Harburg. Hamburgs neuer Oberbaudirektor Franz-Josef Höing lobt die städtebauliche Entwicklung des Bezirks.

Seit gut zehn Monaten ist Franz-Josef Höing Hamburgs Oberbaudirektor. Wie blickt der oberste Stadtplaner auf Harburg? Wo liegen die Chancen des Bezirks, wo gibt es Nachholbedarf? Im Gespräch ließ Höing erkennen, dass er dem Bezirk viel zutraut.

Herr Höing, wie sehen Sie Harburg?

Fran z- Josef Höing: Die Stadt wächst, und alle Bezirke tragen dazu auf ihre Weise bei. Harburg tut es beim Wohnungsbau mit Angeboten, die es in zentraleren Lagen so nicht gibt. Die Baugebiete in Neugraben-Fischbek bieten Wohnqualitäten an ziemlich spektakulären Landschaftsräumen. Das sind gute Gründe, um in Harburg wohnen zu wollen. Und nicht etwa deshalb, weil es rund um die Alster zu teuer geworden ist. Es ist unsere Aufgabe, diese Qualitäten heraus zu arbeiten und auch zu schützen.

Auch der Binnenhafen wird zum Wohnort, gemischt mit Büros und Gewerbe...

Wir reden in der Stadt über Wohnungsbau und noch einmal Wohnungsbau. Und zu wenig über die Frage, wo denn die Arbeitsplätze für die Neubürger entstehen. Angesichts der verhaltenen Entwicklung des Arbeitsmarktes sind wir gut beraten auch darüber nachzudenken. Auch hier hat Harburg einige starke Lagen. Im Binnenhafen werden in den kommenden Jahren weitere interessante Projekte starten. Harburg ist eine Art Experimentierraum, in dem sehr spannende neue Orte entstehen.

Welche Orte zum Beispiel?

Am Wochenende bin ich mit Besuch aus dem Rheinland in den Binnenhafen gefahren und habe ihm die umgebauten alten Speicher gezeigt. So etwas hat in dieser Dimension und Art in anderen Teilen der Republik nicht stattgefunden, zumindest nicht zu einem ähnlich frühen Zeitpunkt. Oder nehmen Sie die Schlossinsel: Sie wurde im Rahmen der Internationalen Bauausstellung aufgeschlossen für den Wohnbau – an einer Stelle, wo es sich viele andere Städte nicht getraut hätten, so etwas zu machen. Hier ist ein neues, erfrischendes Wohnungsangebot entstanden. Man steht auf schönen Freiräumen an den Hafenflächen, die anders gestaltet sind als in der Innenstadt. Es wurde hier stärker das bewahrt, was da war – der eine oder andere mag den Binnenhafen als authentischer empfinden. Er hat kein finales Bild, auf das man hinarbeitet, sondern eher eine Strategie, jedes einzelne Objekt passgenau zu machen. Da kleidet sich ein Haus mal in Gold, andere in Schwarz, ein anderes hat eine backsteinerne Haut.

Welche Orte gefallen Ihnen weniger?

Schon vor meiner Zeit wurde in Hamburg das Thema Magistralen aufgerufen: große Ausfallstraßen wie die Cuxhavener Straße. Man fährt und fährt da entlang und fragt sich, wo die Stadt eigentlich aufhört. Oft wirkt es, als führe man durch eine Vorstadt – im besten Sinne städtisch ist vieles auf dieser Strecke noch nicht. Wie bei anderen Magistralen auch, sind hier Stadträume nicht als Ganzes geplant worden. Das Straßenbild ergibt sich als Addition von Einzelentscheidungen. Einige Lagen sind stabil und gut, mit anderen wird man sich beschäftigen müssen, etwa mit Neugraben als Einzelhandelslage.

Die B73 durchschneidet die Harburger Stadtteile von Fischbek bis zur Innenstadt. Wie sollen sie zusammenwachsen?

Es gibt große Straßen, die wie ein Rückgrat wirken, das tut diese Straße nicht. Natürlich können wir den Verkehr nicht abschalten. Aber man muss ein Bild erzeugen, wie der Straßenzug sich entwickeln soll – als Maßstab für Einzelentscheidungen entlang der Straße. Wir müssen an die sperrigen Orten mit planerischer Präzision herangehen: Alles, was neu hinzukommt, muss den Ort architektonisch weiter entwickeln, ihm mehr Charakter geben.

Wie soll eine Hauptstraßen-Umgebung Charakter bekommen?

Das hat auch mit Größe zu tun: Hier und da kauert sich die Bebauung weg von der Straße, ist fast nicht wahrnehmbar. Dann gibt es die üblichen Nutzungen von Autohaus, Baumarkt und ähnlichem mit großen Parkplätzen vor der Tür. Ich habe nichts gegen Baumärkte. Aber die Frage nach ihrem Beitrag zum Stadtbild halte ich für legitim. In Stellingen hat gerade ein Investor ein Rahmenkonzept präsentiert, bei dem man in einer lärmumtosten Situation dennoch gut wohnen kann, in geschützten neue Wohnlagen. Dies ist möglich, weil die erste Gebäudereihe sehr präzise geplant wurde. Harburg will für Neugraben-Fischbek untersuchen lassen, wieviel städtebauliches Potenzial in der Magistrale steckt, gefördert mit RISE-Mitteln, dem Rahmenprogramm für integrierte Stadtentwicklung.

