Hamburg. Gekündigt und trotzdem noch da – für Weltbühnen-Betreiber Tim Seidel kommt es vor allem auf den Preis an.

Großes Theater im Thalia Theater – seit einiger Zeit gibt die Spielstätte am Alstertor ihr eigenes, hausgemachtes Drama. Legt man den klassischen Drama-Aufbau zugrunde, wäre man in dem Fall jetzt am Ende der Komplikation und kurz vor der Klimax – jenem Teil also, in dem die Handlung ihrem Höhepunkt erreicht.

Tom Till, Geschäftsführer des Thalia Theaters, wirkt angespannt, als er am Donnerstag mit einer größeren Entourage vor Verhandlungszimmer 227 des Ziviljustizgebäudes steht. Noch nervöser wirkt aber sein Kontrahent. Es geht gleich um einiges vor Gericht. Thalia befindet sich im Rechtsstreit mit seinem Ex-Pächter, dem Gastronom Tim Seidel. Zwar hat das Theater Seidel bereits vor sieben Monaten gekündigt – doch der betreibt sein Restaurant Weltbühne im Erdgeschoss einfach weiter und hat seit Juni nicht einen Cent Miete gezahlt. Thalia hat deshalb Räumungsklage erhoben. Eine Zahlungsklage ist in Vorbereitung.

Mit zwei Monatsmieten im Rückstand

Am Donnerstag sitzen Tim Seidel, Tom Till und ihre Anwälte im Gericht an einem Tisch. Seidel würde sich nur zu gern einigen wollen, wie sein Anwalt betont. Und natürlich dreht sich alles im Kern ums Geld – Bares gegen Auszug. Für Thalia hingegen spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Läuft es schlecht, könnte sich das Verfahren noch viele, viele Monate hinziehen.

Acht Jahre hat Tim Seidel die Kantine, das Foyer und das Restaurant im Thalia Theater bewirtschaftet. Im Fe­bruar 2018 erhielt er die außerordentliche Kündigung, weil er mit zwei Monatsmieten im Rückstand war. Seidel erklärte gegenüber dem Abendblatt, er habe sich in einer angespannten wirtschaftlichen Situation befunden, verantwortlich dafür: Umsatzeinbußen während des G-20-Gipfels und die „grundsätzlich schlechte Auslastung des Theaters“.

Thalia hat Vorwürfe zurückgewiesen

Zu allem Überfluss habe das Restaurant im Dezember 2017 eine Woche schließen müssen, weil nach einem Schabenbefall die Kammerjäger aufräumen mussten. Außerdem habe ihm das Theater Bewirtungskosten etwa in Höhe der Mietrückstände geschuldet. All diese Vorwürfe hat Thalia bereits zurückgewiesen. Warum Mieter und Vermieter nun getrennte Wege gehen, hat aber noch einen weiteren Grund: Seidels Mitarbeiter hatten sich mehrfach beschwert, dass sie ihren Lohn nicht erhalten hätten.

Für Seidel und seinen Anwalt liegen am Donnerstag zwei Optionen auf dem Tisch. Die erste: Seidel führt das Restaurant weiter fort. Die Kantine für die Schauspieler und die drei Bars im Foyer haben bereits die Gastronomen Thomas Pinçon und Sebastien Thimon übernommen. Pinçon ist zudem Nachmieter des Restaurants. Die zweite Option sei ein „geordneter Rückzug“ – vorausgesetzt der Nachmieter (oder Thalia) lege ein akzeptables Angebot vor. Nach eigenen Angaben hat Seidel rund 700.000 Euro in die Einrichtung des Restaurants investiert, dafür will er nun Abstand haben. Am Donnerstag nennt der Gastronom auch eine konkrete Zahl. „240.000 Euro, darüber kann man reden“, sagt Seidel.

Am 17. September geht es weiter

Dabei hat Thalia als Vermieter mit dem Abstand rechtlich nichts zu tun, eigentlich müssten sich Seidel und Nachmieter Pinçon einigen. Das Theater hätte Seidels Mobiliar per Vertrag nur dann übernehmen müssen, wenn es ihn vor Auslaufen des Mietervertrages im Jahr 2021 unrechtmäßig vor die Tür gesetzt hätte. Rein praktisch aber ist der Abstand sehr wohl ein Thema – zumal die Höhe der Abstandssumme unmittelbar mit Seidels Auszugsbereitschaft korrespondieren dürfte.

Die ist noch nicht allzu ausgeprägt. Pinçon wolle sich wohl „die Rosinen“ aus dem Inventar herauspicken und nur 120.000 Euro zahlen, sagt Seidel. Ein von Thalia beauftragter Gutachter habe den Restwert der Einrichtung mit 160.000 Euro zuvor viel zu niedrig angesetzt, so habe er etwa die Außenbestuhlungen und andere Posten nicht in die Wertberechnung einbezogen. Der Nachmieter wiederum, so versichern später auf dem Gerichtsflur die Thalia-Vertreter, habe bei einer Inspektion der Räume einige Geräte als Relikte aus den 90er-Jahren identifiziert. Die wolle er natürlich nicht übernehmen.

Am 17. September geht es weiter, dann könnte es ein – auch vorläufig vollstreckbares – Räumungsurteil geben. Oder eben nicht. Gegen ein Urteil kann Seidel Berufung einlegen. Das kostet dann aber gleich viel mehr: Seidel mehr Geld, Thalia mehr Zeit und allen Beteiligten: mehr Nerven.