Hamburg. Verhandlungen des Senats über Rückkauf des Fernwärmenetzes stocken. Zwei Szenarien als Ausweg
Der Pulsschlag des politischen Lebens im Rathaus mag zur Mitte der Sommerferien insgesamt auf Ruhefrequenz gegangen sein. Doch wo immer die hier verbliebenen Senatoren und Mitglieder der rot-grünen Regierungskoalition in diesen Tagen zusammenkommen – etwa im Senat oder in der Senatsvorbesprechung –, steht ein extrem wichtiges Thema im Zentrum der Gespräche: die Verhandlungen des Senats mit dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall über den Rückkauf des Fernwärmenetzes. Mit anderen Worten: Die Ruhe täuscht.
Die Zeit drängt, die Problematik ist ausgesprochen komplex, und der Verhandlungsstand ist, gelinde gesagt, sehr ernüchternd und dürftig. Die Ausgangslage: Per Volksentscheid haben Hamburger Senat und Bürgerschaft 2013 aufgegeben, das Strom-, Gas- und Fernwärmenetz zurückzukaufen, also zu rekommunalisieren. Strom und Gas sind bereits wieder in städtischer Regie, was im Vergleich zum Problemfall Fernwärme relativ zügig gelang.
Der einfachste Weg zur Problemlösung ist verbaut
Bis Ende des Jahres hat der Senat eine Kaufoption für das Fernwärmenetz. Das haben Vattenfall und die Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement (HGV), die Staatsholding, Anfang 2014 vereinbart. In dem Vertrag wurde auch ein Mindestkaufpreis von 950 Millionen Euro festgelegt, was sich vier Jahre später als Krux erweist. Mittlerweile hat ein unabhängiges Gutachten ergeben, dass das Netz und das dazugehörige Uralt-Kohlekraftwerk Wedel nur noch 645 Millionen Euro wert sind.
Die Landeshaushaltsordnung verbietet es, dass die Stadt Geschäfte tätigt, deren Kosten den Nutzen übersteigen. Insofern kann der Senat das Netz nicht für fast eine Milliarde Euro kaufen, wenn dessen Wert weit darunter liegt. Und Vattenfall hat bislang keinerlei Bereitschaft gezeigt, von der Forderung nach dem garantierten Mindestpreis abzurücken. Die Zwickmühle für Rot-Grün lautet: entweder den Volksentscheid zu missachten, indem das Netz nicht gekauft wird, oder mit einem Kauf gegen die Landeshaushaltsordnung zu verstoßen.
Mit den Grünen ist der Moorburg-Anschluss nicht zu machen
Der einfachste Weg, das Problem zu lösen, ist den Koalitionären verbaut: Vattenfall würde mit Sicherheit flexibler beim Kaufpreis sein, wenn die Stadt das neue Vattenfall-Kohlekraftwerk Moorburg über die sogenannte Moorburg-Trasse an das Fernwärmenetz anschließen würde. Auslastung und Profit des Meilers würden dadurch gesteigert. „Moorburg ist die Brücke, die dafür sorgt, dass Fernwärme in Hamburg bezahlbar bleibt“, hatte Pieter Wasmuth, Generalbevollmächtigter von Vattenfall Hamburg und Norddeutschland, schon vor Wochen gesagt.
Aber für die Grünen bleibt es dabei: Mit ihnen ist der Moorburg-Anschluss nicht zu machen. Die ressourcenschonende Energieerzeugung, die der Volksentscheid ebenfalls verlangt, würde mit der Einbeziehung des Kohlemeilers ins Gegenteil verkehrt und damit ad absurdum geführt.
Jetzt geht es darum, Alternativen zu entwickeln
Die SPD ist in diesem Punkt weniger stark festgelegt, schließlich ist das Kraftwerk Moorburg mit moderner Filtertechnik ausgestattet und wesentlich umweltfreundlicher als das Kraftwerk Wedel, das 2019 vom Netz muss. Eine Verbesserung der CO2-Emission wäre gegeben ... Aber die Sozialdemokraten wissen: Wenn sie beim Nein zur Moorburg-Trasse wackeln, kann das schnell eine Entwicklung in Gang setzen, an deren Ende der Bruch des rot-grünen Bündnisses steht.
