Hamburg. Malerische Hamburger Orte: Das Museum für Hamburgische Geschichte geht mit einer neuen Ausstellung auf Zeitreise.
Wie hat die Stadt Hamburg vor gut 100 Jahren ausgesehen? Was hätte ein Spaziergänger alles zu Gesicht bekommen, wenn er die Straßen zwischen St. Pauli und Jungfernstieg, Altem Wandrahm und Großneumarkt entlang gegangen wäre? Die neue Ausstellung „Alt-Hamburg – Ecke Neustadt, Ansichten einer Stadt um 1900“ im Museum für Hamburgische Geschichte lädt bis zum 5. November ein, sich mit Hilfe vieler einzelner Exponate ein Bild von der Historie einiger der ältesten Stadtviertel zu machen. Dabei zeigt sich auch, was über die Jahrzehnte alles verloren ging, städteplanerisch jedoch vielleicht zurückgewonnen werden kann.
Interaktiv: Eine Fotoreise von St. Pauli an den Hafen
Die Ausstellung
Aus mehreren tausend Stadtansichten der Jahre 1850 bis 1913, die das Museum besitzt, ist diese Ausstellung entwickelt worden. Viele besonders erinnernswerte, malerische Hamburger Orte wurden damals für die Nachwelt festgehalten. Grafiken, Aquarelle, Pastelle und Künstlerdrucke erlauben nun einen Blick auf größtenteils längst verschwundene Plätze, Gassen, Gärten und Fachwerkhäuser. Zusammengestellt wurden neun unterschiedliche Spaziergänge, die sich jeweils an einem historischen Stadtplan orientieren.
An den Zeichnungen entlang lässt sich durch die Innenstadt-Kieze der damaligen Zeit schlendern. Diese vermitteln einen Eindruck von den einstigen, noch mittelalterlich geprägten Strukturen, die weder für die stetig neu hinzu kommenden Menschenmassen des 19. Jahrhunderts ausreichten, noch für den motorisierten Verkehr geeignet waren. 1850 lebten 215.000 Menschen in Hamburg, 1900 waren es schon 768.000.
Unter anderem sind in dieser Zeit auch deshalb so zahlreiche Stadtansichten entstanden, weil die Menschen schon damals wehmütig ihrem alten Hamburg hinterher trauerten, jedenfalls die, die nicht in den lichtlosen, schimmeligen Löchern hausen mussten, die vor allem nach der katastrophalen Cholera-Epidemie 1892 abgerissen wurden, wenn sie nicht schon zuvor dem großen Brand von 1842 zum Opfer gefallen waren. Es sei also ein romantischer Blick und kein sozialkritischer, der diese Bilder charakterisiere, sagt Museumsdirektor Hans-Jörg Czech.
Konterkariert werden die alten Ansichten und Genrebilder mit Instagram-Stadtfotos, die stetig neu eingespeist werden und an einer Medienwand in der Mitte der Ausstellung zu sehen sind.
Die Künstler
Wer welches Bild angefertigt hat, steht nicht im Zentrum der Ausstellung, die eher dokumentarischen Charakter hat. Hervorheben ist aber die versierte, detailgenaue Zeichnerin Ebba Tesdorpf, aus deren Bleistift auffallend viele wunderbare Ansichten stammen, vor allem aus den ärmeren Gängevierteln. Auch ihr Lehrer Theobald Riefesell ist recht präsent in der Ausstellung. Künstlerisch spannender sind dagegen Friedrich Kallmorgen, der einen ausgeprägten Sinn für Lichtstimmungen hatte, aber auch ein hervorragender Grafiker gewesen sein muss, außerdem der Hamburger Impressionist Ernst Eitner.
Entdeckungen
Wie beschaulich muss es mal gewesen sein, als die alte Hamburger Kunsthalle noch recht neu war und sich vor ihr statt der Galerie der Gegenwart ein abfallender Hügel mit Baum umstandenem Rund erstreckte, um das beschirmte Damen bis hinunter zur Außenalster lustwandeln konnten. Diese zauberhafte Ansicht zeigt eine Grafik aus dem 19. Jahrhundert. Heute dröhnt hier auf vier bis sechs Spuren der Verkehr.
Andernorts waren es vor allem Fachwerkhäuser, die das alte Hamburg prägten, und die heute nahezu vollständig verschwunden sind. Generell waren sehr viel mehr Menschen auf den Straßen unterwegs, als heute. Auf der Elbstraße boten fliegende Händler ihre Waren auf Karren oder in Bauchläden feil. Handwerker arbeiteten oft auf der Straße, wo Kinder spielten und Hühner umher liefen. Weil es noch keine Leuchtreklame gab, kündeten die Schriftzüge auf den Häuserfassaden von den jeweiligen Geschäften. Direkt neben dem Michel bot etwa ein Tanzlehrer auf einer Hausfassade seine Kurse an, vom Walzer bis zu „allen Rundtänzen“.
Ein Carl Schildt hielt 1885 fest, was für die, die nahe am Hafen wohnten, wohl nicht sehr lustig war: „Hochwoter!“ Da nehmen sich die Leute huckepack, laden ihre Habe auf Boote, aber für die Kinder scheint es ein Spaß gewesen zu sein. Ganz in der Nähe stand dann noch das Zippelhaus (Zwiebelhaus), das besonders vielen Zeichnern als Motiv diente: Hier wohnten auf Lebenszeit die Gemüsehändlerinnen aus Bardowick, die die auf dem Wasserweg angelieferten Möhren und Zwiebeln auf den Hamburger Wochenmärkten verkauften. Ebba Tesdorpf zeichnete es von innen: Zu zweit schliefen die Gemüsefrauen auf breiten Etagenbetten, die Körbe hatten sie unter die Decke gehängt.
„Alt-Hamburg – Ecke Neustadt. Ansichten einer Stadt um 1900“ Museum für Hamburgische Geschichte (U St. Pauli), Holstenwall 24 Di–Sa 10.00–17.00, So 10.00–18.00, Eintritt 9,50/6,-, Ausstellung bis 5.11.