Hamburg. Attraktivität der Großstadt strahlt auch auf die Region ab. Experten fordern deshalb, Nahverkehr und Wohnungsbau gemeinsam zu planen.

Ob in der S-Bahn, bei der Parkplatzsuche und erst recht, wenn man eine neue Wohnung sucht: Dass Hamburgs Bevölkerungszahl seit Jahren zulegt, lässt sich an vielen Stellen deutlich spüren. Und ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit kaum in Sicht. So geht beispielsweise das Institut der deutschen Wirtschaft von einem weiteren Zuwachs um rund 162.000 Einwohner bis zum Jahr 2035 aus. Knapp zwei Millionen Menschen werden dann in der Hansestadt leben, prognostiziert das Institut. Aber nicht nur Hamburg wird wachsen, die direkten Umlandkreise wachsen zum Teil kräftig mit, wie jetzt eine Umfrage des Abendblatts in den Kommunalverwaltungen zeigt.

Zum einen führen Wissenschaftler dies auf sogenannte „Überschwappeffekte“ zurück. Beispiel Wohnungen: Nach einer Prognos-Studie wird es selbst bei dem derzeit ambitionierten Wohnungsbauprogramm des Senats in gut zwölf Jahren nur 939 Wohneinheiten pro 1000 Hamburger Haushalte geben. „Das bedeutet, mindestens 61 Haushalte müssen sich außerhalb der Stadt ein Quartier suchen“, heißt es in der Studie.

Thomas Krüger, Professor für Stadtplanung:
Thomas Krüger, Professor für Stadtplanung: "Umlandgemeinden sich aus sich selbst heraus attraktiv geworden" © HA | Alexander Sulanke

Aber das Umland ist längst nicht nur Trostpreis: „Umlandgemeinden sind aus sich selbst heraus attraktiver geworden“, sagt der Stadtplanungs-Professer Thomas Krüger von der HafenCity-Universität. So gebe es beispielsweise besonders entlang der Autobahnen starke Wirtschaftzentren, deren Arbeitsplätze wie ein Magnet auf Neubürger wirken. Hinzu komme ein gerade für Familien oft günstiges Umfeld, ein eigenes ausgeprägtes Kulturleben sowie ein deutlich günstigerer Wohnungsmarkt als in der Kernstadt, sagt Krüger, der für die Stadtentwicklungsbehörde gerade einen neuen Wohn- und Mobilitätskosten-Rechner entwickelt hat.

Im Internet lässt sich damit für jeden, der umziehen möchte, schnell vergleichen, mit welchen Wohn- und Mobilitätskosten man rechnen muss – je nachdem, wo man in der Metropolregion leben möchte. Generell sind dann für Berufspendler nach Hamburg Mobilitätskosten im Umland höher, die Wohnkosten aber niedriger (siehe Infokasten). Und gelegentlich so viel niedriger, dass sich ein Umzug ins Umland lohnt. Wobei die Betonung auf Umland liegt. In den weiter entfernten Landkreisen in der Metropolregion, wie in Teilen von Mecklenburg-Vorpommern, gehen Prognosen indes von einer schrumpfenden Bevölkerungszahl aus. Im Detail zeigt sich bei der Abendblatt-Umfrage folgendes Bild:

Kreis Pinneberg: Der ohnehin bevölkerungsreichste Kreis des Landes Schleswig-Holstein wächst besonders kräftig weiter. Eine vom Kreis Pinneberg in Auftrag gegebene Studie zur voraussichtlichen Entwicklung der Bevölkerung geht davon aus, dass sich die Einwohnerzahl bis 2030 um 18.059 Menschen (plus 5,9 Prozent im Vergleich zu 2014) auf 322.146 Bürger erhöhen wird. Da es immer mehr Ein-Personen-Haushalte geben wird, in denen oft Senioren allein leben werden, führt das laut der Prognose zu einem Mehrbedarf von 17.200 neu zu bauenden Wohnungen im Kreis Pinneberg.

Kreis Stormarn: Für den Kreis Stormarn erwartet das Statistikamt Nord ein Wachstum von 6,4 Prozent bis Ende 2030 – bezogen auf die Bevölkerungszahl am Ende des Jahres 2014. Damals lebten im Kreis 236.705 Menschen. Bis 2030 soll die Zahl um 15.130 auf 251.835 Menschen steigen.

