Hamburg. Bisher fühlten sich vor allem die großen Unternehmen von der neuen Führung nicht vertreten. Das ändert sich nun.
Seit nunmehr einem Jahr haben die Rebellen der Wir-Gruppe in der Handelskammer das Sagen. Seitdem hat sich die Kammer aus vielen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in der Hansestadt zurückgezogen. Zahlreiche etablierte Wirtschaftsunternehmen haben bereits Kritik am Kurs der neuen Kammerführung geäußert. Doch jetzt wächst auch der Druck von unten. Ausgerechnet von kleinen Betrieben, die das neue Plenum eigentlich repräsentieren will, gibt es immer mehr Widerstand. Sie greifen den Sparkurs und die gebrochenen Wahlversprechen der Verantwortlichen an. Sie fühlen sich ausgegrenzt und von der Kammer abgehängt. Und der Ruf nach Neuwahlen wird immer lauter.
Auf Einladung von Haspa-Vorstandschef Harald Vogelsang haben sich eine Reihe kleinerer Unternehmer zusammengefunden, die ihren Unmut kundtun. „Die Kammer brüstet sich damit, sie vertrete jetzt die früher angeblich vernachlässigten kleineren und mittleren Betriebe. Das Gegenteil war und ist der Fall. Gerade bei uns kleineren Betrieben wächst der Unmut über die Zustände in der Kammer“, sagt Peer Schmidt-Ohm, Chef der Werbeagentur Schmidt-Ohm + Partner.
Haspa-Chef will Änderung der Wahlordnung
Obgleich Schmidt-Ohm selbst nur wenige Mitarbeiter hat, hält er es für falsch, dass große Unternehmen im Plenum der Kammer fast gar nicht mehr vertreten sind. „Das ist leider alles andere als ein Spiegel der Hamburger Wirtschaft.“ Haspa-Chef Vogelsang plädiert deshalb für eine Änderung der Wahlordnung. „Meines Erachtens ist eine Reform des Wahlrechts zu den Kammerwahlen zwingend erforderlich, um im Sinne der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die Spiegelbildlichkeit der Wirtschaft in der Kammer wiederherzustellen.“
Das heißt: Nach Vogelsangs Meinung müssen wieder mehr größere Unternehmen berücksichtigt werden. Und nach der Änderung des Wahlrechts sollte schnell neu gewählt werden. Möglichst schon im kommenden Jahr. Bei einer späteren Wahl besteht laut Vogelsang die Gefahr, dass die verantwortungsbewussten Unternehmer der Kammer den Rücken gekehrt und ihre Arbeit längst auf andere Verbände und Institutionen verlagert haben.
Kammerführung „zutiefst“ gespalten
Eine, auf die das bereits zutrifft, ist Martina Warning, Geschäftsführerin der Kommunikationsagentur John Warning. Sie glaubt, dass die Hamburger Wirtschaft wegen der neuen Kammerführung „zutiefst“ gespalten ist. Das sehe sie beispielsweise auch bei der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns, deren Vorstand sie angehört. „Wir haben einen großen Zulauf junger Unternehmer, die uns sagen, dass sie sich von der Kammer nicht mehr vertreten fühlen. Ich selber bin einfach nur enttäuscht, sodass ich meinen Ausschuss-Sitz niedergelegt habe.“
Auch die Vorgabe der Kammerführung, dass ihre Leistungen sich durch erhöhte Gebühren selbst tragen müssen, stört kleinere Unternehmer. „Sie sind enttäuscht von den aktuellen Angeboten und der Leistung der Kammer, die inzwischen Geld kosten“, sagt Ute Schoras, Leiterin der mittelständischen Personalagentur Jobpower. Sie ist als Vorsitzende des Ausschusses für Dienstleistungswirtschaft in der Handelskammer kooptiertes Mitglied des Plenums.
Mehr Transparenz gefordert
Aber auch sie ist enttäuscht: „Wir hatten eine Veranstaltung mit den Arbeitgeberverbänden der Personaldienstleister. Früher war der Besuch solcher Veranstaltungen für Kammermitglieder kostenfrei, heute werden pauschal 50 Euro pro Kopf verlangt. Das schreckt viele kleinere Unternehmer ab. Ich habe in der Vergangenheit in der Kammer Veranstaltungen abgehalten. Das ist vorbei.“ Besonders bedrücke Schoras, dass auch die Gebühren für die Ausbildung erhöht werden sollen, zumal nun die meisten Mitglieder im Plenum gar nicht selbst ausbilden.
Niels Pirck, Geschäftsführer der Haspa Direkt, ist einer der wenigen von den Kammerrebellen unabhängigen Unternehmer, die noch im Plenum sitzen. Sein Einfluss auf Entscheidungen hält er allerdings für äußerst gering. „Vor der Wahl hatte die W-Gruppe unter der Führung vom heutigen Präses Tobias Bergmann der alten Kammerführung Kungelei vorgeworfen und mehr Transparenz gefordert. Heute haben wir das Gegenteil: moderne Hinterzimmerpolitik.“ Die Plenarsitzungen seien zwar öffentlich. „Die W-Gruppe kungelt aber vorab die Beschlüsse hinter verschlossenen Türen aus. In der Sitzung werden nur noch vorbereitete Statements verlesen“, beklagt Pirck.
Interessen der Unternehmer bündeln
Mehr Transparenz fordert auch Tom Heinkel, Geschäftsführer eines Dienstleistungsunternehmens für die Luftfahrtindustrie. Er ist Vorsitzender eines neuen Vereins, der die Arbeit der Handelskammer kritisch begleitet. „Ich habe mit mehr als 100 großen und kleinen Unternehmen gesprochen“, sagt er. „Die Kritik an der Kammer war insgesamt so groß, dass ich dachte, wir benötigen dafür eine eigene Vertretung.“ Der Verein # Starke Wirtschaft # Zukunft Hamburg soll die Interessen der Unternehmer bündeln, die sich von der Kammer abwenden. Wer weiß, vielleicht tritt er auch zu den nächsten Wahlen an. Wann auch immer die sind.