Bislang haben SPD und Grüne sorgsam vermieden, dass der Eindruck entsteht, beide zögen in Sachen Fernwärme trotz unterschiedlicher Akzentsetzungen nicht an einem Strang. Das gilt nicht nur für Äußerungen in der Öffentlichkeit, sondern besonders für das Auftreten gegenüber dem schwierigen Verhandlungspartner Vattenfall.
Tschentscher hat bislang noch nicht eingegriffen
Symbol und Garant dieser Strategie ist eine informelle Beratungsgruppe, in der alle Schritte diskutiert und abgestimmt werden. Dazu gehören der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher, Senatskanzlei-Staatsrat Christoph Krupp, Finanzsenator Andreas Dressel (alle SPD), Umweltsenator Jens Kerstan und sein Staatsrat Michael Pollmann (beide Grüne) sowie HGV-Geschäftsführer Rainer Klemmt-Nissen und der Ex-Hamburg-Energie-Chef Michael Beckereit.
Es geht in der Gruppe jetzt angesichts der absehbar endgültigen Kompromisslosigkeit des schwedischen Energiekonzerns beim Kaufpreis darum, Alternativen zu entwickeln. Zwei Szenarien werden derzeit durchgespielt. Das erste geht davon aus, dass die 645 Millionen Euro des Netz-Gutachtens ein Wert sind, der für ein privatwirtschaftliches Unternehmen ermittelt wurde. Wenn das Fernwärmenetz in städtische Hand übernommen würde, könnten sich Synergieeffekte mit den Strom- und Gasnetz-Gesellschaften ergeben. Außerdem könnten teure Klimaschutzmaßnahmen entfallen, wenn es gelingt, die Fernwärme klimafreundlich zu erzeugen.
Den letzten Trumpf ziehen
Das ist der zweite Strang der Verhandlungen mit Vattenfall. Hierbei geht es darum, die bislang in Wedel erzeugte Fernwärme künftig durch dezentrale Lösungen, die Einbeziehung der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm und eine Umrüstung des Kraftwerks Tiefstack klimafreundlich und ressourcenschonend zu produzieren. Dieses erste Szenario zielt darauf, den Kaufpreis von 950 Millionen Euro durch die Ermittlung eines höheren Unternehmenswerts über eine Gesamtbetrachtung zu rechtfertigen.
Den Grünen käme dieser Weg, wenn er sich denn als gangbar erweisen sollte, sehr entgegen. Die SPD dürfte dagegen nur dann dafür sein, wenn der Eindruck, hier solle ein „politischer“ Preis gezahlt werden, ausgeschlossen werden kann. Derzeit wird vor allem in der SPD-geführten Finanzbehörde und der HGV, die bei den Rückkauf-Verhandlungen federführend sind, an den Berechnungen gearbeitet.
Das zweite Szenario zielt schlicht darauf ab, mit Vattenfall eine Verlängerung der Kaufoption zu vereinbaren. Die „Prolongation“ verschafft dem Senat Zeit und hat den Vorteil, dass das erste Ziel des Volksentscheids, der Rückkauf des Fernwärmenetzes, noch nicht vom Tisch ist. Damit wäre das Problem zwar nur vertagt, aber es wäre nicht das erste Mal, dass solch ein Weg in der Politik beschritten wird, um ein Scheitern zu vermeiden.
In der Beratungsrunde wurde auch schon darüber diskutiert, einen letzten Trumpf zu ziehen, wenn es doch noch Spitz auf Knopf bei den Verhandlungen stehen sollte. Dann könnte Bürgermeister Tschentscher, der bislang nicht eingegriffen hat, zur Vattenfall-„Konzernmutter“ nach Stockholm reisen, um doch noch eine Einigung zu erzielen. Das wäre dann ein schwedisches Finale dieser fast unendlichen Geschichte zwischen der Stadt und dem Unternehmen Vattenfall.