Hamburg. Der Hamburger Senator Jens Kerstan räumt im Interview ein, dass der Energieriese Vattenfall ein schwieriger Partner sei.

Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) stellte sich kurz vor seinem Start in den Urlaub zum Sommer-Interview. Dabei ging es unter anderem um die Diesel-Fahrverbote, den Rückkauf des Fernwärmenetzes und den Lärm in der Stadt.

Hamburg erlebt gerade heiße Tage. Solche Belastungen könnten durch den Klimawandel zunehmen. Ist die Stadt darauf gut vorbereitet?

Jens Kerstan: Wir sind noch dabei, uns darauf vorzubereiten. Wir werden mehr tropische Tage und Nächte bekommen, an denen die Temperaturen nicht unter 20 Grad sinken, und – wie im vergangenen Sommer – längere Perioden mit starken Regenfällen. Das stresst die Stadt. Grünflächen, die kühlend wirken, sind deshalb nicht nur ein netter Luxus, sondern sehr wichtig für ein angenehmes oder noch erträgliches Leben in der stark bebauten Stadt Hamburg, die immer weiter verdichtet wird. Noch reicht das Grün bis in die Innenstadt. Wir wollen unser grünes Hamburg aus Parks, Landschafts- und Naturschutzgebieten nicht nur erhalten, sondern ausweiten.

Und die Vorsorge gegen Starkregen?

Kerstan: Entsprechende Maßnahmen beziehen wir bei Neubauprojekten schon regelhaft mit ein. Die vorhandene Stadt müssen wir stärker umgestalten: So sind etwa künftig in Bebauungsplänen auch Flächen vorzusehen, wo sich Wasser aufstauen und versickern kann, wenn es zu Starkregen kommt.

Die Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ will den Flächenverbrauch stoppen. Da müssten Sie als grüner Umweltsenator doch zustimmen, oder?

Kerstan: Das ist ein ehrenwertes Ziel, das auch unseren Vorstellungen entspricht. Eine Beschränkung so kategorisch festzuschreiben, wie es die Initiative gerne hätte, ist aber in der stark wachsenden Stadt Hamburg nicht realistisch. Es wohnen heute rund 130.000 Menschen mehr bei uns als vor zehn Jahren.

Gibt es Tabubereiche, die für den Wohnungsbau nicht angetastet werden dürfen?

Kerstan: Der Biotopverbund sollte tabu bleiben. Darunter fallen nicht alle Landschaftsschutzgebiete, aber große Teile davon und auch unsere großen Parks. Diese Mindestausstattung an Grün braucht unsere Stadt, um anständig zu funktionieren und lebenswert zu bleiben.

Gibt es eine Obergrenze für das Bevölkerungswachstum?

Kerstan: Man sollte sich keine ehrgeizigen Ziele setzen, wie stark Hamburg wachsen soll. Wenn ich höre, dass es Menschen gibt, die von 2,2 Millionen Einwohnern oder mehr träumen, muss ich sagen: Das wäre eher mein Albtraum. Dadurch würde sich unsere Stadt dramatisch zum Schlechteren verändern. Sollte dennoch eine solche Situation eintreten, werden wir Häuser öfter als bisher stärker aufstocken und auch stärker über den Bau von Hochhäusern nachdenken müssen, um trotz wachsender Bevölkerung das Grün zu erhalten.

Bundesweites Aufsehen haben Sie mit den Diesel-Fahrverboten erregt. Die ersten Ergebnisse sind widersprüchlich: In der Stresemannstraße sank der Wert von 47 Mi­krogramm für Stickoxide im Juni 2017 auf jetzt 37. In der Max-Brauer-Allee gab es einen Anstieg von 42 auf 44 Mikrogramm. Sind Fahrverbote der falsche Weg?

Kerstan: Entscheidend ist, dass wir den maximalen Jahresgrenzwert von 40 Mikrogramm für Stickoxide nicht überschreiten. Das heißt: Nicht an jedem Tag muss dieser Wert eingehalten werden. Insofern sind Messungen nach wenigen Wochen noch kein sicherer Indikator. Erst nach einem Jahr wird man realistisch Bilanz ziehen können. Zuletzt sind die Werte an vielen Tagen deutlich gesunken, sodass ich denke, dass im Moment die Tendenz stimmt. Allerdings doktern wir nur an Symptomen herum. Wir können nicht dafür sorgen, dass die Autos sauberer werden – das wäre der beste Weg. Ich hoffe, dass jetzt auch das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium endlich mal anfängt, seinen Job zu machen. Dann bräuchten wir die Hamburger nicht weiter mit Durchfahrtsbeschränkungen zu behelligen.

Zum Fernwärmenetz-Rückkauf: Sie haben schon vor vier Jahren gesagt, dass der vom damaligen SPD-Senat vereinbarte Preis von 950 Millionen Euro deutlich zu hoch sei. Jetzt verhandeln Sie mit Vattenfall über den Rückkauf. Wie sieht es aus?

Kerstan: Fakt ist, dass der verhandelte Mindestpreis eine schwierig zu überwindende Hürde ist. Mehrere Angebote, Vattenfall zu bewegen, beim Mindestkaufpreis flexibler zu sein, waren bisher nicht von Erfolg gekrönt.

Und nun?

Kerstan: Es geht jetzt darum zu klären, unter welchen Bedingungen die Stadt den Kaufpreis bezahlen kann. Die Landeshaushaltsordnung schreibt keine Bewertungsverfahren vor, sondern fordert, dass die Kosten den Nutzen nicht übersteigen dürfen. Das ist eine andere Perspektive als die des Wertgutachtens der Wirtschaftsprüfer. Für den städtischen Nutzen sind andere Faktoren mit einzubeziehen, wie rechtliche Verpflichtungen, die sich aus einem Volksentscheid ergeben, oder Klimaschutzverpflichtungen. Es ist auch denkbar, dass am Ende der Preis von 950 Millionen Euro für die Stadt vertretbar ist, wenn damit ein wichtiger Effekt für den Klimaschutz erzielt werden kann.

