Berlin. André Jung glänzt in Thorsten Lensings Bühnenversion des Romans von David Foster Wallace. Stück ab 21. März auf Kampnagel zu sehen.
„Unendlicher Spaß“, das 1500 Seiten starke Romanwerk des Ausnahme-Literaten David Foster Wallace, gilt als kaum lesbar. Es auf die Kinoleinwand oder die Theaterbühne zu bringen – eigentlich unmöglich. Regisseur Thorsten Lensing, ein Freigeist des Theatermetiers, der sich alle drei Jahre einen gewichtigen Dramen- oder Romanstoff vornimmt, hat sich trotzdem daran gewagt. Wie zuvor bei Tschechows „Kirschgarten“ und Dostojewskis „Karamasow“ hat er auch für „Unendlicher Spaß“ ein Allstar-Ensemble versammelt. Vom 21. bis 25. März zu erleben auf Kampnagel.
Sehenswert sind sie alle in dieser klugen, reduzierten, vor Spielfreude berstenden Inszenierung, die bereits in Berlin zu sehen war: Devid Striesow, Ursina Lardi, Sebastian Blomberg. Für die Hamburger ist vor allem die Wiederbegegnung mit André Jung ein Ereignis, der von 1993 bis 2000 Erfolge am Schauspielhaus feierte und Intendant Frank Baumbauer dann nach München folgte.
"bestimmte Spezies Mann“
Jung zeige „eine bestimmte Spezies Mann“, so die Schauspielerin Elisabeth Schwarz in ihrer Laudatio als der gebürtige Luxemburger 2002 von der Zeitschrift „Theater heute“ als „Schauspieler des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Er zeige „Mittelmaß und Wahn“, was sich nicht nur aus etwas zu kurzen Hosen, dem etwas zu engen Jackett, der mit Selbstgewissheit vorgetragenen Beschränktheit ergebe. Zentral sei auch der Ernst, den Jung seinen Figuren mitgebe und der wiederum diese Männer so komisch erscheinen lasse.
Die Rolle des an Körper und Geist versehrten Mario Incandenza in „Unendlicher Spaß“ ist so betrachtet eine typische Jung-Figur. Wie er den mittleren von drei Brüdern da auf der Bühne der Berliner Sophiensäle im Tennisdress mit zurückgebundener Oberlippe und eingeschnürtem Arm gibt, hat etwas sehr Komisches und zugleich sehr Berührendes.
Geschichte dreier Brüder
Am Tag nach der Premiere kommt André Jung ins Charlottenburger „Schwarze Café“. Die Arbeit mit Thorsten Lensing sei tatsächlich ein großer Spaß gewesen. Eine solche Mammut-Aufgabe brauche Vertrauen in den Regisseur. „Da hat man im Grunde den ganzen Roman vor sich sitzen“, sagt Jung mit sonorer Stimme. Die Inszenierung konzentriert sich auf die Geschichte dreier Brüder in einer schwer dysfunktionalen Familie. Der Vater, Experimentalfilmer und Gründer einer Tennis-Akademie, nahm sich das Leben. Mario (Jung) hat vor allem eine innige Beziehung zu seinem jüngeren Bruder, dem Tennis-Talent Hal (Ursina Lardi). Es ist eine virtuos beschriebene, apokalyptische Welt voller Verzweiflung, Drogen, Leere – und dem Wissen um etwas „Giftiges“, das sich hinter einer hohen Mauer verbirgt.
Jung denkt gern an seine Zeit am Schauspielhaus zurück
„Diese Familie ist hochspannend“, findet Jung. Sehr komplex sei das alles, eine „Riesenspielwiese“. Regisseur Lensing konzentriert sich in seiner Inszenierung auf bestimmte Schlüsselszenen. Er arbeite sehr intensiv mit den Darstellern, sagt Jung. Das sei wichtig, denn es gehe im Theater ums Verstehen. „Ich bin ja kein Fußballspieler.“ Er komme im Alter – Jung ist 64 – immer mehr auf das Spielerische, das er schon in seinen Zwanzigern stets gesucht habe. Den von ihm gespielten Mario zeichne große Direktheit aus. „Er ist offen für die Probleme der anderen, gleichzeitig nervt er, weil er erfahren möchte, warum der Vater gestorben ist und warum die Mutter wegen dessen Tod nicht geweint hat.“
Begegnung von „Alphatieren“
Die Arbeit mit Lensing empfand Jung als durchweg angenehm, auch wenn diese Probenzeit natürlich eine Begegnung von „Alphatieren“ gewesen sei. Früher hat Jung auch schon mal Proben frühzeitig beendet. „Ich bekomme keine Wutausbrüche, sondern schaue mir die Sachen an und sage, das geht nicht mit mir.“ Es verwundert nicht, dass André Jung in seiner Karriere vor allem bei leisen, feinsinnigen Regisseuren und Intendanten gelandet ist. Bei Frank Baumbauer, bei Christoph Marthaler und bei Jossi Wieler, der – dort inzwischen Intendant – ihn in Stuttgart in Sprechrollen am Opernhaus besetzt.
Seinen feinen, leisen Humor hat André Jung mit Christoph Marthaler entwickelt. In den Hamburger Jahren saßen beide nächtelang in einer Kneipe in der Langen Reihe, schrieben Dialoge und erfanden absurde Geschichten, die dann in wunderbare Abende wie „Stunde Null oder die Kunst des Servierens“ eingingen. Er denke gerne an die Hamburger Jahre zurück, auch wenn in dieser Zeit seine Fern-Ehe zerbrach, sagt Jung. Mit Frank Baumbauer ist er immer noch befreundet. „Für mich ist er ein ganz großer Intendant gewesen. Er hat sehr vieles richtig gemacht. Das war eine tolle Zeit.“ Heute lebt Jung mit neuer Familie in München. Seine Tochter Marie hat ebenfalls die Schauspielerei gewählt und gehört seit zwei Jahren zum Thalia-Ensemble.
Das Laute, Polternde liegt André Jung nicht. Er ist ein Meister des Doppelbödigen, ein Meister der bis in Nuancen glaubhaften Darstellung der vom Leben Vergessenen. Darin besteht sie, die rare Kunst des André Jung.
„Unendlicher Spaß“ 21./22. u. 24./25.3., jeweils 19.30, Kampnagel K2, Karten zu 14,- bis 24,- unter T. 27 09 49 49. Die Reise nach Berlin wurde unterstützt von Kampnagel