Hamburg. Wird Hamburg hässlich?, fragte das Abendblatt vor wenigen Tagen. Oberbaudirektor Franz-Josef Höing nimmt Stellung.

Der Oberbaudirektor spricht gerade über die Faszination von Gründerzeithäusern, als der Feueralarm ertönt. In der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen wird der Ernstfall geprobt, alle Mitarbeiter müssen das ­Gebäude über Treppen verlassen – auch Franz-Josef Höing mit den beiden Abendblatt-Reportern. Das Interview wird in einem benachbarten Café ­fortgesetzt. Je länger das Gespräch ­dauert, umso deutlich wird: Der West­fale ist angekommen in seiner neuen Heimat.

Herr Höing, als wir uns im November 2017 zum ersten Gespräch in Ihrem Büro trafen, standen noch Blumen als Ihr Begrüßungsgeschenk auf der Fensterbank. Wie fällt Ihre Bilanz nach einem Jahr im Amt aus?

Franz-Josef Höing: Ich weiß gar nicht, ob man das als Oberbaudirektor nach zwölf Monaten schon machen sollte. Dies ist ein Amt, wo man einen langen Atem braucht. Etwas salopp formuliert, vergeht schließlich zwischen dem Blitz des ersten Entwurfs und dem Donner der Baustelle viel Zeit, zumal es ja in Hamburg in aller Regel nicht um Einzelhäuser geht.

Ihr Amtsvorgänger Jörn Walter hatte nach 18 Jahren Amtszeit beinahe Legendenstatus. Das hat den Start nicht erleichtert, oder?

Höing: Ich hatte nie das Gefühl, dass ich an ihm gemessen werde. Man hat mir die Luft zum Atmen gelassen. Die Stadt hat mich sehr herzlich aufgenommen, die Behörde sowieso. Ich bin sicherlich auch dem einen oder anderen mal auf die Füße getreten, weil dies ein Job ist, in dem man es nicht allen recht machen kann. Insofern war es ein sehr herausforderndes Jahr. Aber ich finde nach wie vor, es ist ein großes Privileg, dieses Amt in dieser Stadt ausüben zu dürfen.

Haben Sie sich privat schon eingelebt?

Höing: (lacht): Ich hatte gar keine Zeit, darüber nachzudenken. Gefühlt war ich bei unendlich vielen Veranstaltungen. Aber dies gehört aus meinem Amtsverständnis dazu.

Haben Sie einen Lieblingsplatz in Hamburg?

Höing: Auch ich schätze die prominenten Lagen, vor allem am Wasser. Aber ich habe das erste Jahr vor allem dazu genutzt, um mich mit den eher spröderen Teilen der Stadt vertraut zu machen. Wir als Stadtplaner müssen uns um diese Lagen mit großer Sorgfalt kümmern. Das war in der Vergangenheit nicht der Fall. Damit will ich niemanden kritisieren. Früher ging es zu Recht vor allem um die Plätze, die das Bild der Stadt nach außen prägen.

Jetzt stehen die Magistralen im Blickpunkt.

Höing: Magistralen, das klingt nach Champs-Élysées. In Wahrheit geht es um Hauptverkehrsstraßen wie die Wandsbeker Chaussee. Autohändler, Gartencenter, Tankstelle, großer Parkplatz, etwas Grün. Zwischendurch Wohnungsbau aus den 1950er-Jahren, mit den Köpfen zur Straße, gänzlich dem Lärm ausgesetzt. Orte, die teilweise entstellt sind. Doch genau dort, in diesen zentralen Lagen, leben Zehntausende Menschen, die unbedingt bezahlbar wohnen bleiben wollen. Darum müssen wir uns kümmern. Und dabei habe ich eine Sorge, die hoffentlich unbegründet bleiben wird.

Welche?

Höing: Dass am Ende hier ein bisschen und dort ein bisschen was passiert. Mal wird angestrichen, mal aufgestockt, mal abgerissen. Am Ende haben wir alles einmal angefasst, und nichts ist besser geworden. Das darf uns nicht passieren.

Viele Hamburger sehen auch Neubauprojekte kritisch. Die Neue Mitte Altona etwa, die viele als zu dicht bebaut empfinden.

