Hamburg. Im Großen Saal spielte das NDR Jugendsinfonieorchester eine Kurzversion vom „Ring“. Das Epos im Zeitraffer.

Wenn die reguläre Elbphilharmonie-Saison endet, darf auch der Klassik-nachwuchs ran und in die Herzkammer des Gebäudes hinein. Das Jugendsinfonieorchester des NDR hatte am Sonnabend und am Sonntag dort gleich zwei Pulsbeschleunigungstermine im Kalender, jenes Ensemble, in dem sich NDR-Akademisten mit Studenten und „Jugend musiziert“-Preisträgern über das Repertoire gestandenerer Profis beugen und sich sagen: Ach, na ja, so schwer ist das gar nicht. Das kriegen wir doch wohl auch hin.

Und wenn schon, denn schon Wagner war die Devise für dieses Prestige-Programm; ganz ohne Sänger ist so große Oper nicht ganz einfach, vorsichtig aus­gedrückt, aber auch kein Ding der ­Unmöglichkeit mehr. Denn ein Zeitraffer-Arrangement des „Rings“ schafft in gut einer Stunde spielend, wofür das Original, vier Musikdramen lang, etwa 16 Stunden benötigen kann. Der Dirigent Lorin Maazel steckt hinter diesem Destillat, für den konzertanten Eigen­bedarf zurechtgekürzt, falls man gerade weder Opernbühne noch Orchestergraben zur Hand hat. Dieser „Ring ohne Worte“, das hat etwas von Sprühsahne ohne Torte: Die dramatischen Gesangspassagen, die eigentliche Substanz, muss man sich weitestgehend denken; im Schnelldurchlauf geht es sehr flott hinein und wieder hinaus aus allen wichtigen Leitmotiven.

Für Wagnerianer, die ihre Droge gern in großen Portionen einnehmen, war das gerade mal ein Kostpröbchen vom guten Stoff. Kaum waberte der Es-Dur-Akkord aus dem „Rheingold“-Vorspiel durch den Saal, kamen auch schon die Nibelheim-Ambosse grell klirrend von beiden Bühnenseiten als Special Effect zum Einsatz, bevor Walhall bezugsfertig war und das Unheil für Wotan & Co. seinen Lauf nehmen konnte.

So groß die Spielfreude auch war und weil man nur an Herausforderungen wächst – im ersten Konzert-Durchgang am Sonnabend ­waren die tapfer mithaltenden Blechbläser-Gruppen nicht immer schwächel­attackenfrei. Doch das ist, erst recht in diesem Saal, bei derart hochriskanten Soloeinsätzen schon ganz anderen passiert.

Spaß am Stress

Auch durch den walkürenlosen Walkürenritt ging es gewissermaßen im gestreckten Galopp, aber an dieser Stelle hatte das Jugendorchester bereits ­genügend Respekt vor dieser Aufgabe verinnerlicht, um das Bestmögliche aus der enormen Anstrengung zu machen. Dirigent Stefan Geiger – im Erstberuf Soloposaunist beim NDR Elbphilharmonie Orchester – hielt das Tutti mit gut sichtbaren und anfeuernden Manövrier­gesten auf Kurs; für episches Ausloten und Genießen blieb eher keine Zeit, doch das tat dem Spaß am Stress wenig Abbruch.

Die Andeutung von Hagens Heerruf ist ohne Hagens „Hoiho! Ihr Gibichsmannen“ zwar deutlich weniger angsteinflößend. Doch immerhin vom wuchtigen Trauermarsch hatte Maazel eine größere Portion in sein Potpourri übernommen, bevor der beschleunigte Weltenbrand am Ende der Mini-„Götterdämmerung“ den Schlussstrich zog und sich das ­gesamte Orchester, so stolz wie erledigt, vom Publikum feiern lassen konnte. Es gab Erinnerungsfotos aus den ­Zuschauerreihen und stolze Blicke zurück von der Bühne, dorthin, wo die Verwandtschaft saß und das Erreichte zu Recht bejubelte.

Der Abend begann mit einer Ladung Blech

Wie es sich für solche Feierstunden gehört, begann der Abend mit einer amtlichen Ladung Blech: Geiger, gelernt ist gelernt, hatte für diese Gelegenheit die „Wiener Philharmoniker Fanfare“ von Richard Strauss auf die Pulte legen lassen. Kurz und funkelnd, der Mann wusste bereits 1924, wie man Publikumserwartungen effektvoll bedient.

Als Aufwärm-Etüde auf hohem Niveau folgte vor der Pause das 2. Klarinettenkonzert von Spohr, gehobenes „Jugend musiziert“-Sortiment. Den dankbar virtuosen Solopart übernahm Geigers NDR-Kollege Gaspare Buonomano. Er ließ sich durch die Fingerfertigkeitsanforderungen nicht aus der Ruhe bringen; eine schöne Gelegenheit, um Qualitäten zu zeigen, die im Spielzeit-Alltag so nicht immer zur Geltung kommen. Das Jugendorchester nutzte die Zeit, um sich auf die Akustik des Saals einzupegeln. Und ­genoss schon da den Ausblick und das Erlebnis.