Hamburg. Zu wenig Kapazitäten für die Zukunft: In Rissen rumort es kräftig. Bürgerinitiative spricht von einem Vertragsbruch.
So richtig kann es Sonia Trowe noch gar nicht fassen. „Wir haben doch alles richtig gemacht“, sagt sie. Theoretisch: ja. Denn die Trowes haben nach ihrem Umzug aus Ottensen nach Rissen vor drei Jahren ihre Tochter nicht aus der dortigen Kita und dem Umfeld gerissen. Zwei Jahre pendelte die Familie zwischen ihrem alten und neuen Wohnort, dann kam ihre Tochter in die Vorschulklasse der Marschwegschule. Dort sollte sie nun nach den Sommerferien zusammen mit ihren neu gewonnenen Freunden die erste Klasse besuchen. Doch ausgerechnet zu Ostern erreichte die Rissener Familie die für sie völlig überraschende Nachricht aus der Schulbehörde: Ihre Tochter kann nicht wie geplant die Marschwegschule besuchen.
Denn praktisch ist für die Sechsjährige und weitere sieben Kinder kein Platz an der zuständigen und am nächsten gelegenen Schule. Der Grund dafür ist, dass im kommenden Jahr anstatt wie sonst üblich drei nur zwei erste Klassen an der Grundschule eingerichtet werden – und das sorgt in dem Elbvorort derzeit für mächtig Wirbel. Denn in diesem Fall geht es nicht nur um die Einzelschicksale der betroffenen acht Familien, sondern auch um den sozialen Frieden im Ort.
Schulen bedarfsgerecht anpassen
Es geht um den geschlossenen Bürgervertrag zwischen Senat und der Initiative VIN (Vorrang für Integration und Nachhaltigkeit). Der sieht vor, dass aufgrund der in Rissen-Suurheid geplanten Unterkünfte für 300 Flüchtlinge die Schulen bedarfsgerecht angepasst werden müssen. „In diversen Gesprächen hat VIN wiederholt auf die kommenden Probleme hingewiesen und die Einhaltung des Bürgervertrags eingefordert, der eine zeitnahe und bedarfsgerechte Anpassung der Schul- und Sporthallenkapazitäten verbindlich festschreibt.
Doch es wurde immer wieder nur mitgeteilt, dass eine weitere Anpassung der hiesigen Einrichtungen nicht erforderlich sei. Solch ein Handeln bezeichnet man als Vertragsbruch“, heißt es in einem aktuellen VIN-Schreiben. Mit der Entscheidung am Marschweg gehe die Schulbehörde den entgegengesetzten Weg, schränke die Kapazitäten der nächstgelegenen Grundschule zu Suurheid weiter ein.
Rissener fürchten ähnliche Probleme
Das sieht auch der Elternrat der Schule Marschweg so. Der hat sich sogar in einem Appellbrief an Schulsenator Ties Rabe gewandt. Doch bislang ohne Rückmeldung. Die Eltern wollten wissen, was mit den Kindern passieren soll, die nun seit März die fertiggestellten Wohnungen in Suurheid beziehen, wenn es langfristig keinen Platz an der Grundschule für sie gibt. Dort wird im kommenden Schuljahr eine Internationale Vorbereitungsklasse eingerichtet. Nach einem Jahr sollen die Schüler dann in den Regelunterricht integriert werden. In der dann zweiten Klasse wäre kein Platz, genauso wenig wie für weitere Zuzüge. Die werden in Rissen aufgrund zahlreicher Wohnbauprojekte erwartet. Denn bis 2022 ist in Rissen die Realisierung von 1200 Wohneinheiten geplant. 330 sind bereits in Suurheid seit Kurzem bezugsfertig.
Einen ähnlichen Bauboom hat der Stadtteil Othmarschen in der Vergangenheit verzeichnet. Die Folge: Dort verschätzte sich die Schulbehörde mit der zu erwartenden Zahl an neuen Schülern. Wie das Abendblatt berichtete, ist die Situation in Othmarschen und Altona-Altstadt so angespannt, dass die betroffenen Eltern sogar einen sofortigen Baustopp sowie die Schaffung neuer Schulen fordern. „Wir als Elternrat der Grundschule Marschweg haben den Eindruck, dass die in Altona gemachten Fehler bei uns wiederholt werden“, so Mitglied Tina Spaeth.
Drei neue Grundschulen geplant
Sprecher Peter Albrecht weist das im Namen der Schulbehörde zurück. Im Kerngebiet Altona sei die Zahl der Schüler von 900 Erstklässlern (2012) auf 1500 im kommenden Schuljahr gestiegen. „Selbstverständlich reagiert die Bildungsbehörde auf diese Entwicklung mit Schulaus- oder Schulneubauten“, so Albrecht. So seien drei neue Grundschulen (Bahrenfelder Trabrennbahn, Grenze zwischen Bahrenfeld und Ottensen sowie zwischen Ottensen und Othmarschen) geplant.
In Rissen stünden dagegen mit der Schule Lehmkuhlenweg mindestens zehn Grundschulzüge an drei Standorten für Erstklässler zur Verfügung. Die 213 angemeldeten Schüler ließen sich gut darauf verteilen. Die Kinder aus der internationalen Vorbereitungsklasse am Marschweg würden in die altersgemäß passenden Klassen der umliegenden Schulen verteilt. Allerdings räumt Albrecht ein, dass es einen Bedarf bei den weiterführenden Schulen gebe. Der soll allerdings nicht in Rissen gelöst werden, sondern: Der Ausbau sei an anderen Schulen in der Umgebung aufgrund der Grundstücke und der Lage sinnvoller. Den Vorwurf von VIN, den Bürgervertrag zu brechen, weist er daher als unbegründet zurück.
Die Bezirkspolitikerin und schulpolitische Sprecherin der CDU in Altona, Kaja Steffens, kann darüber nur den Kopf schütteln. „Vor mindestens zwei Jahren haben wir in Altona bei der Schulbehörde den wachsenden Bedarf angekündigt.“ Seither würden Flächen für Schulneubauten geprüft. „Wir brauchen endlich Ergebnisse“, kritisiert Steffens. Den Rissener Eltern kann sie nur zustimmen. „Man geht hier sehenden Auges in eine Unterversorgung.“
Das Thema beschäftigt auch den Bildungsausschuss. Am Montag, 16. April, von 18 Uhr an stehen die Anmeldezahlen in Altona auf der Tagesordnung. Es werden Vertreter der Schulbehörde zur öffentlichen Sitzung im Haus Drei, Hospitalstraße 107, erwartet.