Hamburg. Vor 25 Jahren besiegelte Hamburg seine Städtepartnerschaft mit Chicago. Anbahnung hatte fast vier Jahrzehnte gedauert.
Die Kulisse ist imposant, die Zeremonie glanzvoll, der Anlass historisch: Unter der weltgrößten Kuppel aus Tiffany-Glas unterschreiben die Bürgermeister Hamburgs und Chicagos am 20. Juli 1994 die wohl wichtigste, fruchtbarste und reputierlichste der inzwischen neun hamburgischen Städtepartnerschaften.
Die 500 Ehrengäste aus der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Elite feiern in der berühmten Preston Bradley Hall mit den Bürgermeistern Henning Voscherau und Richard M. Daley das Happy End einer damals bereits jahrzehntealten Initiative. Angestoßen wurde sie 1957 von Daleys Vater und Vorgänger Richard J. Daley.
Der Partnerschaftsvertrag festigt eine traditionsreiche Beziehung: Seit Mitte des 17. Jahrhunderts steuern Kaufleute von der Elbe den damals noch französischen Handelsposten Checagou am Michigansee an. Die Hanseaten tauschen dort auch dann noch Industrie- gegen Naturprodukte, als die Kolonie Illinois 1765 britisch und 1818 ein US-Bundesstaat wird.
Parallelen sind vielfältig
Die Parallelen sind vielfältig: Beide Städte sind am Wasser gebaut; „Checagou“ heißt „Marschland“. Einige Forscher führen den Namen allerdings auf ein indianisches Wort für „wilde Zwiebel“ oder ein anderes für „Stinktier“ zurück. Chicagos Beiname „windy city“ wäre auch für Hamburg nicht falsch. Die Eisenbahn macht aus Chicago das Tor zum Westen wie der Hafen aus Hamburg das Tor zur Welt. 1842 brennt Hamburg, 1871 Chicago ab. Beide Städte wachsen rasant, Chicago auch durch viele deutsche Einwanderer. Selbst die beiden Weltkriege können die engen Bande nicht auf Dauer kappen.
1957 will Richard J. Daley, seit zwei Jahren Chef im Rathaus, die Verbindungen weiter ausbauen. Politisch gibt es erst mal keine Probleme: Chicago ist eine Hochburg der Demokratischen Partei, und Hamburg gilt als Wiege der deutschen Sozialdemokratie. Doch aus den Partnerschaftsplänen wird trotzdem nichts. Im Unruhejahr 1968 lässt Dailey seine Polizei gegen Anti-Kriegsdemonstranten sehr hart durchgreifen. Das finden die deutschen Genossen nicht so gut.
Sohn Richard M. Daley wird 1989 Bürgermeister. 1990 holt er Papas Hamburg-Projekt aus der Versenkung. Am 21. März 1993 gibt der Senat grünes Licht für die erste Partnerschaft Hamburgs mit einer amerikanischen Stadt. Vorher hatten Hamburgs Sozialdemokraten ihrer Stadt Freundschaften etwa mit Leningrad, Shanghai und der nicaraguanischen Revolutionshochburg León verordnet.
Voscherau fliegt die 7000 Kilometer nach Chicago gern: Ihm liegt vor allem der Jugendaustausch am Herzen. „Wer Lebensweise und Sprache kennt, versteht sich fürs Leben“, sagt er. „Partnerschaft lebt nicht auf dem Papier, sondern erst in der Verbindung zwischen den Menschen!“
Schon nach einem Jahr klappte der erste Schüleraustausch
Für die Amerikaner ist das so selbstverständlich, dass sie der Hamburger Delegation ganz andere Themen präsentieren: Mit den spektakulären Bauwerken des deutsch-amerikanischen Architekten Helmut Jahn ist die Städtefreundschaft in Beton gegossen, und der Kampf des FBI gegen das organisierte Verbrechen in der Nachfolge Al Capones macht den Gästen aus Germany schon mal klar, wohin in den westlichen Metropolen die sicherheitspolitische Reise geht.
