Finanzsenator Andreas Dressel warnt seinen ehemaligen Chef in einem Brief vor den Folgen der geplanten Grundsteuerreform.
Auch mehr als drei Wochen nach dem Kompromiss zwischen Bund und Ländern zur Reform der Grundsteuer sind noch viele Fragen offen und die Sorgen groß. Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) warnt daher in einem Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) vor negativen Folgen für Hunderttausende Hamburger.
Als Knackpunkte stellen sich dabei zwei Faktoren heraus, die künftig die Berechnung der Grundsteuer maßgeblich beeinflussen sollen: die Miete und der Bodenwert.
Wohnungen würden noch teuer werden
Bei den Mieten sollen nicht mehr – wie Scholz das ursprünglich geplant hatte – die realen Mieten betrachtet werden, sondern durchschnittliche Nettokaltmieten nach dem Mikrozensus des statistischen Bundesamts. In Hamburg liegen diese ganz überwiegend zwischen 7,50 und 9,50 Euro pro Quadratmeter. Mieter des städtischen Wohnungskonzerns Saga (130.000 Wohnungen) und in den 300.000 Genossenschafts-Wohnungen zahlen jedoch nicht selten deutlich weniger, bei der Saga zum Beispiel liegt die Durchschnittsmiete bei 6,44 Euro.
Das bedeutet: Würde man ihre Grundsteuer – die auch jeder Mieter indirekt über die Nebenkosten zahlt – auf Basis der Durchschnittsmieten berechnen, wäre das eine klare Benachteiligung, die Steuer also höher als sie sein müsste. Wohnen in Hamburg würde noch teurer werden als es ohnehin ist.
Hamburg könnte Reform ablehnen
Die am 1. Februar ausgehandelten Eckpunkte sehen zwar durchaus vor, dass in solchen Fällen die tatsächliche Miete herangezogen und der für die Steuerberechnung angesetzte Wert um bis zu 30 Prozent gekürzt werden darf. Doch dem Vernehmen nach wird diese Regel in den vielen Gesprächen, die immer noch zwischen Bund und Ländern laufen, mitunter infrage gestellt, wohl auch, weil es die Steuerberechnung komplizierter macht.
Dressel will einen Verzicht auf diese „Abweichung nach unten“ aber auf keinen Fall akzeptieren. Sollte die Regel entfallen, könne das für Hamburg ein Grund sein, die Grundsteuerreform als Ganzes abzulehnen, schreibt er an Scholz – der als ehemaliger Hamburger Bürgermeister die Beweggründe seines Parteifreundes nur zu gut kennen dürfte.
Noch vertrackter ist die Lage bei den Bodenrichtwerten: Hamburg und Bayern hatten die Einbeziehung dieser Werte vehement abgelehnt, weil in Großstädten wie München oder eben Hamburg die Grundstückspreise derart explodiert sind, dass es die Grundsteuer massiv steigen lassen würde. Da sich in diesem Punkt jedoch Scholz und die anderen Länder durchgesetzt hatten, hatte Dressel kürzlich Experten aus der Wohnungswirtschaft, Kammern und Verbänden zu einem „Werkstattgespräch“ an der HafenCity-Universität gebeten (Ironie am Rande: Das spezielle Equipment der HCU, mit dem Entwicklungen in der Stadt simuliert werden können, hatte schon Scholz genutzt), und dabei bestätigte sich das Problem mit den Bodenrichtwerten.
Finanzbehörde möchte Wohnen nicht noch teurer machen
In der Finanzbehörde wird nun fieberhaft nach Mechanismen gesucht, die Steuerbelastung der Bürger – wie vor der Reform versprochen – und damit auch das Wohnen in Hamburg nicht übermäßig steigen zu lassen. Zwei Gedanken werden dabei verfolgt: Zum einen soll die Zahl der Bodenrichtwertzonen von derzeit rund 36.000 deutlich reduziert werden. Denn je kleinteiliger die Zonen, desto größer die Ausschläge bei den Werten und umgekehrt. Zweitens fordert Hamburg, auch bei den Bodenwerten die Möglichkeit der „Abweichung nach unten“ einzuführen, also reale Werte anzusetzen, wenn die niedriger sind als die Durchschnittswerte.
„Unser Werkstattgespräch mit alle Beteiligten hat nochmal deutlich gemacht, dass die Einbeziehung des Bodenwerts bei der Grundsteuer für Hamburg angesichts der drastischen Wertentwicklungen nachteilig ist“, sagte Dressel dem Abendblatt. „Das habe ich gegenüber dem Bundesfinanzminister sehr deutlich gemacht. Sollte gleichwohl ein bundesweiter Konsens nur mit Bodenwert möglich sein, muss es die Möglichkeit für größere Bodenrichtwertzonen geben, um Extremwerte kappen zu können. Da bei den pauschaliert einbezogenen Mieten auch ein Nachweis der geringeren Miete möglich ist, sollte das beim Bodenwert auch möglich gemacht werden. So müssten günstigere Objekte in teuren Lagen nicht mit dem teuren Bodenwert in die Grundsteuerberechnung einfließen.“
Viele Fragen noch weiter offen
CDU-Finanzexperte Thilo Kleibauer sieht es im Prinzip ähnlich: „Die Einbeziehung der massiv gestiegenen Bodenwerte in die Grundsteuer ist aus Hamburger Sicht klar nachteilig“, sagte er dem Abendblatt. „Wir befürchten, dass sich damit durch die Grundsteuer-Reform für viele Haushalte hohe Mehrbelastungen ergeben.“ Insgesamt gebe es noch viele offene Fragen und rechtliche Risiken zum Eckpunktepapier der Finanzminister. „Hier darf der rot-grüne Senat keine faulen Kompromisse machen, mit denen die Kosten für Wohnen und Gewerbe in der Stadt weiter steigen.“
Tatsächlich sind außer den beiden großen Knackpunkten noch viele weitere Fragen offen – etwa die, ob und wie denn Mieter überhaupt von ihrem Vermieter erfahren, wie die Grundsteuer berechnet wird. Oder der Umgang mit Gewerbegrundstücken, die ganz anderen Kriterien unterliegen. Das bereit ihm „große Sorgen“, sagte Dressel: „Hier muss alles getan werden, dass in puncto Bürokratie und Belastung die Wirtschaft nicht die Hauptleidtragende der Grundsteuerreform ist.“ Sein Zwischen-Fazit: „Zu einem breiten Konsens ist es noch ein weiter Weg. Wichtig ist mir, dass erreichte Fortschritte für die Großstädte jetzt nicht wieder einkassiert werden. Darauf werde ich penibel achten.“
Reform muss bis Ende 2019 beschlossen sein
Viel Zeit für eine Lösung bleibt nicht mehr: Auf Anordnung des Bundesverfassungsgerichts muss die Reform bis Ende 2019 beschlossen und fünf Jahre später – also spätestens Ende 2024 – in Kraft gesetzt sein. Karlsruhe hatte das alte Modell für verfassungswidrig erklärt, weil die Ermittlung der Steuerhöhe bislang auf völlig veralteten Werten aus den Jahren 1935 (Ost) und 1064 (West) basierte. Die Grundsteuer fließt den Kommunen zu. Bundesweit lag das Aufkommen zuletzt bei 14 Milliarden Euro, davon entfielen 475 Millionen Euro auf Hamburg. Einige sind sich Bund und Länder, dass das Gesamtaufkommen sich durch die Reform nicht verändern soll.