Sie spielt die beliebteste Rolle in dem Musical am Schmidts Tivoli – und war eine Spätberufene mit Startproblemen.
An diesen Abend Mitte September wird sich Kathi Damerow noch lange erinnern. Es war die Geburtstagsshow der „Heißen Ecke“, jenes Musicals, das seit 15 Jahren im Schmidts Tivoli gespielt wird. Ehemalige Darsteller waren geladen, viele treue Fans gekommen. Auf den Tischen lagen Päckchen mit allen möglichen Utensilien. Tröten, Schnapsfläschchen, Luftballons und blinkende Herzen. Dazu ein Zettel mit Anweisungen, wie all die Gegenstände zu gebrauchen seien. Der erfahrenen Bühnenschauspielerin war also klar, dass das Publikum hier und da mitspielen würde. Aber was dann geschah, damit hatte Kathi Damerow nicht gerechnet.
Als die zierliche Frau in ihrer Rolle als Kioskverkäuferin Margot auf die Bühne trat, begannen die Zuschauer sofort, jeden ihrer Dialoge mitzusprechen. Damerow, sonst erfahren mit spontanen Zwischenrufen, war perplex. Sie musste so lachen, dass sie in ihrem Spiel kurz stockte. Doch schnell begann sie, Spaß an der Sache zu empfinden, und forderte das Publikum geradezu auf, sie bei ihren Pointen zu begleiten. „Ich habe zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich Gänsehaut gehabt“, sagt sie. „Das war etwas ganz Besonderes.“
Die 46-Jährige ist der Star des Kiezmusicals. Ihre trockene Art, ihre raue Stimme haben einen Kult um Damerow und ihre Rolle entfacht. „Dabei wird die Geschichte eigentlich um eine andere Person erzählt, meine Kollegin im Imbiss, die Hannelore“, sagt sie. Sie habe als Margot eher eine Nebenrolle. Doch die Zuneigung der Fans habe sich in den vergangenen Jahren Stück für Stück verselbstständigt. Nicht wenige Zuschauer könnten wirklich alle Texte. „Und sie zeigen mir das auch immer, wenn sie ganz vorne sitzen und alles mitsingen.“
Wichtiger Bestandteil des Ensembles
Dass die Wahlhamburgerin ein so wichtiger Bestandteil des Ensembles werden sollte, hatte vor allem sie selbst nie für möglich gehalten. Ganz im Gegenteil. Vor der Premiere der „Heißen Ecke“ im Jahr 2003 war Damerow unglücklich mit ihrem Part. „Ich konnte mit meiner Figur nichts anfangen.“ Sie sei so verzweifelt gewesen, dass sie in das Büro der Produktionsleiterin gegangen sei und gesagt habe: „Ich unterstütze euch natürlich gern bei allem, aber ich selbst bin raus.“ Die Kollegen hätten verständnisvoll reagiert, und gemeinsam habe man die Geschichte der Margot so umgearbeitet, dass Damerow sie spielen mochte. „Die Reaktion war großartig.“
Dieser Umgang ist es vor allem auch, der sie zu einem der treusten Ensemblemitglieder macht. „Es ist einfach geil, hier zu arbeiten. Man hat künstlerische Freiheiten wie nirgends sonst.“ Dazu kämen die lieben Kollegen. „Das ist einfach ein tolles Haus. Ich liebe es, hier zu spielen.“
Bevor sie ihre ganze Geschichte erzählen kann, muss sie immer wieder aufspringen und Kollegen begrüßen, die gerade aus der Vormittagsvorstellung kommen. Natürlich jeden mit einer Umarmung und ein paar lieben oder auch frechen Worten. Man merkt sofort, die Zuneigung ist echt. Das hier sind mehr als Kollegen.
Sie ist eine Quereinsteigerin
Damerow selbst hat Theaterspielen und Singen erst spät für sich entdeckt. Sie gehört in der Branche zu den Quereinsteigern. Geboren wurde sie in Hagenow, einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern, als Tochter einer Standesbeamtin und eines Soldaten. Damerow interessierte sich als Kind vor allem für eines: für Geld. „Ich habe ständig einkaufen gespielt und alle abkassiert“, sagt sie. Und die Akten in dem Büro ihrer Mutter, die habe sie geliebt. Also habe sie als junges Mädchen beschlossen, eine Ausbildung zur Sparkassenkauffrau zu machen. „Denn da konnte ich meine beiden Leidenschaften vereinen.“
Nach der Ausbildung wurde sie übernommen, wenig später schon Centerleiterin. „Das Schlimmste war das frühe Aufstehen“, sagt sie. „Vor zehn Uhr geht bei mir eigentlich nichts.“ So habe sie nicht nur einen lauten Wecker gehabt, sondern drei. Und die standen auf Untertassen mit Teelöffeln. „Damit es richtig scheppert.“ Auch das habe oft nicht geholfen. „Ich habe leider ständig verschlafen. Was ein echtes Problem war, als ich als Centerleiterin den Schlüssel für den Tresor hatte.“
Autohäuser und kleine Feste
Parallel zu der Karriere in der Bank entdeckte die junge Frau ihre Freude am Singen, auch vor Publikum. „In einer Kleinstadt heißt das natürlich erst einmal nichts“, sagt sie und grinst. Begleitet wurde sie bei ihren Auftritten von ihrem ehemaligen Musiklehrer. Zuerst in Autohäusern und bei kleinen Festen. „Irgendwann kamen die Leute zu solchen Anlässen, weil sie wussten, dass ich singe.“ Dabei, so Damerow, sei sie wirklich keine begnadete Sängerin. Mithilfe ihrer Freunde organisierte die Künstlerin ein erstes eigenes Konzert. Die 200 Karten waren so schnell ausverkauft, dass aus einem Auftritt drei wurden.