Auch auf diesem Feld ist Bürgermeister Daley der Sohn seines strengen Vaters: Unter seiner Ägide gibt es ebenfalls Übergriffe brutaler Polizisten. Später werfen ihm Kritiker vor allem Vetternwirtschaft vor. Beim Start greift er in volle Kassen, am Ende seiner 22-jährigen Rekordamtszeit ist die Stadt pleite.
„Transatlantisches Klassenzimmer“
Der Partnerschaft mit Hamburg schadet das nicht. Der Vertrag von 1994 soll „der Förderung und Erweiterung der Kultur- und Handelsbeziehungen zwischen den beiden Städten“ dienen und auch „die Freundschaft zwischen den Menschen der beiden Länder“ stärken. Ein neues „Hamburg-Chicago-Komitee“ bringt Politiker, Manager und Kulturschaffende mit Kollegen aus Chicago zusammen, die entweder deutscher Abstammung sind, in Deutschland studiert oder eine berufliche Verbindung nach Hamburg haben.
Der erste Schüleraustausch klappt schon im April 1995: 19 Hamburger Schulkinder erproben zwei Wochen lang den American Way of Life. Das Goethe-Institut in Chicago und das Amerika-Haus in Hamburg stehen Pate. Inzwischen füllen etwa die Wichern-Schule, das Christianeum oder die Gewerbeschulen G18 und W4 das Projekt mit Leben. Besonders gut gelingt das dem Internet-Forum „Hamburg Meets Chicago“, das die Körber-Stiftung Mitte der 1990er-Jahre startet. In einem „transatlantischen Klassenzimmer“ tauschen sich Diskussionsgruppen per E-Mail aus. Schulklassen arbeiten auf Deutsch und Englisch an Themen wie „Migration in Deutschland und den USA“ oder „The Society of the Holocaust“.
Zum zehnten Jubiläum gibt es unter dem Motto „Hamburg Goes Chicago“ am Michigansee gemeinsame Konzerte von Künstlern aus beiden Städten, Fotoausstellungen und wissenschaftliche Vorträge. An der Elbe steuert die Hamburger Universität die breit gefächerte Vorlesungsreihe „Tales of Two Cities/Stadtgeschichte Hamburg–Chicago“ bei.
Im Mittelpunkt steht auch später die große deutsche Community in der Mitte Nordamerikas: Als der Mittlere Westen im 19. Jahrhundert immer mehr deutsche Siedler lockt, bilden sich überall Gesangs-, Turn- und Wohltätigkeitsvereine. Die Einwanderer feiern Maskenbälle, organisieren Basare, erholen sich auf Picknicks und pflegen bei alledem fleißig ihre deutsche Sprache.
Viele deutsche Restaurants
Heute gibt es eine Goethe Street, eine Schiller Street und das Stadtviertel Little Germany. Rund 80 deutsch-amerikanische Vereine, viele deutsche Restaurants und die deutschsprachige Zeitung „Amerika-Woche“ halten für rund eine halbe Millionen Bürger mit deutschen Wurzeln die Erinnerung an die alte Heimat am Leben, mit immer neuen Themen: Als Sozialsenatorin Melanie Leonhard Bürgermeisterin Lori E. Lightfoot Ende Juni anlässlich des Silber-Jubiläums besucht, nehmen die beiden Damen auch an der „Chicago Pride Parade“ für die Rechte von LSBTIQ-Menschen teil.
„Hamburg ist stolz, Partner einer Stadt wie Chicago zu sein, die unsere Werte und Visionen einer freiheitlichen und demokratischen Welt teilt“, sagt die SPD-Politikerin. „Der Austausch über den Atlantik hinweg weitet den Horizont, wovon wir gegenseitig profitieren. Das hat in Hamburg Tradition und ist Bestandteil unseres Erfolges.“