Landkreis Harburg: Im Süden entwickelt sich die Zahl weniger dynamisch als im Norden Hamburgs: Nach Angaben von Bernhard Frosdorfer vom Landkreis Harburg wird die Einwohnerzahl bis zum Jahr 2040 nahezu stabil bleiben. Lag sie im Jahr 2008 bei 244.600 Einwohnern, so sind es den empirica-Berechnungen zufolge im Jahr 2040 rund 243.000. Was man schon als positiv ansehen kann, wenn man die Entwicklung mit vielen anderen ländlichen Regionen der Republik vergleicht.

Kreis Segeberg: Die Bevölkerung wird bis zum Jahr 2030 um 9500 auf 274.434 Einwohner wachsen. Zulegen werden nach der Studie des Hamburger Büros Gertz, Gutsche, Rümenapp die Städte und Gemeinden entlang der wirtschaftlichen Kraftachse an der Autobahn 7 und der Bereich Bad Segeberg/Wahlstedt. Im eher strukturschwachen Nordostkreis nimmt die Zahl der Bewohner ab. Norderstedt wächst um 6050 Einwohner, Henstedt-Ulzburg um 2050, Bad Bramstedt um 650, Bad Segeberg um 850 und Wahlstedt um 150. Prozentual legt Kaltenkirchen mit zwölf Prozent oder 2450 zusätzlichen Bürgern am stärksten zu, auch Ellerau gehört mit einem Plus von 500 Einwohnern zu den Gewinnern in dem Landkreis.

Vor allem Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren kommen

Treibender Motor für das allgemeine Bevölkerungswachstum in Hamburg und seinem Umland ist vor allem die Zuwanderung jüngerer Menschen, sagt der Geograf Dr. Thomas Pohl von der Universität Hamburg, der sich speziell mit der Bevölkerungsentwicklung in der Metropolregion beschäftigt. Aus anderen Städten und Bundesländern, aus dem Umland oder auch dem Ausland kämen vor allem Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Ein gutes Angebot von Arbeits- und Ausbildungsplätzen ist hier das – wie in anderen Großstädten auch –, was diese Anziehungskraft ausmacht. So stieg beispielsweise die Zahl der Hamburger Studenten allein von 2011 auf heute um gut 20 Prozent auf rund 100.000!

Dieser junge Zuzug ist auch Grund dafür, dass die Hamburger Bevölkerung weit weniger schnell als andere Teile Deutschland im Zuge des demografischen Wandels älter wird.

"Problem des Südens" in Harburg

Allerdings zeigt sich bei den 30- bis 50-Jährigen dann wieder ein anderes Bild, wie Geograf Pohl sagt. In dieser Altersgruppe ziehen mehr Menschen ins direkte Umland als von dort in die Stadt. Von einer negativen Wanderungsbilanz sprechen Forscher wie Pohl dann. Und es kommt oft ein weiterer demografischer Effekt hinzu, wie Pohl sagt. „Als junge Hamburger Familie zieht man zu zweit oder dritt ins Umland und vergrößert dann dort die Familie um weitere Kinder. Dass der Landkreis Harburg dabei etwas weniger beliebt als Wohnort ist als das nördliche Umland, liegt vor allem an den „schwierigen Verkehrsverhältnissen“, sagt Pohl und bezeichnet dies als „Problem des Südens“.

Ähnlich sieht es Stadtplanungs-Professor Krüger. Um einerseits die Kernstadt zu entlasten und auf der anderen Seite die Situation für Pendler zu verbessern, sei eine geordnete Stadt-Umland-Planung notwendiger denn je, sagt er. Nahverkehr, Wohnungsbau oder auch Bildung – dafür müsse es eine gemeinsame Planung geben, fordert Krüger. Und das nicht nur aus professioneller Sicht. Lange Zeit hat er selbst für seine Familien eine neue Bleibe gesucht. „Doch in Hamburg haben wir nix gefunden, das können wir uns nicht mehr leisten“, sagt Krüger. Nun zieht er nach Buchholz – wo wenigstens noch eine Bahn nach Hamburg fährt. (at/esh/ms)