Hamburg. Airlines reizen Kapazitäten voll aus – Hauptgrund für Unpünktlichkeit am Airport Hamburg. Flughafenchef sieht Politik in der Pflicht.
Der Sommerurlaub ist zu Ende, Zeit für den Rückflug. Familie Schwarz sitzt in der abflugbereiten Maschine in Pisa, doch dann kommt die Durchsage aus dem Cockpit: „Wegen akuter Überlastung des Luftraums haben wir keine Starterlaubnis.“ Der nächste Slot ist erst in 50 Minuten frei – da ist der Anschlussflug nach Hamburg bei der Ankunft in Köln/Bonn längst weg. Und Familie Schwarz fast schon wieder urlaubsreif.
Am Himmel ist es eng geworden – ein Problem, das die Passagiere auch am Hamburger Flughafen massiv betrifft. Die Überlastung des europäischen Luftraums war hier im Juni erneut der Hauptgrund für Verspätungen (45 Prozent). Zum Vergleich: Im Juni 2017 galt dieser Grund nur für sieben Prozent der Verspätungen, obwohl es damals sogar mehr Starts und Landungen gab.
Die Lage ist verheerend
Gerade jetzt in der Urlaubszeit ist die Lage verheerend: Im Sommer reizten die Airlines ihre Kapazitäten aufgrund der erhöhten Nachfrage bis auf die letzte Maschine aus, so Stefanie Winiarz vom Flugrechtportal EUclaim. Im Juli hätten deutschlandweit 3174 Flüge annulliert werden müssen, bei mehr als 1300 Flügen habe es Verspätungen mit mehr als drei Stunden gegeben. Im Vorjahreszeitraum waren es 1680 Annullierungen und 858 Verspätungen.
Laut der europäischen Flugsicherungsorganisation Eurocontrol summierten sich die Verspätungen in der Zeit von Januar bis Ende Juli auf allen Flügen in Europa auf 11,9 Millionen Minuten – mehr als im gesamten Vorjahr mit insgesamt „nur“ 9,3 Millionen Verspätungsminuten. Allein im Juli dieses Jahres waren demnach 22,6 Prozent der rund eine Million Flüge verspätet. Sowohl Eurocontrol als auch EUclaim nennen als einen der Hauptgründe den enormen Verkehrsanstieg im Luftraum.
Eggenschwiler sieht Politik in der Pflicht
Hamburgs Flughafenchef Michael Eggenschwiler sieht darum die Politik in der Pflicht, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen – insbesondere für die europaweite Flugsicherung, deren Kapazität immer wieder an ihre Grenzen stoße. „Die Überlastung des europäischen Luftraums ist ein Thema, das jetzt auf breiter Ebene diskutiert wird – und das ist gut so“, sagte er dem Abendblatt. „Nur gemeinsam mit allen Partnern im Luftverkehr – Flugsicherung, Fluggesellschaften, Flughäfen und Politik – sind die derzeitigen Herausforderungen zu meistern.“
Und diese Herausforderungen werden noch deutlich zunehmen: Bis zum Jahr 2040 rechne man bei Eurocontrol nicht nur mit einem Verkehrszuwachs von 53 Prozent auf 16,2 Millionen Flüge pro Jahr – gleichzeitig werde sich die Zahl der um bis zu zwei Stunden verspäteten Flüge versiebenfachen.
Große Auswirkungen
Schon jetzt sind die Auswirkungen für Reisende aber so groß, dass sich die Präsidiums-Mitglieder des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), zu denen auch Flughafenchef Eggenschwiler gehört, jüngst in öffentlichen Anzeigen bei den von Verspätungen und Annullierungen betroffenen Fluggästen entschuldigten. Zu den Ursachen gehören laut BDL auch Streiks, extreme Wetterereignisse, starre Betriebszeitbeschränkungen an deutschen Flughäfen und lange Wartezeiten an den Sicherheitskontrollen. Die Überlastung des Luftraums ist aber wohl das komplexeste Thema.
„Die gegenwärtige Kapazität am europäischen Himmel ist nicht für das reale Wachstum ausgelegt“, sagte BDL-Sprecher Ivo Rzegotta dem Abendblatt. Damit der Luftraum nicht zum Flaschenhals werde, „müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten endlich die zersplitterte Organisation der Flugsicherung in Europa überwinden“. Das fordern auch die Airlines: „Wir brauchen einen einheitlichen europäischen Luftraum“, sagt TUIfly-Sprecher Aage Dünhaupt, und nicht mehr als 30 Flugsicherungsorganisationen mit unterschiedlichen Abläufen und Systemen.
Luftraum in Sektoren unterteilt
Eine Überlastung des Luftraums bedeute laut Deutscher Flugsicherung nämlich nicht, dass am Himmel kein Platz mehr für die wachsende Zahl an Flugzeugen wäre. In ganz Europa ist der Luftraum in sogenannte Sektoren unterteilt, die die Flugzeuge nacheinander durchfliegen und die jeweils von zwei Fluglotsen kontrolliert werden. Diese können nur eine begrenzte Verkehrsmenge überwachen.
Hinzu kommt, dass es derzeit nicht genügend Fluglotsen gibt. Deren Zahl wird von der EU-Kommission reguliert und jeweils für fünf Jahre auf der Basis des prognostizierten Flugverkehrs festgelegt. Nachdem die Prognosen in der vergangenen Periode zu hoch waren, sind sie nun viel zu niedrig. „Die Flugsicherungsorganisationen arbeiten daran, Personalreserven aufzubauen, das geht jedoch nicht über Nacht“, sagte BDL-Sprecher Rzegotta.
Entlastung des operativen Personals
Schließlich dauere die Ausbildung vier Jahre, und jeder Lotse habe nur eine Lizenz für bestimmte Sektoren. Akute Maßnahmen der Deutschen Flugsicherung seien Überstundenregelungen, freiwillige Zusatzdienste und Entlastung des operativen Personals von zusätzlichen Aufgaben. „Zudem versuchen die europäischen Flugsicherungsorganisationen, den Luftverkehr neu zu staffeln und den besonders stark frequentierten oberen Luftraum zu entlasten, indem Flüge in niedrigere Flugflächen verlagert werden“, sagte Rzegotta.
Im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt wird das Problem der Überlastung schon lange erforscht. Herausgekommen ist das System der sektorlosen Luftverkehrsführung, bei dem ein Fluglotse eine Maschine auf ihrem ganzen Flug führt und nicht in jedem Sektor ein anderer zuständig ist. „Dieses Konzept ist eine Revolution im Luftverkehr, mit dem die Kapazität des Luftraums erhöht werden kann“, sagte Dirk Kügler vom Institut für Flugführung. „Wir gehen davon aus, dass es in den kommenden Jahren in Deutschland implementiert werden kann.“ Bis es so weit ist, werden aber wohl noch viele Fluggäste wie die Familie Schwarz erst mit Verspätung ans Ziel kommen.