Höing: Ich war mehrfach dort, ich sehe das anders. Die Dichte halte ich für verträglich. Die Quartiere aus der Gründerzeit, die mit Recht heute so beliebt sind, wurden viel dichter bebaut, das wäre heute gar nicht mehr erlaubt. Und ich finde es gut, dass die Gebäude in der Mitte Altona unterschiedliche Gesichter haben. Die Baufelder wurden nicht mit nur einem Haustyp bebaut. Zudem hat man mit dauerhaftem Material gearbeitet, was keineswegs selbstverständlich ist. Aber ein Problem, besser gesagt eine Herausforderung, sehe ich.

Was meinen Sie?

Höing: Die Erdgeschossbereiche, wenn dort nur Wohnflächen und keine öffentliche Nutzung geschaffen wird. In England spricht man gern vom „gift to the street“. Was schenkt das Erdgeschoss der Straße? Mich interessiert diese Frage fast mehr als die Form der Dächer. Denn hier entscheidet sich, ob Stadt entsteht oder nur eine Siedlung.

Aber wie soll das funktionieren? Einzelhandelsflächen ergeben kaum noch Sinn, es gibt schon jetzt Leerstände in den Stadtteilen.

Höing: Das stimmt. Allein mit Einzelhandel oder Gastronomie können Sie diese Bereiche nicht füllen. Zudem müssen wir aufpassen, dass das Wohnen nicht noch teurer wird, wenn die Mieter von Wohnungen die Erdgeschossflächen mit Gewerbe subventionieren sollen. Wir diskutieren das gerade sehr intensiv an einem kleinen Abschnitt an der Bramfelder Chaussee. Hier verhandeln wir mit einem Investor, dass er einen Teil der Erdgeschossflächen sehr preiswert Start-up-Unternehmen zur Verfügung stellt. Wir müssen vor allem für Flexibilität sorgen. Wenn in den Erdgeschoss-Bereichen von vornherein Wohnungen geplant werden, bleiben sie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag drin. Wenn man aber über Grundrisse und Deckenhöhen für Flexibilität sorgt, ist es möglich, die Nutzung zu ändern.

Brauchen wir grundsätzlich mehr Vielfalt?

Höing: Ja, wir brauchen mehr Vielfalt in der Architektur. Am Ende des Tages werden wir daran gemessen, ob wir es geschafft haben, dieser Stadt etwas Plausibles hinzuzufügen, oder ob wir die beeindruckende Zahl aus Excel-Tabellen in die Stadt gestellt haben.

Ein Blick aus Ihrem Fenster zeigt ja Vielfalt.

Höing: Welche Gebäude meinen Sie?

Die Häuser, die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung entstanden sind.

Höing: Diese Buntheit entspricht der Logik einer IBA. Aber die braucht es nicht zwingend. Nicht jedes Haus muss anders aussehen. Aber wenn Sie den Blick auf das eine oder andere Hochhausviertel der 60er- und 70er-Jahre richten, sehen Sie eine andere Seite. Die Eindimensionalität, die falsche Dichte an den falschen Orten. Diese Bilder haben die Leute im Kopf, wenn sie fürchten, dass Hamburg zu schnell wächst. Gegen diese Bilder müssen wir Stadtplaner argumentieren.

Wie kann das gelingen?

Höing: Indem Quartiere einen eigenen Charakter erhalten. Wie es den Stadt­planern vor 100 Jahren in Dulsberg gelungen ist. Dort hat der damalige Oberbaudirektor Fritz Schumacher ein Drittel der Fläche als Experimentierfeld freigegeben. Es entstanden etwa Laubengang-Typen, die man gar nicht besser machen kann. Genau diese Vielfalt brauchen wir. Nicht vordergründig, nicht populistisch, nicht anbiedernd, nicht laut. Ich weiß, dass ich mich jetzt auf dünnes Eis begebe. Sie legen das auf Wiedervorlage und fragen mich in zehn Jahren: Herr Höing, ist Ihnen das wirklich gelungen?

Wir wissen wohl, unter welchem Druck Sie stehen. Der Senat will 10.000 neue Wohnungen. Jedes Jahr.

Höing: Mein Kollege in Wien sagt bei Präsentationen gern: Wenn Sie 45.000 neue Einwohner jedes Jahr in einer Stadt unterbringen müssen, werden Sie bescheidener. Ja, das ist eine Gratwanderung. Ich kann mich als Oberbaudirektor nicht hinstellen und sagen: Mir ist völlig egal, ob jemand noch eine bezahlbare Wohnung findet. Hauptsache, es wird so gebaut, wie es meinen hehren Ansprüchen genügt. Das geht nicht. Dennoch muss unser Anspruch bleiben, dass wir den Fußabdruck dieser Stadt bewahren. Wir dürfen das „grüne Grundgesetz“ Hamburgs nicht grundsätzlich infrage stellen. Die grünen Korridore, die bis in das Zentrum ragen, die machen diese Stadt auch aus. Das bedeutet, dass wir beim Wohnungsbau noch sehr viel mehr über die Entwicklung im Bestand nachdenken müssen. Aber alles geht nur mit dem richtigen Maß. Und selbstkritisch müssen wir sehen, dass an zwei, drei Standorten unsere Planungen in der Vergangenheit nicht passgenau und angemessen waren.

