Hamburg. Eine große Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte präsentiert viele neue Forschungsergebnisse.
Es war eine Zeit der Demonstrationen, Straßenbarrikaden und großen politischen Veränderungen: Anlässlich des 100. Jahrestages der November-Revolution 1918 widmet das Museum für Hamburgische Geschichte diesem bislang nur schlecht erforschten Kapitel der deutschen und vor allem Hamburgischen Demokratiegeschichte die große Sonderausstellung „Revolution! Revolution? Hamburg 1918/19“.
Entstanden ist sie in intensiver Zusammenarbeit mit der Universität und mit am Thema arbeitenden Studierenden, der Landeszentrale für Politische Bildung, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte und der Hamburger Comic-Zeichnerin Isabelle Kreitz, die mit dem Autor Robert Brack eine packende Graphic Novel zeichnet: „Rote Fahne, schwarzer Markt: Bruno Hansen und die Revolution in Hamburg“. Deren erster Teil ist schon online zu lesen: www.hamburg-18-19.de; die nächsten Teile folgen bis zum Ausstellungsende im Februar 2019.
Die Ausstellung
Mehr als 300 Exponate veranschaulichen jene Epoche großer Umwälzungen zum Ende des Ersten Weltkrieges, deren Folgen bis heute weiterwirken. Die Schau ist in zwölf Kapitel gegliedert. Vorrangig arbeitet das Team mit Fotografien, Plakaten und Zeitungen. Wird das Thema „Militär“ behandelt, so ist in der Mitte der Themen-Insel eine Installation aus drei Original-Gewehren, einem fellbezogenen Soldaten-Tornister („Affe“ genannt) und einer Wasserflasche aufgebaut. An anderer Stelle steht ein Maschinengewehr, Typ 08/15.
Gut fasst ein schmaler Materialband der Landeszentrale für Politische Bildung, erhältlich für zwei Euro, die Geschehnisse zusammen. Er bereitet das Thema für junge Menschen auf, „weil es in den Schulbüchern nicht auftaucht“, so Sabine Bamberger-Stemmann, Direktorin der Landeszentrale. Sie verzeichnet steigende Besucherzahlen, weil immer mehr Lehrer ihre Schüler dorthin mitnehmen.
Ein gewisses Problem in der Schau ist die Quellenlage: Sehr viel aus jener Zeit wurde vernichtet, allein schon deshalb, weil Sozialdemokraten und Kommunisten, die 1918/19 auf die Straße gingen, später unter den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Persönliche Lebenserinnerungen oder Tagebücher von Hamburger Sozialdemokraten und Arbeitern fehlen daher weitestgehend.
Hauptakteure
Da die Bevölkerung unter Hunger, Krankheiten und Arbeitslosigkeit litt, waren Arbeiter und heimgekehrte Soldaten die Hauptakteure im Widerstand gegen die alte Ordnung. Im Zuge des Kieler Matrosenaufstands am 2. November 1918 schlossen sich Zehntausende Hamburger Werftarbeiter mit Sympathiestreiks an, um das Ende des Krieges und die Abdankung des Kaisers zu erzwingen. Im Mittelpunkt stand unter anderem der SPD-Mann und spätere Kommunist Heinrich Laufenberg, Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrates.
Er setzte am 12. November 1918 in Hamburg Senat und Bürgerschaft ab. Wichtig war auch Walter Lamp’l, der für die MSPD Ende 1918 die „zehn Hamburger Punkte“ beim Reichsrätekongress einbrachte, was eine Abkehr vom Militarismus bedeutete. Der Dritte kam aus dem Bürgertum und hielt sich am längsten: Werner von Melle blieb bis zur ersten freien Wahl im März 1919 Hamburger Bürgermeister. Als die erste Bürgerschaft gewählt war, blieb er Senator.
Höhepunkte
Vergleichsweise gewaltfrei wurden also in Hamburg ein neues Wahlrecht, Pressefreiheit, die kostenlose Einheitsschule und Tarifverträge erkämpft. Das geschah ab 6. November durch Massenproteste. Die Schau präsentiert eine vergilbte Partitur von Wagners Oper „Tannhäuser“, die an jenem Tag an der Staatsoper gespielt wurde. Weil Schüsse an der Dammtorstraße drohten, wurde die Vorstellung abgebrochen, der Bratschist hat dies in Bleistift notiert.
Die Ausstellung veranschaulicht, was das neue Wahlrecht bedeutete: Frauen durften endlich wählen. Patent druckte der Wahlwerbeausschuss Hamburgischer Frauenvereine ein kleines Plakat, auf dem die wichtigsten Parteien mit ihren Zielen vorgestellt wurden. 90,6 Prozent der Hamburgerinnen gingen am 16. März 1919 zur Wahl. Auch das: eine Revolution. Denn was heute kaum noch jemand weiß, ist, dass nach altem Wahlrecht weniger als zehn Prozent der Hamburger Bevölkerung überhaupt wählen durften. Ausgeschlossen war, wer weniger als 1200 Mark im Jahr zu versteuern hatte, nicht männlich oder jünger als 25 Jahre war.
Auch die ökonomischen Verhältnisse kommen in der Ausstellung zur Geltung: Weil die Männer an der Front kämpften, arbeiteten die Frauen als Streckenarbeiterinnen, Schaffnerinnen oder Kellnerinnen. Der Anteil der Industriearbeiterinnen lag 1917 bei 43 Prozent.
Verheerend waren die Folgen des Krieges: Ein für Mediziner gedrehter Film demonstriert, wie extrem ehemals verschüttete oder von Granateneinschlägen betroffene Soldaten am ganzen Leib zitterten, auch sind Bein- und Armprothesen ausgestellt. Fotos zeigen, wie überfüllt die Lazarette waren.
Bei Kriegsende hatten viele Davongekommene dennoch nur noch eines im Sinn: Das Leben genießen! In sieben runde Caféhaustische wurden Tagebücher von Hamburgern aus der damaligen Zeit eingelassen, die ordentliche Sütterlin-Schrift wurde transkribiert. Und da schreibt der junge Hamburger Angestellte Robert Horbelt, dass er sich in seine Nachbarin Leni frisch verliebt hat – und fast jeden Abend ausgeht.