Hamburg . Schon mehr als 100 Tote bei Unruhen in Nicaragua. Sorge um Freunde, Helfer und Projekte in dem mittelamerikanischen Land.

Tausende Hamburger haben seit fast drei Jahrzehnten mit großem Engagement und viel Herzblut die Menschen in der Partnerstadt León in Nicaragua unterstützt. Feuerwehrleute haben Kollegen aus dem mittelamerikanischen Land geschult und mit Gerät und Fahrzeugen versorgt, Schüler haben Gleichaltrige in León durch Spenden im sogenannten Schulcontainer unterstützt. Junge und ältere Hamburger sind als Helfer nach Nicaragua gereist und haben mit Arbeitskraft oder Geld geholfen, etwa als der Hurrikan „Mitch“ 1998 Teile Nicaraguas verwüstet hatte. Und Zehntausende Bedienstete der Stadt spenden bis heute jeden Monat in der „Restcentaktion“ für Projekte zur Armutsbekämpfung in León.

Nun aber, ein Jahr vor dem 30-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft, versinken Nicaragua und auch Hamburgs Partnerstadt León in ihrer größten Krise seit der sandinistischen Revolution von 1979. Seit April erschüttern schwere Unruhen das Land. Es hat bereits mehr als 100 Tote gegeben, auch in León, der zweitgrößten Stadt des Landes, wurden Menschen getötet. Ein Ende der Gewalt ist nicht absehbar. Die Bundesregeregierung warnt vor Reisen nach Nicaragua und hat alle deutschen Helfer zur Ausreise aufgefordert.

„Es gibt unzählige Vermisste und Gefolterte“

Auslöser der Unruhen war eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Regierung des Präsidenten und einstigen Revolutionskommandeurs Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo, die dieser zur Vizepräsidentin gemacht hat. Die Regierung reagierte mit großer Härte, mehr als 20 Demonstranten sollen bereits im April getötet worden sein. Obwohl die Reform zurückgenommen wurde, flauten die Proteste nicht ab. Denn längst richtet sich der Unmut vor allem gegen den aus Sicht seiner Kritiker korrupt und autoritär regierenden ehemaligen sandinistischen Revolutionshelden Ortega und seine Frau. Ein großer Teil der Proteste geht von Studenten aus, aber auch Mütter der seit April wohl vor allem von paramilitärischen Einheiten Ermordeten haben sich organisiert („Madres de Abril“ = Mütter des April).

Der Tourismus in dem von Vulkanen und beeindruckender Natur geprägten Land ist weitgehend zusammengebrochen. Die Regierungsgegner haben landesweit an wichtigen Straßen Barrikaden errichtet, die die Versorgung behindern. Die Protestierer werden dabei laut Berichten immer wieder von irregulären Einheiten angegriffen, und Regierungsgegner werden gezielt getötet, oft durch Kopfschüsse. Im Internet kursieren brutalste Videos solcher Übergriffe. Die Attacken sollen laut Regierungsgegnern von paramilitärischen Einheiten der Sandinisten ausgehen. Die Informationslage ist allerdings unübersichtlich. Die Regierung weist die Verantwortung von sich.

Bürgermeister wird bewacht

Mitarbeiter von aus Hamburg organisierten Hilfsprojekten berichten dem Abendblatt derweil aus León, dass der Bürgermeister nicht mehr im Rathaus, sondern in der von Paramilitärs bewachten Parteizentrale der Sandinisten-Partei FSLN arbeite. Ab 18 Uhr abends seien die Straßen der sonst stets belebten Stadt verlassen und leer. In der Nacht sei der Lärm von Mörsern zu hören – und der Krach der meist auf Motorrädern zirkulierenden „vermummten Schlägertrupps der Regierungspartei, die verschiedene Viertel heimsuchen und auch gezielt Häuser von bekannten Gegnern der Regierung umrunden, um Angst zu machen“. Aus Angst vor der Gewalt würden kaum noch Kinder die Schulen besuchen.

Neben von der Feuerwehr und Privatinitiativen organisierten Projekten, etwa für Waisenkinder, fördert die Stadt Hamburg in León vor allem Projekte zur Wasserversorgung mit zuletzt rund 138.000 Euro im Jahr aus den Einnahmen der Restcentaktion, bei denen rund 23.000 städtische Bedienstete die Centbeträge ihrer Gehälter spenden. Wie es mit diesen Projekten weitergeht, ist derzeit nicht absehbar.

„Lage in Nicaragua ist besorgniserregend“

„Die Lage in Nicaragua ist weiterhin besorgniserregend“, schrieb der Hamburger Bundestagsabgeordnete, Staatsminister im Auswärtigen Amt und Lateinamerikakenner Niels Annen (SPD) bei Twitter. Der Hamburger Nicaragua-Verein, berichtet von „unzähligen Vermissten und Gefolterten“ und sieht die Verantwortung bei der Regierung des einstmals so gefeierten Revolutionshelden Ortega. Der Verein ruft mit vielen anderen Organisationen zu einer Demonstration für Frieden in Nicaragua am Sonntag in Berlin auf – um 11 Uhr am Brandenburger Tor. Auch in anderen europäischen Städten sind Solidaritätskundgebungen geplant.

Die Sprecherin für Internationales der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Christel Nicolaysen, hat den Senat derweil aufgefordert, „zu prüfen, ob sich noch Entwicklungshelfer in Hamburger Projekten befinden“, und zu helfen, „diese Menschen in Sicherheit zu bringen“. Beim Senat hält man sich noch zurück. „Auch wir beobachten die Situation mit Sorge“, sagte Senatssprecher Jörg Schmoll. Ob und wie im kommenden Jahr das 30-jährige Jubiläum der Partnerschaft mit León gefeiert wird – das kann dieser Tage niemand sagen.