Wo?

Höing: Das werde ich Ihnen hier nicht sagen. Aber man muss kein Fachmann sein, der sich 30 Jahre über Pläne gebeugt hat, um dort zu erkennen, dass die Dichte an diesen Standorten überzogen war. Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, was zu viel ist. Und wir müssen ihnen vermitteln, dass Veränderung nicht immer Verlust bedeutet.

Na ja, de facto bedeuten mehr Einwohner noch mehr Konkurrenz auf dem Mietmarkt, noch mehr Verkehr auf den Straßen, noch mehr Fahrgäste in ohnehin schon oft überfüllten S-Bahnen, U-Bahnen oder Bussen.

Höing: Diese Veränderungen halten wir im Blick. Aber Veränderung bedeutet eben auch Chancen. Das Neue muss dabei einen Beitrag leisten, sowohl für diejenigen, die nach Hamburg kommen, als auch für diejenigen, die bereits in der Stadt leben. Wir legen zum Beispiel ein Programm mit zehn Millionen Euro auf, um öffentliche Plätze zu entwickeln. Und es entstehen auch wunderbare Gebäude. Etwa in der Nähe des Rathauses am Großen Burstah, wo Londoner Architekten ein Bürohaus errichten werden. Nicht grobmaschig, nicht antiseptisch, nicht gläsern, sondern im Stil eines Kontorhauses, das sich historischer Vokabeln bedient.

Klingt gut. Seit Monaten stehen dort aber noch die Reste des Allianz-Hochhauses. Der Abriss geht nicht voran. Hässlicher geht es kaum. Und das alles zwei Fußminuten vom Rathaus entfernt.

Höing: Glauben Sie mir, das nervt mich auch. Das ist die Folge einer völlig überhitzten Baukonjunktur. Aber wir sind mit den Beteiligten im Gespräch. Ich rechne damit, dass es kurzfristig vorangeht.

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf hält sogar ein Wachstum der Stadt auf 2,2 Millionen für vertretbar. Wann ist die Grenze aus Ihrer Sicht erreicht?

Höing: Unsere Prognosen gehen von 100.000 neuen Einwohnern bis 2030 aus.

Aber auch Bevölkerungsexperten können irren. Die Saga etwa warnt davor, Prognosen linear fortzuschreiben, eine mögliche Euro-Krise könnte Hamburg gerade als Hafenstadt deutlich unattraktiver machen. Bauen Sie am Ende in den Leerstand?

Höing: Sollen wir uns lieber zurücklehnen und nichts tun? Das wäre naiv. Wir müssen den notwendigen Raum für das Wachstum schaffen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich viele, vor allem ältere Hamburger gerne verkleinern würden. Die Kinder sind aus dem Haus, man braucht nicht mehr so viel Platz. Nur kostet die neue kleinere Wohnung oft mehr.

Höing: Zumindest die Saga und die Genossenschaften haben ein Umzugsmanagement, das sich um diese Anliegen kümmern. Aber Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Seit Jahren wächst die Wohnraumgröße pro Kopf. 1970 waren es ungefähr 25 Quadratmeter, jetzt sind es zirka 40 Quadratmeter pro Kopf. Diese Kurve flacht jetzt ab, da Wohnen so teuer geworden ist. Aber nach wie vor fragen uns Stadtplaner aus München, die sich bei uns an Wettbewerben beteiligen, ob bei den angegebenen Maßen für eine Dreizimmerwohnung ein Tippfehler vorliegt. Im Süden, wo das Wohnen noch teurer ist, rücken die Leute deutlich enger zusammen. Diese Diskussion müssen wir möglicherweise auch hier führen.

Was meinen Sie konkret?

Höing: Das fängt im Kleinen an. Brauchen wir wirklich den Platz in Badezimmern für eine Waschmaschine? Oder kann man sie auch in Gemeinschaftsräumen platzieren? Manche Ideen aus den 1950er-Jahren waren gar nicht so schlecht.