Hamburg. Unternehmensberater üben massive Kritik an Arbeitsweise der Kammer. Heute soll Plenum neue Struktur beschließen.

„Wir beraten Unternehmen“ – das gehört nach eigener Darstellung zu den Aufgaben der Handelskammer Hamburg. Sie unterstütze die Mitgliedsfirmen unter anderem darin, ihre Strategien, Strukturen und Technologien zu überdenken und an die neuen digitalen Möglichkeiten anzupassen. Doch die Analyse einer Hamburger Unternehmensberatung stellt der Kammer selbst – gerade im Hinblick auf ihre eigene Effizienz und Zukunftsorientierung – ein sehr schlechtes Zeugnis aus.

„Das Verhalten der Mitarbeiter ist optimiert auf eine Organisation, deren Ausrichtung über ein Jahrzehnt tief verankert wurde, erfolgreich war, aber den aktuellen Erfordernissen nicht mehr genügt“, heißt es in dem Papier der Beratungsfirma Pawlik Consultants, das dem Abendblatt vorliegt. Es herrsche ein „Mangel an Fokussierung und ein Übermaß an Projekten und Initiativen“. Und weiter: „Das Selbstwertgefühl auf der Basis von Titeln und Anzahl von Mitarbeitern lässt auf ein Statusdenken schließen, das im Veränderungsprozess und in einer modernen digitalen Arbeitswelt ein kritischer Bremsfaktor sein wird.“

Komplexe Organisation

Schon die komplexe Organisation der Kammer – „10 Geschäftsbereiche, 17 Plenumsgremien, 34 Ausschüsse“ – führe zu „erheblichen Effizienzverlusten“. Pawlik schlägt daher auf der Basis von „Workshops“ mit Führungskräften und Beschäftigten eine neue Struktur mit nur noch fünf „Leistungsbereichen“ vor. Am heutigen Donnerstag soll diese Neuorganisation in einer Plenarsitzung beschlossen werden. Weil die künftige Struktur weniger Leitungsfunktionen erfordert als die bisherige, sollen sich die Führungskräfte nun auf die verbleibenden Planstellen bewerben. „Noch in dieser Woche startet die interne Ausschreibung“, sagt Handelskammer-Hauptgeschäftsführerin Christi Degen.

Wie bereits im Januar angekündigt, soll die Zahl der Vollzeitstellen von derzeit rund 260 bis zum Jahr 2021 auf nur noch 200 sinken. Dieser Abbau soll überwiegend durch natürliche Fluktuation erreicht werden. In einigen Fällen werde es voraussichtlich aber zu „Gesprächen über eine einvernehmliche Trennung“ kommen, so Degen. Die Handelskammer hat sich verpflichtet, bis Ende 2021 keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen.

Ausführlicher Auswahlprozess

Noch im Sommer soll die Umstrukturierung der Wirtschaftsvertretung beginnen, bis Jahresende will man das Vorhaben im Wesentlichen abgeschlossen haben. Schon wenige Tage nach ihrem Amtsantritt im Dezember 2017 hat Christi Degen nach eigenen Angaben den Auftrag gegeben, nach einer Unternehmensberatung zu suchen, die das Projekt zur Modernisierung der Kammer begleitet. Nach einem ausführlichen Auswahlprozess sei die Entscheidung zugunsten von Pawlik Consultants aus St. Pauli gefallen.

Ein großer Teil der von den Beratern offengelegten Missstände ist ­zweifellos nicht der neuen Kammerführung unter dem im April 2017 gewählten Präses Tobias Bergmann anzulasten. „Eine Organisation, die sich über garantierte Einnahmen finanziert hat, war nicht gezwungen, sich immer wieder selbst zu überprüfen“, sagt Degen dazu.

„Viel Unruhe“ unter den Beschäftigten

Doch die Experten von Pawlik bemängeln auch, dass man die ­Beschäftigten zu lange im Unklaren über die konkreten Auswirkungen der Zukunftspläne gelassen habe: „Die Handelskammer verfügt zurzeit nur über ein strategisches Grobkonzept, das dem Orientierungsbedarf der Mitarbeitenden (...) nicht gerecht wird“, heißt es in der Analyse. Auf eine erhebliche Verunsicherung in der Belegschaft deutet auch ein Detail wie dieses hin: In der Aufzählung der Informationsquellen für die Bestandsaufnahme findet sich die Zeile „Anonyme Briefe: 8“.

Christi Degen räumt denn auch ein, im vorigen Jahr habe es „viel Unruhe“ unter den Beschäftigten gegeben. Das Konzept für die neue Struktur sei dann aber „mit enormer Einbindung aller Mitarbeiter“ entstanden. Eines der von allen wahrgenommenen Defizite betreffe die Kommunikation mit den 160.000 Mitgliedsfirmen. Sie sollen künftig zielgruppengerechter angesprochen werden. Geplant ist außerdem ein Mitgliederportal im Internet mit Chat-Möglichkeiten und Online-Seminaren.

Kulturwandel angestrebt

Später soll sich nach den Vorstellungen von Christi Degen der angestrebte Kulturwandel auch in baulichen Veränderungen im Kammergebäude ausdrücken: „Ich wünsche mir offenere Raumstrukturen, die den Austausch der Mitarbeiter untereinander fördern.“ Auch wenn die gestraffte Organisation voraussichtlich bis Jahresende weitestgehend stehen wird, sei das Projekt „Neue Kammer“ damit noch längst nicht abgeschlossen, sagt die Hauptgeschäftsführerin: „Ein solcher Wandel hat kein Enddatum.“

Dem würden die Pawlik-Experten wohl zustimmen. Nach ihren Erkenntnissen kann die neue Ausrichtung zwar auf wertvolle Qualitäten unter den Mitarbeitern bauen: „Gewissenhaftigkeit, fachmännische Gründlichkeit, hohes Engagement und Loyalität.“ Doch die ehrenamtlich im Präsidium, im Plenum und in den Ausschüssen agierenden Personen hätten ganz andere Vorstellungen vom Zweck der Kammer als die hauptamtlichen Beschäftigten: „,Neues Demokratieverständnis‘ und ,routinierte Funktionalität‘“ prallen aufeinander“, heißt es in der Analyse. Und auch dies steht darin: „Die Führungskräfte und Mitarbeitenden der Handelskammer (...) überschätzen bei Weitem ihre Veränderungskompetenz.“