Hamburg. Umweltschützer für Bürgerschaftsbeschluss – radikale Maßnahmen schon in Großbritannien oder Konstanz.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat die Bürgerschaft aufgefordert, „umgehend den Klimanotstand für Hamburg auszurufen“. Vorbild dafür sind entsprechende Beschlüsse des britischen Unterhauses, des irischen Parlaments oder der Stadt Konstanz. Diese hatten jeweils den „Klimanotstand“ ausgerufen und dabei festgestellt, dass die Klimaerwärmung menschengemacht und die Entwicklung so bedrohlich sei, dass die bisher getroffenen Gegenmaßnahmen nicht ausreichten. Konstanz will nun eine „klimaneu­trale Energieversorgung von Neubauten“, ein „Mobilitätsmanagement für die Gesamtstadt“ und ein „Energiemanagement für städtische Gebäude“ auf den Weg bringen und die Sanierungsrate von Altbauten deutlich erhöhen.

„Alle bisherigen Programme und Maßnahmenpakete wie Masterplan Klimaschutz und jetzt aktuell der Hamburger Klimaplan sind gescheitert, die Einsparziele werden nicht erreicht“, sagte BUND-Landesgeschäftsführer Manfred Braasch dem Abendblatt. „Jedes Projekt mit öffentlicher Beteiligung, jedes Vorhaben der Hamburger Verwaltung und der öffentlichen Unternehmen muss auf seine Klimaverträglichkeit überprüft werden. Insbesondere Hamburgs Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik ist nicht zukunftsfähig“, so der BUND-Chef.

BUND sieht Entwicklung „mit großer Sorge“

Wie das Abendblatt am Dienstag berichtete, ist die Zahl der Pkw in Hamburg gerade auf einen neuen Höchststand gestiegen. Von den bald 800.000 Pkw sind bisher lediglich rund 2500 reine E-Autos. Im Sektor Verkehr nehme der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) nach den neuesten verfügbaren Zahlen von 2016 sogar wieder zu, sagte BUND-Chef Braasch – von 4,5 Millionen Tonnen 2015 auf 4,7 Millionen Tonnen 2016. „Da sich auch die Pkw-Zulassungszahlen erhöhen, gehen wir davon aus, dass im Verkehrssektor mit Sicherheit zumindest keine weitere Reduktion erfolgt“, so Braasch. „Der Verkehrssektor ist aber für jede vierte Tonne CO2 verantwortlich, und wir haben schon jetzt eine gewaltige Einsparlücke.“

Der BUND sehe die Entwicklung auch in anderen Bereichen „mit großer Sorge“. So habe sich die Industrie zwar jetzt freiwillig bereit erklärt, bis 2021 insgesamt 75.000 Tonnen CO2 einzusparen. „Im Vorgängerprogramm waren es noch 150.000 Tonnen im Zeitraum von 2013 bis 2018“, so Braasch. „Das kommt in etwa auf dasselbe heraus, aber der Sektor Industrie hat bislang am wenigsten CO2 im Vergleich zum Basisjahr 1990 eingespart. Die Anstrengungen müssten sich also verstärken – tun sie aber nicht.“

BUND-Chef: Stadt versagt als Vorbild

Auch bei der städtischen Modernisierung von Wohnungen gebe es „eklatante Umsetzungslücken“, sagt der BUND-Chef. So hätten nach dem Programm „Modernisierung von Mietwohnungen“ jährlich die klimagerechte Erneuerung von 3000 Wohneinheiten gefördert werden müssen. „Tatsächlich ist die Anzahl geförderter Projekte seit 2015 stark eingebrochen, im Jahr 2018 waren es nur noch 1112“, so Braasch mit Blick auf eine Senatsantwort auf eine Anfrage des Linken-Umweltpolitikers Stephan Jersch.

„Diese Zahlen weisen darauf hin, dass die energetische Sanierung des Gebäudebestands nicht vorankommt“, sagte der BUND-Chef. „In Verwaltung, Planungsbüros und Handwerk werden die Ressourcen weitgehend für den Neubau eingesetzt, sodass die Sanierung des Wohnungsbestands ins Stocken gerät.“ Das widerspreche dem Klimaplan, der eine Erhöhung der Quote vorsehe. „Die Sanierungsquote rutscht unter ein Prozent, gebraucht wird eine von mindestens zwei Prozent.“ Die Stadt selbst versage als Vorbild, da es für die Sanierung ihrer eigenen Gebäude „keinen einzigen Sanierungsfahrplan“ gebe – obwohl dies im Klimaplan vorgesehen sei.

Behörde verfolgt Debatte „mit Interesse“

Bei der Fernwärme bringe der vorgesehene Ausstieg aus der Kohle durch die geplante Abschaltung des alten Kraftwerks Wedel und die Umrüstung des Kraftwerks in Tiefstack zwar einiges, sagte der BUND-Chef. „Aber die Fernwärme bedient nur 20 Prozent der Wohnungen. Wir müssen uns also intensiv um die anderen 80 Prozent kümmern.“ Obwohl an dieser Stelle die„Wärmewende“ ansetzen müsse, werde dieses Thema in Hamburg völlig vernachlässigt.

„Wir befürchten, dass der gesamte Klimaschutz in Hamburg in die Knie geht“, so Braasch. „Vor allem im Gebäudesektor und im Verkehr wird nicht genug eingespart, die Industrie macht ebenfalls zu wenig.“ Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) habe „zu Recht mehrfach die Bedeutung des Klimaschutzes betont“, so der BUND-Chef „Überhitzte Städte und ein nicht mehr beherrschbarer Meeresspiegelanstieg würde Hamburg 1:1 treffen.“ Tschentscher und Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) müssten nun „liefern und einen ambitionierten Klimaplan auf den Weg bringen“. Auf Freiwilligkeit und technische Innovationen zu setzen werde nicht reichen.

Noch keine breitere Debatte

Umweltbehördensprecher Jan Dube räumte ein, dass die „Dringlichkeit, beim Thema Klimaschutzzu handeln, unbestreitbar groß“ sei. „Gerade haben sich die Umweltministerin Hamburg einhellig und über alle Parteigrenzen hinweg für eine CO2-Bepreisung ausgesprochen.“ Vieles passiere bereits, „aber das reicht bei Weitem noch nicht aus“. Daher solle der neue Klimaplan, der gerade erstellt werde „für die einzelnen Sektoren noch konkretere Vorgaben machen als bisher“, so Dube. „Die Diskussion um eine Ausrufung des Klimanotstands verfolgen wir mit Interesse. Bisher hat hierzu in Hamburg noch keine breitere Debatte stattgefunden.“