Franz-Josef Höing, der neue Oberbaudirektor, steht beim Wohnungsbau unter Druck. Peter Wenig über einen engagierten Kümmerer.

Der Ehrengast hat gerade in der ersten Reihe Platz genommen, als die Gastgeberin zu einer Eloge ansetzt. Der Oberbaudirektor habe „Geschichte geschrieben“, die „Stadt geprägt“. Diese Komplimente gelten indes nicht Franz-Josef Höing (52), der an diesem Abend im 20. Stock in den Tanzenden Türmen an der Reeperbahn vor Immobilien-Entscheidern referieren wird. Sondern dessen Vorgänger: Prof. Jörn Walter.

„Vielen Dank, das ist in etwa so, als würde man einem Galopper vor dem Start noch ein Zusatzgewicht von 40 Kilo aufsatteln“, kontert Höing trocken. Mit einem Lächeln, er kennt das inzwischen. In der Stadtplaner-Branche wird der Name seines Vorgängers mit der gleichen Ehrfurcht genannt wie der von Uwe Seeler beim HSV. Legenden eben.

Während Walter bei solchen Anlässen zum Podium eilte, als müsse er nach dem Vortrag noch dringend in der HafenCity Steine schichten, schreitet Höing bedächtig zu seinem Auftritt. Leicht gebeugt steht er dann da, die rechte Hand in der Hosentasche, die linke stützt zuweilen das Kinn, das Idiom seiner münsterländischen Heimat bleibt unverkennbar. Aber wenn der neue Oberbaudirektor dann über „großartige Bauwerke“, „wunderbare Silhouetten“ und „kraftvolle Stadtplanung“ referiert, klingt bei ihm die gleiche Begeisterung wie bei Walter über sein Amt durch. Am Ende wird Höing seine Redezeit fast verdoppeln – und doch in keiner der mehr als 90 Minuten langweilen.

Wie schafft es Hamburg, nicht zu kollabieren?

Fast jeden Abend referiert Höing derzeit irgendwo in der Hansestadt. Über die HafenCity mit dem Megaprojekt Elbtower, dem neuen Wahrzeichen, das bis 2024 an den Elbbrücken errichtet werden soll. Über neue Quartiere, etwa die Neue Mitte Altona. Über Projekte in der City wie die Stadthöfe, die Innenstadt und Neustadt verbinden sollen. Und doch lässt sich sein eigentliches Thema auf diese eine Frage reduzieren: Wie kann es Hamburg schaffen, immer mehr Menschen bezahlbare Wohnungen zu bieten, ohne zu kollabieren?

Bereits in der Ausschreibung für die Nachfolge Walters machte der Senat unmissverständlich klar, was man vom neuen Oberbaudirektor erwarte: „Ein höchstes Maß an Kommunikations-, Steuerungs- und Vermittlungsfähigkeit.“ Das gewünschte Ergebnis stand nur zwei Zeilen weiter: „Die Umsetzung des Wohnungsbauprogramms des Senats mit dem Ziel, 10.000 neue Wohneinheiten jährlich zu schaffen.“

Höing muss also in seiner ersten auf neun Jahre begrenzten Amtszeit dafür sorgen, dass 90.000 Wohnungen gebaut werden. Wer an einem solchen Ziel gemessen wird, darf keine Zeit verlieren. Und muss Überzeugungsarbeit leisten.

Bauboom auf Kosten der Umwelt?

An diesem Abend bewegt sich Höing auf ihm freundlich gesinntem Terrain, eingeladen sind vor allem Architekten, Vertreter von Baugenossenschaften und Immobilien-Entwicklungsbüros, die allesamt beim Bauen gern das Tempo noch erhöhen würden. Aber es gibt auch andere Veranstaltungen mit erklärten Gegnern der wachsenden Stadt. Der renommierte Stadtplanungsexperte Jörg Knieling, Professor der HafenCity Universität, etwa beklagt einen Bauboom auf Kosten der Umwelt. Den Reibach machten Investoren: „Es wird versucht, Renditen abzuschöpfen – das hat nichts mit bezahlbarem Wohnraum zu tun.“ Widerstand kommt erst recht von Denkmalschützern. Frank Pieter Hesse, ehemaliger Chef des Denkmalschutzamtes, nennt den bevorstehenden Abriss der City-Hochhäuser am Klosterwall eine „Demontage der staatlichen Denkmalpflege“. Und aktuell fordern Eltern, die in der Neue Mitte Altona eingezogen sind, einen Baustopp – zunächst müssten neue Schulen her.

