Hamburg. Thorsten Lensings gelungene Bühnenfassung des Romanmonsters von David Foster Wallace ist auf Kampnagel zu sehen.

Tennis-Wunderkinder in einer Tennis-Akademie. Drogen, Süchte und Entzug. Lexika. ­Kamerastative. Eine Grenzmauer. Eine Familien­saga wie die Buddenbrooks, aber alle auf Crack. Noch mal Drogen, mehr Tennis. Terroristen in Rollstühlen. Selbstmord durch Mikrowellieren des Kopfs. Nach Konsum­gütern ­benannte Jahre, weil die Zeitrechnung an Konzerne verscherbelt wurde. ­Depressionen und Wahnvorstellungen. Miss- und Tot­geburten. Gesellschaftskritik. 360-Grad-Kapitalismus. Ängste. Ängste, ­unglaublich viele Ängste. Sex, manchmal mit ­anderen. ­Gewalt? Aber hallo Gewalt. Ein experimentelles Video, das ­alle verblöden lässt, die es zu sehen bekommen. Verkrüppelte, Verwirrte, Verzweifelte. Und ­immer wieder: Tennis. Und Drogen. Und Süchte.

All das und noch rund 1500 engbedruckte Romanseiten und Hunderte manisch wuchernde Fußnoten mehr hat David Foster Wallace in seinen ­literarischen Amoklauf „Unendlicher Spaß“ gepresst, bevor er sich vor zehn Jahren das Leben nahm. Ein sattes Kilo Sprachkunst, kleingedruckt, weil so viel rein musste. Viele Menschen mochten das sehr und machten das Buch zum Kultobjekt, wahrscheinlich deutlich weniger haben es von vorn bis hinten gelesen.

Erbarmungslose Treff­sicherheit

Und der Regisseur Thorsten Lensing, auf über­dicke Wälzer spezialisiert, hat all das eindeutig nicht auf die Bühne ­gebracht. Aber er hat – und das war ein vier kurze Stunden langes Vergnügen – eine Collage aus Szenen und Gestalten maßgeschneidert, die mit erbarmungsloser Treff­sicherheit zeigt, wie irre gut Wallace sein konnte, wenn er Menschen bis auf die Knochen beobachtete und ihre grenzenlosen Einsamkeiten ­beschrieb, als wäre alles eine Versuchs­anordnung.

David Foster Wallace

Von den gefühlt 18.374 Drehungen und Wendungen der Vor­lage haben es nur sehr wenige klar ­erzählt ins Plot-Konzentrat geschafft. Was aber gar nichts macht. Lensing hat sich die vielen Rosinen herausgepickt, die allerdings vom Autor in Batteriesäure eingelegt wurden. Lecker und appetitlich ist so gut wie nichts. Kennt man den ­Roman oder hat noch ­Erinnerungen ­daran, bieten die Monologe und Dialoge etliche Déjà-vu-Momente, bis hin zu Vokabeln wie „Käseschmiere“, die wohl unvergesslich bleiben.

Großartiges Ensemble

Ist Wallace’ Sonderlinge-Welt bislang terra incognita gewesen, kann man beim Gastspiel auf Kamp­nagel ein großartiges Ensemble bewundern, das Lensing für diesen Marathon handverlesen und in ein fast leer gefegtes Bühnenbild gestellt hat. Boulevardtheater, stellenweise, nicht nur mit Abitur, sondern eher schon als ­Habilitationsschrift.

Devid Striesow beispielsweise. Mal Orin Incandenza, Football-Star und versierter Subjektvernascher, der Bruder von Hal. Mal aber auch ganz ­anders, denn als Tennistalent mit dem hane­büchenen Namen U.S.S. Millicent Kent hüpft und quietscht er im Teenager-Hängerkleidchen und mit rosa Haarschleife durch eine Flirt-Episode, die noch schöner und deutlich bekloppter ist als die Balkonszene von Romeo und Julia. Als wirrer Ex-Kokser Randy Lenz muss Striesow sein Gegenüber bei einem AA-Treffen ­umarmen, obwohl ­jede Zelle seines Körpers gut sichtbar in die entgegengesetzte Richtung will. Auch das: ganz großes Schauspiel-Tennis.

Klugscheißender Tennis-Wunderknabe

Oder Ursina Lardi, in einer Tennishosenrolle als klugscheißender Tennis-Wunderknabe Hal – wie der Besserwisser-Computer in Kubricks „2001“ – in Plateausohlen-Turnschuhen als eigentliche Hauptperson unterwegs, ein Nerd, der aus Wörterbüchern zitiert und Präzisions-Nagelclipsen übt. Mario, der schlimm verwachsene dritte Bruder, wird von André Jung mit großer Würde durchlitten, mit anmontierten Handicaps und zu Herzen gehender ­Unschuld.

Jasna Fritzi Bauer, einerseits eine verlebte Drogensüchtige, die sich „durch die Wehen kokste“, andererseits eine mysteriöse Femme fatale, verschleiert und energiegeladen. Heiko Pinkowski ist als Entzugsfachkraft Don Gately ein stoischer Fleischfels in der Wortbrandung; ganz viel Schale, ganz weicher Kern. Und wer schon längst mal wissen wollte, wie ein Vogel aussieht, der im Flug einen Herz­infarkt bekommt und sterbend in ein Planschbecken plumpst wie ein Sack alte Grütze, wird durch ­Sebastian Blomberg bestens ­bedient. Virtuoser als in dieser Zeitraffer-Version kann man Wallace’ Romanmonster wohl kaum zähmen.

„Unendlicher Spaß“ 24./25.3., 19.30, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de