten heute. Kaum hatte der HVV seinen Antrag, die Ticketpreise um 2,2 Prozent zu erhöhen, öffentlich gemacht, brach die Kritik von allen Seiten über ihn herein. Und nicht nur das: Tschentscher wurde vorgeworfen, von der eigenen politischen Linie abgewichen zu sein, den Anstieg auf die Inflationsrate von 1,8 Prozent zu begrenzen. Aufregung und Zerknirschung im Rathaus waren groß.

Der Bürgermeister und der gesamte Senat standen plötzlich als Politiker da, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt hatten. Dieser Sommer war ja nicht nur gekennzeichnet von der Diskussion über die Folgen des Klimawandels und der verbreiteten Erkenntnis, jetzt etwas dagegen tun zu müssen. Ein attraktiverer ÖPNV ist immerhin ein Mittel, Menschen zum Umstieg vom Auto auf Busse und Bahnen zu bewegen.

Bürgermeister versuchte, Sache glatt zu ziehen

In Hamburg machte der ÖPNV zudem ja vor allem von sich reden, weil Züge namentlich der S-Bahn gefühlt fast jeden zweiten Tag stehen blieben, Strecken gesperrt waren und die Sauberkeit zu wünschen übrig ließ. Und dann auch noch eine als unangemessen empfundene Preiserhöhung? Die Opposition riet wenig überraschend dazu, ganz auf die Aufschläge zu verzichten. Schließlich waren auch die Grünen wenig amüsiert, für diese Preispolitik in Mithaftung genommen zu werden.

Tschentscher, Parteichefin und Sozialsenatorin Melanie Leonhard sowie Fraktionschef Dirk Kienscherf waren sich schnell einig, dass es gefährlich war, die Debatte laufen zu lassen. Zwar geht es bei den Preiserhöhungen auch um Symbolpolitik – die tatsächlichen Einsparungen für die Fahrgäste jetzt sind überschaubar –, aber in sieben Monaten ist Bürgerschaftswahl, und die SPD will die Mobilität in der Stadt zum zentralen Thema des Wahlkampfs machen.

Und so musste der Bürgermeister, der schon urlaubshalber in Richtung Alpen unterwegs war, versuchen, die Sache glatt zu ziehen. „Wir wollen die Preissteigerung für die Kunden auf den Inflationsausgleich begrenzen“, ließ Tschentscher ausrichten. Die gestiegenen Kosten der Verkehrsunternehmen und der Ausbau des Angebots müssten eben stärker aus dem Haushalt finanziert werden. „Das war insgesamt ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte, aber der Bürgermeister und die Politik haben letztlich zu einer guten Lösung gefunden“, sagt Kienscherf. In der Verkehrsbehörde sollen sie dagegen nicht so begeistert gewesen sein ...

Was unterging

In der Aufregung ist etwas untergegangen, dass der neue Vorschlag des HVV eine Preiserhöhung von durchschnittlich nur noch 1,3 Prozent vorsieht. Teil der „guten Lösung“, von der Kienscherf spricht, ist nämlich die Vorgabe, dass auch kein Einzelticket oder Abo um mehr als 1,8 Prozent erhöht werden soll.

Gleichzeitig sollen die Senioren- und die Schüler-Karten, die Karten für Auszubildende und Studierende und die Kurzstrecken gar nicht teurer werden. Das hat den Durchschnitt weiter nach unten gedrückt. Es scheint so, als ob die SPD beim Thema HVV-Tickets nun nichts mehr anbrennen lassen will.