Was wollen Sie für den sozialen Wohnungsbau in Harburg tun?

Wir sollten zunächst die Quartiere, die noch gut zu bezahlen sind, stabilisieren, damit sie dauerhaft Bestand haben. Beispiel: Die Harburger Innenstadt ist ein RISE-Gebiet, in dem die Wohnfunktion gestärkt werden soll. Dann gibt es die Regelung, dass 30 Prozent des über Planungsrecht geschaffenen Wohnbaus sozial geförderte Mietwohnungen sein müssen. Und im Neugrabener Vogelkamp entstehen gerade frei finanzierte Wohnungen, die so preiswert gebaut werden, dass ihre Kaltmiete bei acht Euro pro Quadratmeter liegen wird. Auch das städtische Wohnungsunternehmen Saga hat sich dem Thema angenommen. Andere Investoren haben bislang eher zugeschaut, oft mit Skepsis angesichts steigender Baupreise. Doch inzwischen bewegt sich etwas.

Seit Jahren spricht Hamburg vom Sprung über die Elbe. Bislang reicht er, zumindest was Großprojekte angeht, nur bis Wilhelmsburg. Wann kommt der Sprung über die Süderelbe?

Die Bebauung einer großen Fläche mit 5000 neuen Wohnungen als Sprung über die Elbe sehe ich für Harburg erst einmal nicht.Die Schlossinsel habe ich erwähnt. Am Neuländer Quarree, einem Schlüsselgrundstück als Entree in den Binnenhafen, plant die CG-Gruppe ein gemischtes Projekt aus Wohnungsbau mit neuen, gestapelte Formen von Gewerbe. Der Investor hat zu einem sehr frühen Zeitpunkt alte Industrieareale in Leipzig entwickelt, er kennt sich in diesem Metier aus und ist ziemlich mutig. Gegenüber entwickelt ein anderer Investor das Projekt Hafenquartier mit den maroden Industriebauten der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie. Zusammen ist das schon ein großer neuer Baustein.

Kann die Verkehrsinfrastruktur neue Bauprojekte überhaupt bewältigen?

Am Bahnhof Harburg platzt der Busbahnhof aus allen Nähten. Das Areal ist in die Jahre gekommen und zu klein geworden. Und: Wenn Sie in Harburg aussteigen, stehen Sie nicht in einem fertigen Stadtraum, sondern im irgendwo. Da gibt es keinen gescheiten Bahnhofsvorplatz oder Busbahnhof. Man weiß nicht, wie man zum Binnenhafen oder in die Kunstsammlung kommt. Im Moment ist es durch die Brückenbaumaßnahme Hannoversche Straße besonders labyrinthisch. Hier besteht Handlungsbedarf.

Das Maschinenbauunternehmen Harburg-Freudenberger wird seinen Standort zwischen den Bahngleisen und der Seevestraße aufgeben. Einige Harburger träumen davon, in den alten Industriehallen Ateliers einzurichten.

Wünsche dürfen nicht ins Kraut schießen, aber: Die Fläche kann ein interessanter Trittstein zum Binnenhafen werden. Je mehr man von der historischen Bausubstanz nutzen könnte, desto besser. Man darf sich hier nicht unter Wert verkaufen. Doch nicht alle Flächen gehören der Stadt, man muss die Eigentümer mitnehmen.

Sie sprachen vorhin von Arbeitsplätzen. Welche zusätzlichen Jobs werden in Harburg entstehen?

Die Stadt will in Zukunft verstärkt als Wissenschaftsstandort wahrgenommen werden. Da spielt Harburg mit der Technischen Universität eine wichtige Rolle. An zentralen Orten werden modernste Büroarbeitsplätze entstehen. Aber auch die lokale Wirtschaft mit Einzelhandel, Ärzten, Dienstleistern spielt eine wichtige Rolle. Sie soll mit dem RISE-Projekt in der City ebenfalls gestärkt werden.

Sie wohnen in St. Georg. Können Sie sich vorstellen, nach Harburg zu ziehen, wenn es hier noch schöner wird?

In St. Georg wohne ich, weil ich dort schnell eine Bleibe fand. Es liegt zentral. Ich kann sehr schnell in die Bahn springen und komme abends nach Veranstaltungen oder aus dem Büro gut nach Hause. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, auf der Schlossinsel eine Wohnung zu mieten. Ich finde die Lage absolut fantastisch. Und ich könnte mit dem Fahrrad zu Arbeit fahren. Aber derzeit habe ich wichtigere Aufgaben zu erledigen, als die eigene Wohnlage zu optimieren.

Lebenslauf

1965 in Gescher/Nordrhein-Westfalen geboren, studierte Franz-Josef Höing Raumplanung an der Universität Dortmund. Anschließende berufliche Stationen waren Wien und Aachen.

Erster Hamburg-Einsatz von 2000 bis 2004 als persönlicher Referent des Oberbaudirektors Jörn Walter, ab 2003 Leitung der Projektgruppe HafenCity.

2004–2008 Professor für Städtebau an der Fachhochschule Münster, von 2008 an Senatsbaudirektor in Bremen.

2012–2017 Dezernent für Stadtentwicklung, Planen und Bauen der Stadt Köln.

Seit 1. November 2017 Oberbaudirektor in Hamburg, in der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen.