Hamburg. Die Stadtentwicklungssenatorin verspricht, dass Hamburg trotz des Wohnungsbau-Programms eine grüne Stadt bleibe.

Mit den Bereichen Stadtentwicklung und Wohnen ist SPD-Senatorin Dorothee Stapelfeldt für die derzeit wohl wichtigsten Themen in der Hamburger Regierung zuständig. Im Abendblatt-Interview spricht sie über die aktuelle Debatte, ob und wie Hamburg weiter wachsen soll, über ihr Verhältnis zum grünen Umweltsenator Jens Kerstan und den Naturschützern, die ihr vorwerfen, zu viel Hamburger Grün zu opfern.

Frau Senatorin, Sie sitzen hier in Ihrem Büro nur wenige Meter entfernt von dem des grünen Umweltsenators Jens Kerstan. Er kämpft für das Grün, Sie für die Wohnungen – sind Sie die natürlichen Gegenspieler im Senat?

Dorothee Stapelfeldt: Nein, wir arbeiten sehr gut und eng zusammen – gerade dank der räumlichen Nähe und weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ja bis 2015 für eine Behörde gearbeitet haben. Außerdem ist es ohnehin mein Ziel als Stadtentwicklungssenatorin, das grüne Erbe Hamburgs zu erhalten.

Kerstan gibt gerne den markigen Grünen, legt sich auch mit dem Bürgermeister an – und jetzt hat er gerade eine Debatte darüber angezettelt, ob Hamburg weiter wachsen und Weltstadt werden muss. Nervt Sie diese Diskussion?

Dorothee Stapelfeldt: Erstens ist es völlig legitim, dass in einer Koalition jeder seine eigenen Interessen einbringt. Und zweitens finde ich die Debatte über die Zukunft der Stadt, die auch das Abendblatt befördert hat, gut und wichtig. Man muss zunächst einmal feststellen, dass die Bevölkerung in Hamburg schon seit 1986 kontinuierlich wächst. Und die Stadt wird auch weiter wachsen – voraussichtlich um etwa 100.000 Menschen oder 70.000 Haushalte bis 2030.

Die Menschen kommen, weil die Stadt attraktiv ist. Und es kommen nach jüngsten Studien vor allem junge Leute: Auszubildende, Studierende und Berufsanfänger. Sie suchen hier ihr Glück und sind zugleich ein Glück für die Stadt, indem sie unserer Wirtschaft helfen. Als Senat haben wir dabei zwei Ziele: Die Stadt soll lebenswert und die Mieten für alle bezahlbar bleiben. Darum kümmern wir uns – indem wir das Wachstum aktiv gestalten.

Dennoch gibt es bei Bürgern und Naturschützern Sorgen, Hamburgs Grün könnte abnehmen und die Stadt überlastet werden. Es könnte zu eng werden und der Verkehr zusammenbrechen. Können Sie solche Sorgen verstehen?

Dorothee Stapelfeldt: Veränderungen führen immer zu Sorgen. Wir haben mittlerweile mehr Naturschutzgebiete ausgewiesen als jedes andere Bundesland. Und wir sorgen bei allen neuen Stadtentwicklungsprojekten dafür, dass neue Parks entstehen. Auf dem A-7-Deckel ist ein neuer Grünzug vom Volkspark bis zur Elbe geplant. Hamburg ist zudem viel dünner besiedelt als vergleichbare Städte wie etwa Berlin oder München. Auch gibt es an vielen Stellen Möglichkeiten, niedrige Bauten aufzustocken. Wir erhalten Hamburgs Lebensqualität als grüne Stadt am Wasser.

Wenn das so ist, müssten Sie ja die geplante Volksinitiative des Naturschutzbundes unterstützen, die den Anteil des Grüns an der Hamburger Fläche festschreiben will.

Dorothee Stapelfeldt: Dieses Vorhaben zeugt für mich von unnötigem Misstrauen. Aber bevor ich mich mit dieser Initiative auseinandersetze, werde ich erst einmal abwarten, welchen konkreten Vorschlag sie vorlegen wird.

Können Sie denn ausschließen, dass weiter Landschaftsschutzgebiete dem Wohnungsbau geopfert werden?

Dorothee Stapelfeldt: Es wird kein Landschaftsschutzgebiet geopfert. Es kann im Einzelfall geringe Eingriffe geben, aber im großen Maßstab werden wir unsere Landschaftsschutzgebiete so erhalten. Unsere Naturschutzgebiete und Parks werden wir weiter ausbauen.

Wo sollen denn die 130.000 Wohnungen hin, die Sie bis 2030 bauen wollen?

Dorothee Stapelfeldt: Allein 70.000 Wohnungen werden wir durch Innenentwicklung in bestehenden Wohngebieten bauen können, rund 40.000 in unseren „Fokusräumen“ – also im Hamburger Osten entlang von Bille und Elbe, im Hamburger Westen in den großen Stadtentwicklungsprojekten in Altona und an den Magistralen sowie im Süden in Wilhelmsburg und Harburg. Ein langfristiges Potenzial für bis zu 20.000 Wohnungen gibt es durch größere Projekte in der Außenentwicklung. Es sollen Viertel wachsen, in denen Wohnen, Arbeiten und soziale Infrastruktur gemeinsam entstehen. Wir sorgen dafür, dass es vor Ort genug Schulen und Kitas gibt. So vermeiden wir unnötige Verkehre, wie sie durch frühere Konzepte der Stadtentwicklung entstanden sind, in denen Wohnen und Arbeiten strikt getrennt waren.

