Hamburg. Das Theater am Alstertor stellt seine Saison 2018/2019 vor – und räumt den Schauspielern ein größeres Mitspracherecht ein.
In Berlin zerlegt sich die Volksbühne. Und in Hamburg soll man, nahezu zeitgleich zu dieser Nachricht aus der Hauptstadt, nun also seinen Spielplan vorstellen. Einerseits „aufmerksamkeitsökonomisch ganz, ganz dumm gelaufen“, wie dem Thalia Theater per Twitter spöttisch zugerufen wird. Andererseits vielleicht keine komplett unpassende Parallelität. Stars des Volksbühnen-Ensembles hatten sich bekanntermaßen lautstark gegen den Intendanten Chris Dercon ausgesprochen.
Und was nun Thalia-Chef Joachim Lux außer den neuen Produktionen, die in der Saison 2018/19 für volles Haus sorgen sollen, bekannt gibt, ist nicht weniger als ein neues Mitbestimmungsmodell für sein Ensemble. Mehr „Mitspracherecht in künstlerischen Fragen“ durch die Bildung eines entsprechenden Gremiums ist geplant, überhaupt soll es „mehr Luft zum Atmen“ geben.
Thalia Theater feiert 175. Geburtstag
Mit den Vorgängen in Berlin dürfte Letzteres zwar nicht so viel zu tun haben, aber doch mit einer (auch hier in Hamburg nicht zuletzt durch eine eindeutige Rede des Schauspielers Jens Harzer öffentlich gewordenen) Arbeitsverdichtung, deren Zumutbarkeit offenbar „an eine Grenze gekommen“ ist, so Lux. Rund 840 Vorstellungen im Jahr plus 28 Gastspiele weltweit – die muss ja jemand spielen. Und proben.
Lux spricht sich – und nicht zum ersten Mal – auch für die Zukunft eindeutig für das Prinzip Ensembletheater aus, es sei „ein künstlerisches, aber auch ein soziales Modell, eine Kraft, die eine gewisse Vorbildfunktion“ habe. Drei neue Ensemblemitglieder wird es künftig geben: Toini Ruhnke, 1993 in Henstedt-Ulzburg geboren und in Hamburg ausgebildet, war als „Rote Zora“ am Thalia zu sehen und wird nun fest engagiert. Jirka Zett, Jahrgang 1982, aufgewachsen in Bargteheide, spielt bereits in der ersten Liga der deutschsprachigen Theaterlandschaft, Merlin Sandmeyer, Jahrgang 1990, kommt vom Wiener Burgtheater.
„Orpheus“-Mythos zur Premiere
Gearbeitet hat er dort unter anderem mit Antú Romero Nunes, der bereits eine langjährige, sehr erfolgreiche Arbeitsbeziehung mit dem Thalia pflegt und weiterhin zu den prägenden Regisseuren gehören wird. Für die Spielzeit-Eröffnungspremiere am 7. September wird Nunes sich in einer Uraufführung dem „Orpheus“-Mythos widmen. Im Februar 2019 inszeniert er Tracy Letts „Eine Familie“, ein Well-Made-Play und als solches sonst eher nicht Teil des Nunes-Portfolios. In der Gaußstraße wird seine Arbeit „Geisterseher“ aus dem Berliner Gorki-Studio übernommen.
Ebenfalls fest eingeplant ist eine neue Arbeit der Hamburger Regisseurin Jette Steckel, die hier zuletzt den „Sturm“, aber auch das grandiose „Das achte Leben (Für Brilka)“ verantwortete. Sie wird diesmal „Medea – Das Goldene Vlies“ inszenieren, Premiere ist am 20. Oktober. Schon am 29. September nimmt sich Stefan Pucher Arthur Millers „Hexenjagd“ vor, ein Stück über Hysterie, Denunziation und Egoismus, das sicher als Parabel auf gegenwärtige Zustände zu lesen sein wird.
Zukunftsweisende Fragen
Überhaupt – die Gegenwart. Sie ist es ja, der sich das Theater – dieses Theater – bei aller Tradition vor allem verpflichtet fühlt, ihr will es einen Spiegel vorhalten, sie will es einordnen. „175 Jahre Thalia Theater waren in den besten Momenten immer 175 Jahre Gegenwart“, fasst es Joachim Lux zusammen. Das will man durchaus feiern, eine ganze Woche lang. Der eigentliche Geburtstag fällt ausgerechnet auf den „erinnerungsüberfluteten“ 9. November, die Historie (oder gar: Nostalgie) soll sich beim Feiern aber in Grenzen halten.
„Kann der Mensch sich abschaffen, indem er künstliche Intelligenz schafft, die klüger ist als er selbst?“ – diese Frage weist in die Zukunft und sie spielt eine Rolle in „Frankenstein/Homo Deus“, inspiriert von Mary Shelley und Yuval Noah Harari. Jan Bosse führt Regie, Premiere ist am 18. November. Sebastian Nübling, der zuletzt mit „Tod eines Handlungsreisenden“ überzeugte, wird ebenfalls inszenieren – was genau, ist noch geheim. „Ein Gegenwartsstück“ steht für Januar im Spielplan.
Zwei Kleist-Inszenierungen
Das Risiko zu scheitern ist natürlich am Theater immer gegeben, der Mut dazu ist aus der Verpflichtung der Regisseure für die Große Bühne allerdings weniger abzulesen. Die Riege alter Bekannter wird komplettiert durch zwei Kleist-Inszenierungen von Johan Simons („Penthesilea“ im Februar) und Leander Haußmann („Amphitryon“ im Mai). Der Kölner Intendant Stefan Bachmann bringt im März unter dem Titel „Rom“ einen Shakespeare-Politthriller des früheren Thalia-Chefdramaturgen John von Düffel auf die Bühne.
An der Gaußstraße, der Lux einen „Schub“ verpassen möchte, dürfen mehr Frauen ran: Franziska Autzen eröffnet mit Édouard Louis’ „Im Herzen der Gewalt“ in der Garage, Leonie Böhm inszeniert dort Handkes „Kaspar“, die russische Theaterfrau Marina Davydova richtet in „Checkpoint Woodstock“ den „Blick zurück nach vorn“, und Charlotte Sprenger bringt den Roman „Vor dem Fest“ von Saša Stanišić. Eine Auftragsarbeit ist Thomas Köcks „Dritte Republik“, Thalia-Dramaturg Matthias Günther führt erstmals Regie am Haus („Iran-Konferenz“), und Falk Richter – der zuletzt dem Schauspielhaus mit seiner Jelinek-Arbeit „Am Königsweg“ eine Einladung zum Theatertreffen einbrachte – kommt im Januar mit einer Deutschland-Premiere unter dem Titel „I am Europe“.
Apropos Schauspielhaus: Man hoffe durchaus auf dessen Publikum, wenn die Konkurrenz ab Mai für Sanierungsarbeiten schließt. Und wer weiß, ob nicht auch von der Volksbühne künftig der eine oder andere Zuschauer abfällt.