Man könnte sagen, dass Franz-Josef Höing die 90.000 angestrebten Wohnungen auf teils vermintem Gelände errichten muss. Doch wer ist der Mann eigentlich, dem in den kommenden neun Jahren die Quadratur des Kreises – Bauen ja, aber bitte nur günstig, trotzdem schön und auf jeden Fall ökologisch – gelingen soll?

Wer ihn in seinem verglasten Büro im zwölften Stock der Stadtentwicklungsbehörde gleich neben der S-Bahn-Station Wilhelmsburg besucht, erlebt einen überaus höflichen Gastgeber, der sich zunächst entschuldigt, dass man sofort loslegen müsse, die Zeit sei leider knapp. Als er später einmal auf seine Armbanduhr sieht, entschuldigt er sich wieder, dies sei keineswegs als Geste zum Aufbruch zu verstehen.

Höing spricht über seine Kindheit in Gescher, einer kleinen Stadt im Münsterland, über seine Lego-Leidenschaft („habe ich gern gespielt, aber die Varianten der Steine waren doch damals sehr begrenzt“), seine zweijährige Ausbildung zum Vermessungstechniker: „Mein Gefühl sagte mir zwar, dass ich das nicht bis zum Rentenalter machen möchte. Aber was man mal anfängt, das bringt man auch gescheit zu Ende.“

Das Elektroauto steuert Höing in aller Regel selbst

Nach dem Studium der Raumplanung in Dortmund habe ihn die Zeit als Assistent an der TU Wien geprägt: „Ich war noch relativ grün hinter den Ohren, durfte in einem geschützten Raum arbeiten.“ In Wien lernte er auch Jörn Walter kennen, der dort an der Uni einen Lehrauftrag hatte: „Eines Tages rief er mich aus heiterem Himmel an und fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, als sein persönlicher Referent nach Hamburg zu kommen. Für mich waren das vier echte Lehrjahre, anstrengend, aber kostbar.“ Oft hätten sie die halbe Nacht zusammengesessen, Schokolade gegessen, über Entwürfen gebrütet. „Ich habe dies nie als komisch empfunden“, sagt Höing: „Für mich war immer klar, dass man ein solches Amt nicht ohne Leidenschaft ausüben kann.“

Nach seinem ersten Hamburger Gastspiel übernahm Höing Spitzenjobs in der Verwaltung, zunächst in Bremen als Senatsbaudirektor, dann in Köln als Dezernent für Stadtentwicklung, Planen und Bauen.

„Ich habe nie an irgendwelche Tore geklopft“, sagt Höing über den erneuten Karrieresprung in das Amt des Oberbaudirektors: „Ich bin auch kein Lebensumstandsoptimierer, der immer noch eine Gehaltsstufe mehr braucht. Meine Karriere war nicht von langer Hand geplant, es war oft auch eine Menge Glück im Spiel.“ Politische Klüngelei hingegen definitiv nicht. In Bremen galt er als Wunschkandidat der Grünen, in Köln bedauerte die CDU seinen Abschied ungemein, in Hamburg arbeitet er nun für die sozialdemokratische Senatorin Dorothee Stapelfeldt. „Ich bin politisch neutral, mich interessiert die Sache“, sagt Höing über Höing.

Dass er auf Statussymbole keinen Wert legt, zeigt sein Dienstwagen, ein vergleichsweise bescheidener BMW i3. Das Elektroauto steuert der Oberbaudirektor in der Regel selbst, nur selten lässt er sich chauffieren. Am liebsten geht er eh zu Fuß, die Stadt lasse sich dann am besten entdecken. Er wohnt in St. Georg, von dort sei er schnell im Büro in Wilhelmsburg und bei Veranstaltungen. Hobbys? „Mit exklusiven Dingen wie Paragliden kann ich nicht dienen“, lacht Höing. Wann auch bei diesem Pensum? Zum Glück habe seine Lebensgefährtin Verständnis für seinen Job.