Es wird so oder so enger für die meisten Hamburger. Naturschützer und Opposition fordern eine Grundsatzdebatte darüber, wie und wo Hamburg wachsen soll. Sie monieren, dass es keine zusammenhängende Wachstumsstrategie gebe, kein wirkliches Leitbild. Auch würden Bürger nicht genug einbezogen.

Dorothee Stapelfeldt: Diese Kritik kann ich nicht nachvollziehen. In kaum einer anderen Stadt gibt es mit der Stadtwerkstatt, den Stadtteilbeiräten, öffentlichen Vorstellungen von Projektplanungen und den gesetz­lichen Beteiligungsverfahren so viele Möglichkeiten für die Bürger, sich an der Stadtplanung zu beteiligen. Und natürlich gibt es mit „Perspektiven der Stadtentwicklung“ ein Konzept, das der Bürgermeister im Mai 2014 vorgestellt und mit den Hamburgerinnen und Hamburgern diskutiert hat.

Wir folgen darin der Strategie „Mehr Stadt in der Stadt“, also der Idee, durch Verdichtung im Bestand und durch die Entwicklung neuer innerstädtischer Quartiere auf vorher anders genutzten Flächen wie der Mitte Altona oder dem Kleinen Grasbrook, neuen Wohnraum zu schaffen. Parallel verwirklichen wir den „Sprung über die Elbe“ und richten uns nach dem Achsenkonzept von Fritz Schumacher. Ende 2015 haben wir das Konzept durch „Mehr Stadt an neuen Orten“, also den Bau neuer Viertel an gut erschlossenen Orten am Rand der Stadt ergänzt, in Planung sind Neugraben-Fischbek, Oberbillwerder oder die Gartenstadt Öjendorf.

Das Thema des immer weiter wachsenden Straßenverkehrs mit allen negativen Folgen kommt darin nicht vor.

Dorothee Stapelfeldt: Das stimmt nicht. Wir arbeiten wie kein Senat zuvor am Ausbau der Schnellbahnen, zwei neue S-Bahnen werden gebaut, die S 4 und S 21, die U 4 wird verlängert, mit der U 5 kommt eine neue U-Bahn. Wir haben die Kapazität der Busse gesteigert und stellen sie von 2020 an auf Elektroantrieb um. In Sachen Elektromobilität ist Hamburg jetzt schon führend, gerade wurde die 600. Ladestation eingeweiht.

Kritiker behaupten, Hamburg wolle immer alles für sich haben. Deswegen gebe es zu wenig Kooperation mit den Nachbar­ländern. Die Stadt gönne Wilhelmshaven keinen Container und Husum keine Windmesse. Im Ergebnis wuchere Hamburg und überlaste damit auch die eigene Infrastruktur.

Dorothee Stapelfeldt: Wir haben Freizügigkeit, auch Unternehmen können sich ansiedeln, wo sie möchten. Hamburg ist attraktiv, und das wollen wir ja wohl nicht ändern. Natürlich arbeiten wir gut mit dem Umland zusammen. In der Metropolregion gibt es eine enge Kooperation, auch bei der Planung von Wohnungsbau und der Verkehrsentwicklung.

Na ja, es wird ja auch offensiv abgeworben. Dutzende Mitarbeiter der Hamburg Marketing werben weltweit um mehr Touristen, Firmen und Zuzügler. Dabei haben die Hamburger mit ihrem Nein zu Olympia klargemacht, dass sie nicht unbedingt in die Weltstadtliga aufsteigen wollen. Vielen geht Lebensqualität offenbar vor Größe. Wäre es da nicht Zeit für mehr Bescheidenheit?

Dorothee Stapelfeldt: Es ist doch normal, dass wir als Stadt unsere Vorzüge herausstellen. Mehr Tourismus hilft auch der Wirtschaft. Wir reden übrigens nicht von einer Wachstumsexplosion, sondern von einem moderaten Bevölkerungswachstum von 100.000 oft jungen und dynamischen Menschen bis 2030. Das ist eine Chance und keine Bedrohung. Eine schrumpfende Stadt wäre definitiv die schlechtere Alternative.

Kann es bei weiterem Wachstum gelingen, die Mieten stabil zu halten?

Dorothee Stapelfeldt: Wir müssen dafür sorgen, dass weiter gebaut wird. Wir haben die Zielzahl von 3000 öffentlich geförderten Wohnungen pro Jahr. Dazu sollen mehr frei finanzierte, bezahlbare Wohnungen entstehen, zu Preisen von 1800 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche oder einer Nettokaltmiete von 8 Euro pro Qua­dratmeter. Unser Ziel ist klar: Bei dem Wachstum, das wir haben, soll es keine soziale Segregation in Hamburg geben, also keine Spaltung der Stadt in Viertel für Wohlhabende und Ärmere. Das wäre aber unvermeidlich die Folge, wenn wir nichts tun würden. Ich bin aber optimistisch, dass es uns gelingen wird, das Wohnen in Hamburg bezahlbar zu halten.

Wie wird Hamburg in 20 Jahren aussehen, also im Jahr 2037?

Dorothee Stapelfeldt: Ich denke, dass wir unsere bestehenden Viertel qualitativ weiterentwickelt und durch neue ergänzt haben werden. Hamburg wird weiterhin eine sehr grüne Stadt sein, in der es sich gut leben und bezahlbar wohnen lässt. Das jedenfalls ist unser Ziel.