Sie wären schon bereit, den weit überhöhten Kaufpreis zu zahlen, oder?

Kerstan: Der vorliegende Wert ist aus Sicht des Verkäufers Vattenfall berechnet worden. Aus unserer Sicht als Käufer kann ein städtisches Unternehmen aber einen sehr viel höheren Wert haben. Das Unternehmen wäre Teil der Hamburger Staatsholding HGV, es würden sich Synergien ergeben, und die Stadt kann günstiger finanzieren. Ein städtisches Fernwärmeunternehmen wäre ein zentraler Akteur unserer Energie- und Klimapolitik und hätte ganz andere Entwicklungsperspektiven. Wenn wir nicht kaufen, müssten wir für denselben Klimaschutzeffekt an anderer Stelle sehr viel mehr Geld bezahlen.

Verstehen wir Sie richtig, dass die Verhandlungen schon gescheitert sind?

Kerstan: Nein, wir sind noch mittendrin. Wir werden als Umweltbehörde mit Vattenfall den Ersatz für das Kohlekraftwerk Wedel jetzt zu Ende verhandeln. Für uns Grüne ist klar, dass ein ökologisches und innovatives Konzept umgesetzt werden muss ohne die Einbeziehung des Kohlekraftwerks Moorburg. Danach werden wir wahr-scheinlich noch einmal abschließend zusammen mit Bürgermeister Peter Tschentscher mit Vattenfall die Kauffrage verhandeln. Das wird vermutlich nach der Sommerpause der Fall sein. Vattenfall ist der erwartet schwierige Partner, der in vielen Teilen nicht sonderlich kooperativ ist. Aber ich bin auch nicht als Politiker bekannt, der die Flinte vorzeitig ins Korn wirft.

Der einfachste Weg wäre, der Senat würde die Erlaubnis zum Anschluss der Moorburg-Trasse geben.

Kerstan: Der Anschluss eines Kohlekraftwerks an das Fernwärmenetz wäre kontraproduktiv. Es würde das Gegenteil von dem bewirken, was wir für einen effektiven Klimaschutz machen müssen.

Die SPD ist nicht ganz so festgelegt. Kann die Koalition an dieser Frage scheitern?

Kerstan: Das Gute ist, dass die Stadt gegenüber Vattenfall einmütig auftritt. Der SPD ist es genauso wichtig wie uns, dass wir ein ökologisches Fernwärmesystem aufbauen. Und uns Grünen ist es genauso wichtig wie der SPD, dass das Ganze sozial verträglich geschieht. Sozialverträglichkeit bezieht sich auf die Verbraucherpreise und auf die Sicherheit der Arbeitsplätze. Der Energiemarkt hat sich europaweit so dramatisch verändert, dass es für die Beschäftigten der Vattenfall Wärme die schlechteste Lösung wäre, weiterhin auf Kohle zu setzen, weil dieser Energieträger in wenigen Jahren auslaufen wird. Wir können die Arbeitsplätze durch dezentrale erneuerbare Wärme erhalten. Das wird stabile Verbraucherpreise bedeuten, während die Preise für Kohle oder Öl erheblich schwanken.

Wenn es keine Einigung gibt, verkauft Vattenfall das Netz nicht und Sie können den Volksentscheid nicht umsetzen.

Kerstan: Das könnte für den ersten Teil des Volksentscheids drohen – den Rückkauf, der ein wesentlicher Punkt des Volksentscheids war. Wir verhandeln aber mit dem Ziel, in jedem Fall den zweiten Teil – sozialverträgliche, CO2-arme Fernwärmeerzeugung durch erneuerbare Energie – umzusetzen.

Die Umweltbehörde hat eine breit angelegte Umfrage zur Lärmbelastung der Hamburger gestartet. Gibt es erste Ergebnisse?

Kerstan: Die Online-Befragung ist sehr erfolgreich gelaufen. Wir haben fast 4000 Teilnehmer – ein hoher Wert für eine nicht beworbene Umfrage – und werten die Antworten jetzt aus. Eines der ersten Ergebnisse ist, dass jeder Vierte sagt, er sei umgezogen, weil es ihm in der alten Wohnung zu laut war.

Welche Konsequenz ziehen Sie daraus?

Kerstan: Lärm ist ein Umweltproblem, das in der Politik bislang unterschätzt wurde und noch nicht den nötigen Stellenwert hat. Es treibt die Menschen in dieser Stadt um. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass Umweltfragen immer auch soziale Fragen sind. Die Wohnbereiche der gut und der weniger gut verdienenden Menschen trennen sich immer weiter. Und das kann man auch anhand der Umweltbelastungen zuordnen. Wo man viel Lärm und Schadstoffe, aber wenig Grün hat, wohnen Menschen, die sich Gegenden mit weniger starken Belastungen nicht leisten können.

Wer soll Spitzenkandidat oder Spitzenkandidatin der Grünen werden?

Kerstan: Im Gegensatz zu anderen Parteien gibt es bei uns eine ganze Reihe von Leuten, die das Zeug dazu hätten. Wir haben unter diesen Personen allerdings auch eine sehr beliebte Zweite Bürgermeisterin, Katharina Fegebank. „Never change a winning team“, tausche kein Gewinnerteam aus – das ist am Ende ein gutes Prinzip vor Wahlen.