"Mein Bestreben, diese Stadt etwas besser zu machen"

Das neue Amt nennt er ein „absolutes Privileg“. Und dann sagt Höing diesen wie in Stein gemeißelten Satz: „Es ist mein festes Bestreben, diese Stadt etwas besser zu machen.“

Dass Höing dafür das nötige Durchsetzungsvermögen hat, offenbart die erste Entscheidung seiner noch jungen Amtszeit: Wer darf den Elbtower bauen? Der Oberbaudirektor zeigte sich zwar fasziniert vom Entwurf des Londoner Stararchitekten David Chipperfield, ordnete aber dennoch Änderungen an: „Der Entwurf war elegant gemeint, aber nicht elegant gemacht.“ In Tag- und Nachtschichten besserte die Chipperfield-Crew nach – und erklärte dann: „Die Wünsche des Oberbaudirektors haben den Entwurf besser gemacht.“

Dass Höing sehr wohl weiß, was er will, spürte auch der Abendblatt-Fotograf, der ihn in dem im Foyer seiner Behörde aufgebauten Stadtmodell ablichten wollte. Die Helfer, um ein paar Platten zwischen HafenCity und Alster abzubauen, standen parat. Höing lehnte sofort ab. Er stelle sich gern neben das Modell, aber niemals mittenrein, das würde überzogen wirken. Ein Oberbaudirektor sei doch kein Alleinherrscher.

Höing will auch Problem-Quartiere aufwerten

Höing weiß genau, dass es ohne Diplomatie, ja ohne eine gewisse Demut nicht geht. „Ich bin ein Kümmerer“, sagt er über seine Rolle. In Köln warb Höing mal einen ganzen brütend heißen Tag lang auf einem Platz im sozialen Brennpunkt Chorweiler für ein Neubauprojekt. Vielleicht markiert dies die größte Zäsur bei der Staffelübergabe. Der neue Mann will auch in Hamburg Problem-Quartiere wie Kirchdorf Süd aufwerten. Er verlangt dort von seinen Planern die gleiche Präzision, die gleiche Hingabe wie in den In-Vierteln, wo jede größere Nachverdichtung auf Widerstand durch die gut organisierte, akademisch geprägte Anwohnerschaft stößt.

Bei seinem Vortrag in den Tanzenden Türmen zeigt der Oberbaudirektor zum Abschluss weder Elbe noch Alster, sondern die Planungen für Oberbillwerder, wo in der Nähe von Bergedorf auf Ackerflächen ein Quartier für 15.000 Menschen entstehen soll: „Schauen Sie nur, wie diese Entwürfe die landwirtschaftlichen Konturen aufnehmen.“ Seine Euphorie klingt beinahe so, als preise er die Elbphilharmonie. Als der Oberbaudirektor dann zur Garderobe geht, sagt einer der Gäste beeindruckt: „Höing ist der Richtige. Er wird das packen.“

3 Fragen an Höing:

1 Was ist Ihr wichtigstes persönliches Ziel für die nächsten drei Jahre? Ich lese gern mal ein gutes Buch und höre mit Vorliebe Jazz. Dafür etwas mehr Zeit zu haben wäre schön.

2 Was wollen Sie mit Ihren Mitarbeitern in den nächsten drei Jahren erreichen? Mit überzeugenden neuen, lebenswerten Quartieren, die auch einem stadtbaukulturellen Anspruch genügen, den Wunsch der Menschen nach „Mehr Stadt“ umzusetzen.

3 Was wünschen Sie sich für Hamburg in den nächsten drei Jahren? Dass Hamburg eine Stadt bleibt, die mit ihren Bürgerinnen und Bürgern – und mit den Gästen – gut umgeht.

Nächste Woche: Marc Evermann,
Präsident HSV Handball