„Das hat mich alles nachdenklich gestimmt“, sagt Damerow. „Immer öfter habe ich an meinem Schreibtisch in der Bank gesessen und mich gefragt, ob ich das hier nun mein ganzes Leben lang machen will. Und wenn es schlecht läuft, wirklich genau hier an dem Tisch.“ Aber der Mut, etwas anderes zu wagen, der habe ihr mit Mitte 20 gefehlt. Also habe sie erst einmal weiter Damen und Herren der Stadt beim Geldanlegen beraten. Was sollte sie auch anderes tun?
Monika Bleibtreu verhalf ihr zur Ausbildung
Die Wende in ihrem Leben leitete eine Freundin ein. „Die kam eines Tages zu mir und meinte: In Hamburg hat die Stella Academy eröffnet, eine Musicalschule. Da musst du dich bewerben.“ Bewerben? Bei einer Musicalschule? Nie wäre Damerow selbst darauf gekommen. Und schickte ihre Unterlagen trotzdem nach Hamburg. Kurze Zeit später kam die Einladung zu einem Vorstellungstermin. 200 Männer und Frauen seien eingeladen gewesen, aus denen der erste Jahrgang zusammengestellt wurde. „Und alle, wirklich alle, hatten schon Bühnenerfahrung. Nur ich nicht.“ Tanzen, Schauspielern, Singen – und das vor einer kritischen Jury. Damerow war „ehrlich gesagt komplett überfordert“, wie sie sagt.
Doch auf keinen Fall wollte sie sich diese Chance durch die Lappen gehen lassen. „Also habe ich mich bei uns zu Hause in die Bibliothek gesetzt und ein Gedicht von Bertolt Brecht auswendig gelernt.“ Sie habe einfach nicht gewusst, wie man sich auf solch eine Audition, wie es heute heißt, vorbereiten soll. „Vollkommen verschüchtert stand ich dann da in Hamburg auf der Bühne. Vor mir als Jury unter anderem Monika Bleibtreu. Es war schrecklich.“ Verhaspelt habe sie sich, den Text vergessen. Den Platz bekam sie trotzdem. Hinterher habe ihr die Bleibtreu gesagt: „Du hast wirklich alles falsch gemacht, aber ich wollte dich einfach dabeihaben.“
„Wir entwickeln uns ständig weiter“
Zurück in Hagenow musste Damerow sich entscheiden. Weiter das sichere Leben in der Sparkasse ihrer Heimatstadt. Oder den Sprung in die Großstadt Hamburg wagen. „Ich war doch immer so sicher, dass ich nie, nie in meinem Leben hier weggehen würde.“ Ihre Eltern seien entsetzt gewesen über die Pläne der Tochter. „Und ich habe es dann trotzdem gewagt.“ Die ersten Wochen und Monate hat die Eimsbüttelerin bis heute in keiner guten Erinnerung. „Es war schrecklich.“ Sie habe die ganze Zeit das Gefühl gehabt, die Einzige zu sein, die nichts kann. Immer wieder habe sie Sonderschichten eingeschoben, um zu den Mitschülern aufzuholen. „Erst nach drei Monaten hatte ich das Gefühl, jetzt komme ich langsam an.“
Damerow durchlief zweieinhalb Jahre lang die Ausbildung an der Academy. Ergatterte ein Stipendium, um das Leben in Hamburg finanzieren zu können. Und begann nebenbei erste Rollen zu übernehmen. Hier entdeckte die Produktionschefin des Schmidts sie auch und machte ihr ein erstes Angebot, bei der „Pension Schmidt“ mitzuwirken. „Aber das war noch nichts für mich. Ich wollte erst einmal meine Ausbildung beenden.“
Die Kollegin ließ aber nicht locker. Zum Glück, wie Kathi Damerow heute sagt. Und so stieg sie im Jahr 2000 bei dem Privattheater ein. Wirkte zuerst bei den Produktionen „Fifty Fifty“ und „Sixty Sixty“ mit, bevor sie bei der „Heißen Ecke“ die Rolle der Margot übernahm. Die übrigens hat sie auch nach vielen Tausend Abenden – zählen kann sie ihre Auftritte nicht mehr – noch lange nicht satt. „Wir entwickeln uns ja ständig weiter, da wird es nie langweilig.“
An anderen Produktionen beteiligt
Der Mix ist es aber auch, der den Job für Damerow nach so vielen Jahren noch spannend macht. Immer wieder hat sie sich an anderen Produktionen beteiligt. Etwa an den Shows für die Aida-Schiffe. Sie hilft anderen jungen Schauspielern. Und hat vor einiger Zeit nun auch selbst begonnen, Stücke zu schreiben. Eines, „Gabi Mut“, wurde vor zwei Jahren an der Reeperbahn im Schmidtchen uraufgeführt. Ein Ein-Frau-Musical, erdacht von Damerow, gespielt von Damerow. „Diese Mischung hat mir viel abverlangt, vor allem die Tatsache, ganz alleine auf der Bühne zu stehen.“
Im November kommenden Jahres soll es wieder im Schmidtchen gespielt werden. „Aber klar ist, das wird mein einziges Ein-Frau-Stück bleiben.“ Auch, wenn es für den einen oder anderen sicher reizvoll sei, Publikum und Applaus mit keinem teilen zu müssen: „Ich bleibe die Margot.“
Nächste Woche: Brigitte Engler, Citymanagerin