Hamburg. Poetry-Slam und Klassik, aufmerksam belauscht von jungen Hamburgern. Lesen Sie hier die Rezension einer talentierten Schülerin.
Junge Musiker und gleichzeitig junge Hörer schulen – das ist die Idee hinter dem Hamburger Wettbewerb Tonali. In der vergangenen Woche kämpften zwölf Nachwuchsmusiker um den Förderpreis des Hamburger Vorzeige-Projektes. Mit einem Finale im Großen Saal der Elbphilharmonie.
Flankiert wurde die Musik durch Poetry-Slam-Texte und beobachtet vor einer ganz besonders kritischen Zuhörerschaft. Schüler von zwölf Hamburger Schulen hatten sich vorgenommen, von diesem besonderen Konzert eine Rezension zu verfassen. Einen dieser Texte, er kommt von Christina Wang, veröffentlicht wir nun hier. Die 16-jährige Autorin geht auf das Walddörfer-Gymnasium in Volksdorf und spielt selbst Klavier und Querflöte.
Während draußen die Mittagssonne mit der Vorstimmung der Fußballfans um die Wette schien, wurde der Tonali-Saal in eine angespannte Dunkelheit gehüllt.
Alle wollten etwas sehen, wovon sie überzeugt waren, dass es eine Sache der Unmöglichkeit ist, bis es real wurde.
Sechs Stunden Bach – zum Glück gibt es Pausen
Die sechs Suiten für Violoncello von J.S.Bach sind „die Quintessenz von Bachs Schaffen, und Bach selbst ist die Quintessenz aller Musik“ (Paul Casals). Sechs Suiten, zwei Cellisten pro Suite und zwei Suiten pro Teil. Genau das war unser Programm für die nächsten sechs Stunden. Zum Glück gibt es Pausen...
Die Türen wurden geöffnet, das Publikum, Interessierte, musikbegeisterte Schüler, und die Jury –undercover – betraten den Saal. Der Anblick der nicht vorhandene Bühne, der kreuz und quer im Raum verteilten Stühle und die vollständig abgedunkelten Fenster ließen nicht wenige einen Moment vor Verblüffung und Verwunderung blinzeln. So hatten wir uns einen Abend Bach pur nicht vorgestellt. Augenblicklich schlägt die Atmosphäre um. Das Publikum traute sich kaum noch zu flüstern und das stumme Knistern der nervösen Wettbewerbsspannung erfüllte den Saal.
Die Cellistinnen sitzen im Herzen des Publikums
Die ersten zwei Cellistinnen aus insgesamt 12 Teilnehmern schritten sicheren Fußes in die Mitte. Das Zittern in den Fingern war aber nicht zu verbergen. Rücken an Rücken nahmen sie auf den Stühlen im Herzen des Publikums Platz. Der goldene Strahl des Scheinwerfers, unsere eigene Sonne in dieser neuartigen Welt der Vergangenheit, erleuchtete den Klang des Präludiums der ersten Suite.
Mit jedem Bogenstrich und jedem Ton füllte sich diese eigene Welt mit Leben. Langsam und vage.
Leise erklangen die Worte des Poetry-Slam-Propheten Timo Brunke, im Dialog und Zusammenspiel mit der Musik erzählten sie von fernen Galaxien, von der Betrachtung der Existenz. Blaue, silberne und andere bunte Scheinwerfer teleportierten uns ins All, wir betrachteten unsere Welt und unser Schaffen mit dem Gefühl, zu schweben.
Das dunkle c-Moll reißt uns zurück auf den Boden der Realität
Wir hörten Musik, die „sogar noch vor dem Urknall geboren“ wurde. Die hellen Es-Dur Klänge der vierten Suite zeigte uns den „allerersten Frühling der Erde“. Er umhüllte uns vollkommen ein. „Wird es eine Blume, oder ein starker Baum?“
Der letzte Teil des Abends begann. Das Präludium der fünften Suite im dunklen c-moll reißt uns vom Himmel zurück auf den Boden der Realität. Sebastian Fritsch scheute sich nicht, tief in die Saiten zu gehen, um all seine Emotionen rauszulassen. Die Schwere des Stückes übertrug sich in die Luft und nahm uns die Luft zum Atmen. Die Augen geschlossen – auch er atemlos, intensivieren sich die Töne bis zum Schuss, wo der Bogen ganz natürlich mit dem überraschenden Dur-Akkord einer picardischen Terz nach oben schwang – und die bisher ersten „Bravo“-Rufe ausbrachen.
Auch das Duett zusammen mit Ivan Skanavi, ein extrem langsames Lamento voller Trauer, Kummer und Schmerz, das die beiden getrennt – einer im Saal, einer im Flur – spielen, lässt das Publikum regelrecht mit dem Stück mitseufzen.
Ein unvergesslicher Abend, der sicherlich – seufz – in dieser Form einmalig gewesen ist.